AKTIENREVISION 2023 – EINIGE WESENTLICHE ÄNDERUNGEN KURZ ZUSAMMENGEFASST

Lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin und MLaw Simone Kessler, Rechtsanwältin

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Am 1. Januar 2023 tritt die lang erwartete Revision des Aktienrechts in Kraft. Auch für KMU ergeben sich aus den neuen Gesetzesbestimmungen einige nützliche Chancen. Auf einzelne davon gehen wir nachstehend ein und zeigen auf, welche Möglichkeiten sich daraus ergeben können. Gleichzeitig informieren wir darüber, welche Vorkehrungen gegebenenfalls auf gesellschaftsrechtlicher Ebene getroffen werden müssen, damit ein Unternehmen von den neu geschaffenen Möglichkeiten profitieren kann.

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I. DAS KAPITALBAND

Ein wichtiger Eckpfeiler der Aktienrechtsrevision ist das in Art. 653s-653v revOR neu geschaffene Institut des Kapitalbands. Grob zusammengefasst weitet das Kapitalband für Aktiengesellschaften – und zwar nur für diese, Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) können nicht davon profitieren – die unter geltendem Recht bestehende Möglichkeit zur Schaffung von genehmigtem Aktienkapital aus.

Unter dem neuen Recht kann die Generalversammlung den Verwaltungsrat ermächtigen, innerhalb einer Frist von 5 Jahren flexibel und nach eigenem Gutdünken neues Aktienkapital zu schaffen oder bestehendes Aktienkapital zu reduzieren. Im Unterschied zur heutigen genehmigten Kapitalerhöhung (Art. 651 ff. OR) schafft das Kapitalband neu also auch die Möglichkeit einer sozusagen genehmigten Kapitalherabsetzung. Weiter können Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen – stets im Rahmen des zeitlichen Limits von neu 5 Jahren – auch beliebig kombiniert werden. Der Verwaltungsrat erhält damit viel mehr Flexibilität bei der Kapitalbeschaffung oder -reduktion, was insbesondere bei Projektfinanzierungen oder bei Unternehmensübernahmen und Fusionen hilfreich sein kann.

Wichtig zu wissen ist, dass das Kapitalband einer statutarischen Ermächtigung in den Statuten bedarf. Wird diese nun nachträglich in die Statuten eingeführt, bedarf es, wie jeder Statutenänderung, einer öffentlichen Beurkundung. Zudem bedarf der Beschluss einer qualifizierten Mehrheit von 2/3 der Aktienstimmen, die zugleich die Mehrheit der Aktiennennwerte auf sich vereinen (Art. 704 Abs. 1 Ziff. 5 revOR).

Weiter gilt es zu beachten, dass es Aktiengesellschaften, die im Rahmen eines Opting-outs auf die eingeschränkte Revision verzichtet haben, verwehrt ist, von den Möglichkeiten des Kapitalbands Gebrauch zu machen. Grund dafür ist der erweiterte Gläubigerschutz, der bei Kapitalherabsetzungen Platz greift. Auch wenn eine Kapitalherabsetzung generell (auch beim Kapitalband) nur erfolgen darf, wenn ein Revisor bestätigt hat, dass sämtliche Gläubigerforderungen gedeckt sind, soll sich der Revisor auf den Jahresabschluss verlassen dürfen. Und dieser weist nur dann eine erhöhte Glaubwürdigkeit aus, wenn er revidiert wurde.

Der Gestaltungsspielraum des Verwaltungsrats im Rahmen des Kapitalbands ergibt sich in den grundlegenden Zügen aus dem Gesetz. So darf die Erhöhung bspw. nicht unbeschränkt erfolgen, sondern nur um maximal 50% des im Handelsregister eingetragenen Aktienkapitals. Die gesetzliche Untergrenze des Aktienkapitals von mind. CHF 100’000.00 bleibt ebenfalls unangetastet. Aktiengesellschaften mit dem Mindestkapital von CHF 100’000.00 können damit nicht von einer Kapitalreduktion im Rahmen des Kapitalbands profitieren. Die Generalversammlung kann dem Verwaltungsrat indes weitere Regeln bei der Ausübung des Kapitalbands auferlegen. So hat die GV insb. die Möglichkeit, die Kapitalveränderungen nur einseitig, d.h. entweder im Sinne einer Kapitalerhöhung oder einer Kapitalherabsetzung, zu erlauben und eine flexible Gestaltung durch Kombination von Erhöhung und Herabsetzung auszuschliessen. Auch weitere Auflagen und Bedingungen sind möglich; die Generalversammlung ist hierbei weitgehend frei. Erforderlich ist aber, dass auch solche Auflagen und Bedingungen in den Statuten genau bezeichnet sind, sodass sie auch für eine Drittperson, bspw. das Handelsregisteramt bei der Eintragung der Kapitalveränderungen, überprüfbar sind. Missachtet der Verwaltungsrat diese statutarischen Bedingungen und Auflagen, ist sein Erhöhungs- oder Herabsetzungsbeschluss nichtig.

