NEUER SCHUTZ VOR SCHEIDUNGSRISIKEN (VORAUSSCHEIDUNGSKONVENTION/ EHEVERTRAG MIT REGELUNG DER SCHEIDUNGSNEBENFOLGEN)
lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin unter Mithilfe von MLaw Giada Cassis
Bei bestehendem gemeinsamem Scheidungswillen gibt das Gesetz den Ehegatten die Möglichkeit, sich über die Scheidungsfolgen zu einigen und dem Gericht im Rahmen eines gemeinsamen Scheidungsbegehrens eine entsprechende Vereinbarung (Scheidungskonvention) einzureichen. Diese Vereinbarung wird vom Gericht auf ihre Vollständigkeit und Klarheit sowie auf offensichtliche Unangemessenheit hin überprüft und genehmigt, sofern es sich davon überzeugen kann, dass die Ehegatten sie aus freiem Willen und nach reiflicher Überlegung geschlossen haben.
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Inwieweit dürfen sich die Ehegatten bereits im Voraus – d.h. bei noch nicht bestehender Scheidungsabsicht und ausserhalb eines Scheidungsverfahrens – über die Folgen einer allfälligen Scheidung verbindlich einigen?
I. BISHERIGE RECHTSPRECHUNG
Gemäss Lehre und Rechtsprechung konnten die Ehegatten bis anhin zahlreiche Nebenfolgen der Scheidung nicht im Voraus regeln. Gemäss Gesetz sind Scheidungsvereinbarungen erst rechtsgültig, wenn das Gericht sie genehmigt hat (Art. 279 Abs. 2 ZPO). Dies bedeutet, dass einem von beiden Ehegatten unterzeichneten Scheidungsvertrag keine Rechtsbindung zukommt, bis er gerichtlich genehmigt wird. Die Bindungswirkung tritt gemäss herrschender Lehre erst ein, wenn die Vereinbarung in der Anhörung vor Gericht von den Parteien nochmals bestätigt wird. Vor diesem Zeitpunkt ist sie hingegen beliebig widerrufbar (vgl. Bähler, in: Basler Kommentar ZPO, 3. Auflage, N 2 zu Art. 288). Hintergrund dieser Regelung sind unterschiedliche Schutzgedanken des Gesetzgebers, die an dieser Stelle nicht vertieft werden können. Dem Gericht eine solche Vorausvereinbarung gegen den Willen eines Ehegatten zur Genehmigung einzureichen, war von vornherein erfolglos, zumal schon die grundlegende Voraussetzung des gemeinsamen Scheidungswillens bzw. des gemeinsamen Scheidungsbegehrens fehlte. Auch im Rahmen des Abschlusses von Eheverträgen ist eine Regelung der Scheidungsfolgen gesetzlich nicht vorgesehen. Zwar darf ein Ehevertrag bereits vor und jederzeit nach der Heirat geschlossen werden, inhaltlich ist er aber auf die Wahl des Güterstandes beschränkt (Art. 182 ZGB). Raum für die ehevertragliche Regelung des nachehelichen Unterhalts, des Vorsorgeausgleichs oder von weiteren Scheidungsfolgen gibt es vor der Scheidung bzw. vor bestehendem Scheidungswillen der Ehegatten nicht.
II. NEUER BUNDESGERICHTSENTSCHEID
Wider Erwarten hat das Bundesgericht in einem neuen Entscheid seine bisherige Rechtsprechung trotz des (eigentlich) klaren Gesetzestextes grundlegend geändert. Im Urteil 5A_778/2018 vom 23. August 2019 ist das Bundesgericht zum Schluss gekommen, dass die Verlobten sich schon vor Abschluss der Ehe – und die Eheleute jederzeit in deren Verlauf trotz noch fehlender Scheidungsabsicht – hinsichtlich der Scheidungsfolgen verbindlich verpflichten können. Inhalt einer entsprechenden Vereinbarung können insbesondere (neu) auch die Regelung des nachehelichen Unterhalts und des Vorsorgeausgleichs sein. Ausgeschlossen bleibt hingegen nach wie vor die Regelung der Kinderbelange, denn diesbezüglich gilt die Offizialmaxime, wonach das Gericht nicht an die Parteianträge
(-vereinbarungen) gebunden ist (Art. 296 Abs. 3 ZPO).
