DAS AUSTRITTSRECHT DES GESELLSCHAFTERS AUS DER GMBH
MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin
Uneinigkeiten zwischen Gesellschaftern sind keine Seltenheit. In der Regel können sich die Gesellschafter aber im Sinne der Gesellschaft auf eine sachgemässe Lösung einigen. Vereinzelt ist die Situation allerdings dermassen verfahren, dass sich die Gesellschafter gar nicht mehr untereinander verständigen können und wollen. In diesen Fällen bleibt oftmals nur der Austritt eines Gesellschafters aus der GmbH. Dies geschieht in der Regel über den Verkauf seiner Stammanteile an seinen Mitgesellschafter / einen Dritten. In der Praxis tritt hingegen oftmals die Konstellation auf, dass für die Stammanteile schlichtweg kein Käufer gefunden werden kann und auch allfällige Mitgesellschafter kein Interesse daran haben (oder es mangelt am entsprechenden Kapital), die Stammanteile des austretungswilligen Gesellschafters zu erwerben. Welche Möglichkeiten hier bestehen und wie vorgegangen werden kann, wird nachfolgend aufgezeigt.
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I. DAS AUSTRITTSRECHT
Das Gesetz gewährt den Gesellschaftern einer GmbH in Art. 822 OR ein Austrittsrecht, welches gerichtlich eingeklagt werden kann. Die Klage richtet sich dabei gegen die Gesellschaft. Beim gesetzlich normierten Austrittsrecht handelt es sich um ein zwingendes und unentziehbares Recht. Das heisst, die Gesellschafter können das Recht auf Austritt aus der Gesellschaft also nicht wegbedingen oder durch zusätzliche Anfordernisse erschweren.
Das Austrittsrecht ist allerdings an wichtige Gründe gekoppelt (Art. 822 Abs. 1 OR), es sei denn, die Statuten der GmbH sehen ein eigens definiertes Austrittsrecht vor (Art. 822 Abs. 2 OR). In erster Linie sind also die Statuten zu konsultieren und es gilt zu prüfen, ob diese unter bestimmten Bedingungen ein Austrittsrecht vorsehen und möglicherweise sogar eine Verpflichtung der verbleibenden Gesellschafter, wonach sie die Stammanteile des austrittswilligen Gesellschafters abzukaufen haben (sog. Kaufpflicht), beinhalten. Enthalten die Statuten allerdings keine entsprechende Regelung, so bleibt nur noch das gesetzliche Austrittsrecht aus wichtigem Grund.
Die Lehre hat solch «wichtige Gründe» u.a. bei schweren Streitigkeiten zwischen den Gesellschaftern oder der Gesellschaft, bei ruinöser Geschäftsführung, bei schweren Vertrauensbrüchen wie der Verschleierung von Geschäftszahlen oder willkürlicher Zusammenarbeitsverweigerung und fortgesetzten Interessenkonflikten bejaht. Die Messlatte liegt hoch – einfache Meinungsdifferenzen zwischen den Gesellschaftern reichen nicht aus. Die Zusammenarbeit im Rahmen der Gesellschaft muss nachhaltig gestört sein, so dass es dem austrittswilligen Gesellschafter nicht mehr zuzumuten ist, in der Gesellschaft zu verbleiben. Dabei werden sämtliche Umstände berücksichtigt, wobei sowohl persönliche als auch sachliche Gründe eine Rolle spielen können.
Aber selbst wenn wichtige Gründe vorliegen und dem austrittswilligen Gesellschafter der Austritt gerichtlich gewährt werden würde, stellt sich die Frage, wie mit den Stammanteilen des ausscheidenden Gesellschafters zu verfahren ist. Schliesslich lösen sich diese mit dem Austritt der Gesellschaft nicht einfach in Luft auf. Diese sind vielmehr mit dem Austritt auf einen Dritten oder die Gesellschaft selbst zu übertragen. Das Bundesgericht hat in seinem erst kürzlich publizierten Entscheid vom 19. Juni 2021 festgehalten, dass das Gericht nicht die Kompetenz hat, die Stammanteile des austretenden Gesellschafters zwangsweise auf einen/mehrere Mitgesellschafter zu übertragen bzw. fehlt es hier schlichtweg an der gesetzlichen Grundlage. Es bleibt damit nur die Möglichkeit, die Stammanteile auf die Gesellschaft zu übertragen. Hingegen sieht Art. 783 OR vor, dass die Gesellschaft maximal 10% des Gesamtnennwerts eigener Stammanteile halten darf. Nur in Ausnahmefällen – wenn im Zusammenhang mit einem Austritt oder Ausschluss Stammanteile erworben werden – liegt die Grenze bei 35% (Art. 783 Abs. 2 OR). Diesbezüglich hat das Bundesgericht klargestellt, dass die Grenze von 35% des Stammkapitals absolut gilt. Hält der austretungswillige Gesellschafter also mehr als 35%, so können die Stammanteile auch nicht auf die Gesellschaft übertragen werden – dem Gericht sind die Hände gebunden und der Austritt kann nicht bewilligt werden. Liegen also wichtige Austrittsgründe vor und hält der austretungswillige Gesellschafter mehr als 35% der Anteile, bleibt ihm als sicherer Ausweg nur noch die Auflösungsklage nach Art. 821 OR.