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II. FLEXIBLERE GESTALTUNG VON GENERALVERSAMMLUNGEN

Bei der Durchführung von Generalversammlungen bringt die Aktienrechtsrevision ebenfalls eine grössere Flexibilität. Zugleich sollen dadurch die Teilnahmerechte der Aktionäre gestärkt werden.

Einerseits ermöglicht die Revision neu, dass Geschäftsbericht und Revisionsbericht den Aktionären lediglich «zugänglich gemacht» werden und nicht mehr am Geschäftssitz physisch zur Einsicht aufgelegt werden. Auch die Einberufung und die Versammlung selbst können neu elektronisch bzw. physisch erfolgen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Statuten eine entsprechende Grundlage enthalten.

Die elektronische Ausübung der Stimmen an der Generalversammlung (sog. «direct voting») ist ohne eine statutarische Grundlage möglich; die diesbezügliche Entscheidungskompetenz liegt beim Verwaltungsrat, wobei er die Sicherheitsvorschriften gem. Art. 701e Abs. 2 revOR zu wahren hat. Diese Bestimmungen beinhalten, kurz zusammengefasst, dass (i) die Identität der Aktionäre in jedem Fall feststellbar ist. Diesbezüglich geht das Spektrum von der Vorweisung einer Identitätskarte bis hin zur Anwendung einer Gesichtserkennungssoftware. Weiter ist an der virtuellen Generalversammlung sicherzustellen, dass (ii) eine unmittelbare Übertragung der Voten erfolgt (sog. Unmittelbarkeitsprinzip), (iii) jeder Aktionär aktiv teilnehmen und auch Anträge stellen kann, und (iv) das virtuell getroffene Abstimmungsergebnis nicht verfälscht werden kann. Diese Voraussetzungen zeigen, dass es neu auch möglich ist, eine Generalversammlung ohne Bildübertragung, d.h. bspw. lediglich per Telefon, durchzuführen.

Soll nicht nur die Stimmabgabe virtuell erfolgen, sondern die Generalversammlung als solche virtuell durchgeführt werden, ist eine statutarische Grundlage erforderlich. Der Verwaltungsrat hat aber auch dann vorzusehen, dass die technischen Anforderungen die Teilnahme auch einem durchschnittlich begabten und mit technischen Hilfsmitteln ausgerüsteten Aktionär ermöglichen.

Das Rede- und Fragerecht an der virtuellen Generalversammlung ist selbstverständlich zu wahren. Somit muss eine unmittelbare Kommunikation in jedem Fall gewährleistet sein. Eine Durchführung per E-Mail ist somit nicht möglich, da diese das Unmittelbarkeitsprinzip nicht wahrt. Das gleiche Problem stellt sich bei der Übermittlung von Audiodateien. Bei kleineren Generalversammlungen ist daher zu überlegen, ob nicht eine Telefonkonferenz das einfachste, und den gesetzlichen Anforderungen grundsätzlich genügende, Mittel darstellt. Dies selbstverständlich vorausgesetzt, eine Identifizierung kann stattfinden, was bei kleineren Gesellschaften jedoch meist der Fall sein dürfte.