Das Bundesgericht hat seinen neuen Entscheid damit begründet, dass zwischen den Parteien grundsätzlich Vertragsfreiheit herrsche (vgl. Art. 168 ZGB) und das Gesetz keine spezielle Regel enthalte, die eine «Scheidungsvereinbarung auf Vorrat» verbiete (vgl. E. 5.5.). Im Rahmen des Scheidungsverfahrens habe das Gericht deswegen nur noch zu prüfen, ob die Scheidungsvereinbarung damals, d.h. im Zeitpunkt der Unterzeichnung, aus freiem Willen und nach reiflicher Überlegung geschlossen wurde, sowie ob sie klar, vollständig und – ausgehend von den aktuellen, d.h. im Scheidungszeitpunkt geltenden, wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien – nicht offensichtlich unangemessen sei (Art. 279 Abs. 1 ZPO). In jedem Fall hat das Gericht zu prüfen, ob trotz der Vereinbarung eine angemessene Altersvorsorge der Ehegatten gesichert ist. Da eine Scheidungsvereinbarung aber erst rechtsgültig wird, wenn das Gericht sie genehmigt hat (Art. 279 Abs. 2 ZPO), haben die Parteien in einem durch Klage eingeleiteten Scheidungsverfahren die Möglichkeit, dem Gericht die Nichtgenehmigung der zwar bindenden, aber noch nicht rechtsgültigen Vereinbarung zu beantragen (E. 5.6.). Es kommen dafür die allgemeinen Bestimmungen der Vertragsanfechtung gemäss Art. 20 ff. OR oder zum Schutz vor übermässiger Bindung im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ZGB zur Anwendung. Der Schutz vor übermässiger Bindung greift insbesondere dann, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien gegenüber dem Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung in nicht vorhersehbarer Weise geändert haben.
Was die Form dieser Vereinbarung betrifft, geht das Bundesgericht von der absoluten Vertragsfreiheit der Parteien aus und schreibt weder einen Mindestinhalt noch eine besondere Form vor (E. 5.5.). Diesbezüglich verliert das Bundesgericht kein weiteres Wort, selbst wenn eine Begründung begrüssenswert gewesen wäre. Insbesondere liefert das Bundesgericht keine Erklärung dafür, warum die Regelung des Güterstandes im Rahmen des Abschlusses eines Ehevertrags eine öffentliche Beurkundung benötigt, eine Vereinbarung über den nachehelichen Unterhalt und den Vorsorgeausgleich dagegen formfrei abgeschlossen werden kann. Zu dieser Diskrepanz hat sich ein Teil der Lehre bereits kritisch ausgesprochen. Hauptthema der Kritik ist die Rechtssicherheit. Es bleibt somit abzuwarten, ob das Bundesgericht seinen «Pionierentscheid» künftig bestätigen und verdeutlichen wird.
III. FAZIT
Die neue bundesgerichtliche Rechtsprechung eröffnet Verlobten und Ehegatten einen neuen Weg, sich für den Scheidungsfall vorsorglich (zum Voraus) abzusichern und die Regelung der Scheidungsfolgen vor dem Eintritt des Konfliktfalles für alle Beteiligten klar festzuhalten. Es ist so bspw. möglich, über die Festlegung der nachehelichen, persönlichen Unterhaltsbeiträge zu Gunsten eines Ehegatten einen von den Ehegatten unterschiedlich gelebten Lebensstandard zu fixieren, bevor die Scheidung aktuell wird. Bis Rechtssicherheit über die umfassende Gültigkeit solcher Vorausscheidungskonventionen eintritt, ist im Einzelfall Vorsicht geboten, zumal noch unklar ist, wie streng die Inhaltskontrolle im Rahmen der gerichtlichen Genehmigung ausfallen wird und wie das Bundesgericht solche Fälle in der Zukunft entscheidet. Es ist aktuell zumindest zu empfohlen, Vereinbarungen über die Scheidungsfolgen zusammen mit der Wahl des Güterstandes im Rahmen eines Ehevertrages zu treffen und diesen, entsprechend den gesetzlichen Vorschriften, von einem Notar öffentlich beurkunden zu lassen (Art. 184 ZGB).
3. Februar 2020 / lic. iur. Melanie Schmidt
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