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II. AUFLÖSUNG DER GESELLSCHAFT
Gemäss Art. 821 Abs. 3 OR kann jeder Gesellschafter (unabhängig von seiner Beteiligung) beim Gericht die Auflösung der Gesellschaft aus wichtigem Grund verlangen. Auch diese Klage richtet sich gegen die Gesellschaft. Bezüglich des wichtigen Grundes kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Das Gesellschaftsverhältnis muss für den Gesellschafter auch hier absolut unzumutbar sein. Anders als bei der Austrittsklage nach Art. 822 OR sieht die gesetzliche Grundlage der Auflösungsklage allerdings vor, dass das Gericht auch eine andere sachgemässe und den Beteiligten zumutbare Lösung vorsehen kann, als die Gesellschaft von vorneweg aufzulösen. Das Gericht hat hier also einen gewissen Spielraum und kann – so zumindest gemäss der herrschenden Lehre – u.a. auch vorsehen, dass die Anteile des austrittswilligen Gesellschafters auf einen Mitgesellschafter übertragen wird und er unter den gegebenen Umständen eine Abfindung zum wirklichen Wert seiner Stammanteile erhält (nach Art. 825 OR).
Die Auflösungsklage ist hingegen subsidiär und damit stets das letzte Mittel. Es muss aufgezeigt werden können, dass der austrittswillige Gesellschafter keine andere Wahl hat, als die Gesellschaft gerichtlich auflösen zu lassen. Hierzu gehört insbesondere auch die Darlegung, dass eine Austrittsklage, welche ein milderes Mittel als die Auflösung der Gesellschaft wäre, im vorliegenden Fall nicht in Frage kommt.
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III. ABFINDUNG
Für die vom austretenden Gesellschafter ursprünglich geleisteten Einlagen auf die Stammanteile hat dieser nach Art. 825 OR Anspruch auf eine Abfindung zum wirklichen Wert seiner Stammanteile («innerer Wert» bzw. Verkehrswert). Der Abfindungsanspruch kann in den Statuten zwar abweichend geregelt werden, dies allerdings nur im Zusammenhang mit einem statutarischen Austrittsrecht. Sind in den Statuten also keine separat definierten Austrittsgründe enthalten, so ist auch keine abweichende Abfindung möglich, und es ist grundsätzlich der wirkliche Wert der Stammanteile geschuldet. Es gilt dabei zu bedenken, dass eine statutarisch abweichende Abfindungsbestimmung nicht willkürlich festgelegt werden darf und sie nicht unangemessen sein darf. Der Abfindungsanspruch im Zusammenhang mit einem statutarischen Austrittsrecht muss also stets einer objektiven Betrachtung standhalten können.
Der Anspruch auf Abfindung wird grundsätzlich mit dem Ausscheiden aus der Gesellschaft fällig. Dies bedingt allerdings, dass die Gesellschaft über genügend verwendbares Eigenkapital verfügt / die Stammanteile an einen Dritten veräussern kann / ihr Stammkapital unter Beachtung der entsprechenden Vorschriften herabsetzen darf (Art. 825a OR). Ist die Gesellschaft nicht in der Lage, die Abfindung zu begleichen, so erwirbt der ausscheidende Gesellschafter eine unverzinsliche Forderung gegen die Gesellschaft. Sobald wieder verfügbares Eigenkapital vorhanden ist, ist die Abfindung auszuzahlen.
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IV. WÜRDIGUNG
Stehen Gesellschafter einer GmbH in einer fortwährenden Konfliktsituation, die zu einem unzumutbaren Dauerzustand führt, so stehen den austrittswilligen Gesellschaftern durchaus Mittel zur Verfügung, um aus der Gesellschaft austreten zu können – auch wenn kein Käufer für seine Stammanteile gefunden werden kann. Der Weg führt allerdings über das Gericht und ist mit einer Klage gegen die Gesellschaft verbunden, welche sowohl finanziell als auch zeitlich aufwendig ist.
27. Oktober 2021 / MLaw Simone Küng