Kommt es bei der Durchführung einer virtuellen Generalversammlung zu grösseren technischen Problemen, muss die Versammlung, zumindest teilw., wiederholt werden. Denn unter technischen Problemen gefasste Beschlüsse sind ungültig. Hiervon zu unterscheiden sind Schwierigkeiten, die im Verantwortungsbereich der Aktionäre liegen. Diese machen die Beschlussfassung nicht ungültig. Zumindest dann nicht, wenn sie nicht einen Grossteil der Aktionäre betreffen, wie bspw. bei einem Stromausfall oder einem breitflächigen Ausfall / Unterbruchs des Internets. Die Abgrenzung zwischen Problemen im Verantwortungsbereich der Gesellschaft bzw. eben der Aktionäre dürfte im Einzelfall schwierig sein und die Gesellschaften vor neue Herausforderungen stellen.

Bei der physischen Durchführung einer Generalversammlung ist neu, dass diese nun auch an mehreren Orten gleichzeitig stattfinden darf. Die Lehre liess dies zwar bereits unter geltendem Recht zu, sofern sachliche Gründe vorlagen. Die Aktienrechtsrevision schafft nun die Rechtssicherheit, dass diese Möglichkeit auch ohne das Vorliegen sachlicher Gründe möglich ist. Allerdings muss sichergestellt sein, dass die Versammlungen alle gleichzeitig durchgeführt werden und sämtliche Voten von allen Teilnehmern unmittelbar in Bild und Ton übertragen werden können. Bedürfen so gefasste Beschlüsse der öffentlichen Beurkundung, reicht es aus, wenn sich der beurkundende Notar an einem der diversen physischen Tagungsorte befindet und von dort aus die Beschlüsse, die über virtuelle Übertragung auch an anderen Tagungsorten gefasst werden, beurkundet.

Der Tagungsort oder einer der Tagungsorte darf auch im Ausland liegen, soweit die Ausübung der Aktionärsrechte dadurch nicht in unsachlicher Weise erschwert wird. Voraussetzung ist auch hier, dass die Statuten diese Möglichkeit ausdrücklich vorsehen. Die betreffende Bestimmung bedarf der Zustimmung der Generalversammlung und zwar mit qualifizierter Mehrheit, d.h. mit 2/3 der Aktienstimmen und der Mehrheit der Aktiennennwerte. Weiter hat der Verwaltungsrat einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter zu bezeichnen, welcher auf Wunsch hin die Stimmen der nicht anwesenden Aktionäre ausübt. Weiter ist zu beachten, dass Beschlüsse, die der öffentlichen Beurkundung unterliegen, nicht von einem Schweizer Notar beurkundet werden können. Es gilt die Gesetzgebung am Tagungsort.

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III. WEITERE NEUERUNGEN IM ÜBERBLICK

Ebenfalls Teil der Gesetzesrevision sind Änderungen der Kompetenzen von Generalversammlung und Verwaltungsrats. Insbesondere wenn die Statuten lediglich Abschriften der bisherigen Gesetzesbestimmungen zu den Kompetenzen der Generalversammlung (Art. 698 OR) und/oder deren Abstimmungsquoren (Art. 704 OR) enthalten, empfiehlt es sich daher, die Statuten ans neue Gesetz anzupassen. Andernfalls könnten Unstimmigkeiten zwischen den Statuten und dem Gesetz zu Unklarheiten führen.

Neu hat die Generalversammlung folgende Kompetenzen (Art. 698 revOR):

  • Festsetzung der Zwischendividende und Genehmigung des dafür erforderlichen Zwischenabschlusses: Neu wird die Zulässigkeit einer Zwischendividende (sog. Interimsdividende) explizit im Gesetz verankert. Es gelten allerdings dieselben Voraussetzungen wie bei der ordentlichen Dividendenausschüttung. So müssen vorab Zuweisungen an die gesetzlichen und freiwilligen Reserven erfolgen. Weiter muss vor der Beschlussfassung durch die Generalversammlung ein Zwischenabschluss erstellt und von der Revisionsstelle geprüft werden, sofern die Gesellschaft der Revisionspflicht untersteht.

  • Beschlussfassung über die Rückzahlung der gesetzlichen Kapitalreserve: Das Bundesgericht hat bereits festgehalten, dass Kapitalreserven unter gewissen Umständen an die Aktionäre ausgeschüttet werden dürfen. Die diesbezügliche Beschlussfassung obliegt nun der Generalversammlung.

  • Dekotierung der Beteiligungspapiere der Gesellschaft: Bisher konnte diese vom Verwaltungsrat beschlossen werden, neu liegt die Beschlussfassungskompetenz bei der Generalversammlung.

  • Genehmigung des Berichts über nichtfinanzielle Belange nach Art. 964c OR. Der Bericht über nichtfinanzielle Belange gibt Rechenschaft über Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange sowie über die Achtung der Menschenrechte und zur Bekämpfung von Korruption. Es ist durch die Generalversammlung zu genehmigen.

Neu ist entsprechend auch der Katalog an Beschlüssen, die dem qualifizierten Mehr von 2/3 der vertretenen Aktionärsstimmen und der Mehrheit der Aktiennennwerte bedarf. Der Katalog wird um folgende Bestimmungen ergänzt (Art. 704 revOR):

  • Die Zusammenlegung von Aktien, soweit dafür nicht die Zustimmung aller betroffenen Aktionäre erforderlich ist: Bisher bedurfte die Zusammenlegung von Aktien der Zustimmung sämtlicher Aktionäre, was sich in der Praxis je nach Ausgestaltung des Aktionariats als nicht praktikabel erwiesen hat. Entsprechend wurde das Quorum von Einstimmigkeit auf die qualifizierte Stimmenmehrheit gesenkt.

  • Die Kapitalerhöhung durch Verrechnung mit einer Forderung (sog. Verrechnungsliberierung): Neu ist die Verwendung von Forderungen von Gläubigern, die nicht vollständig durch Aktiven der Gesellschaft gedeckt sind, explizit zugelassen (Art. 634a Abs. 2 revOR).

  • Die Einführung eines bedingten Kapitals oder die Einführung eines Kapitalbands: Diesbezüglich wird auf die vorstehenden Ausführungen in Ziff. I. verwiesen.

  • Die Umwandlung von Partizipationsscheinen in Aktien: Die Umwandlung von Partizipationsscheinen war bereits vor der Gesetzesrevision zulässig; eine entsprechende gesetzliche Bestimmung fehlte hingegen bis anhin, was nun nachgeholt wurde.

  • Der Wechsel der Währung des Aktienkapitals: Neu ist es unter bestimmten Bedingungen möglich, das Aktienkapital der Gesellschaft in einer Fremdwährung festzulegen, wobei dieses dem Gegenwert von CHF 100’000.00 entsprechen muss. Dabei wird auf den Umrechnungskurs im Zeitpunkt der Beurkundung abgestellt.

  • Die Einführung des Stichentscheids des Vorsitzenden in der Generalversammlung: Diese Möglichkeit bestand auch ohne explizite gesetzliche Regelung und damit bereits vor der Aktienrechtsrevision. Gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der Stichentscheid in Generalversammlungen bei bestimmten, für den Minderheitenschutz wichtigen Geschäften nicht zulässig (z.B. bei der Wahl der Revisionsstelle; vgl. BGE 143 III 120). Wie sich diese Rechtsprechung zum neu eingeführten Gesetzesartikel (Art. 703 Abs. 2 revOR) verhält, ist zum heutigen Zeitpunkt unklar. Sicherheitshalber sollte man bei Abstimmungen, die den Minderheitenschutz betreffen, nicht auf den Stichentscheid abstellen.

  • Die Dekotierung der Beteiligungspapiere der Gesellschaft: Diesbezüglich wurde das Quorum erhöht – zuvor stand dieser Beschluss dem Verwaltungsrat zu, was nun neu von der Generalversammlung mit qualifiziertem Mehr beschlossen werden muss.

  • Die Einführung einer statuarischen Schiedsklausel: Neu kann in den Statuten vorgesehen werden, dass bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten der Gesellschaft ausschliesslich ein Schiedsgericht zuständig sein soll.

Weiter sieht die Aktienrechtsrevision auch einige Änderungen bei den Kompetenzen des Verwaltungsrats vor. Explizit im Gesetz kodifiziert ist ab dem 1. Januar 2023, dass auch der Verwaltungsrat elektronische Versammlungen abhalten kann. Weiter bedarf eine allfällige Übertragung der Geschäftsführung auf einzelne Mitglieder oder Dritte keiner statuarischen Grundlage mehr. Nach wie vor muss jedoch eine allfällige Delegation von Verwaltungsratsaufgaben in einem Organisationsreglement festgehalten werden.

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15. Dezember 2022  / lic. iur. Patricia Geissmann und MLaw Simone Kessler