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BERECHNUNG DES BETREUUNGSUNTERHALTS GEMÄSS GRUNDSATZENTSCHEID DES BUNDESGERICHTS NEU GEMÄSS DEM «SCHULSTUFENMODELL»

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Mit Urteil vom 21. September 2018 (5A_384/2018) fällt das Bundesgericht nach dem wegweisenden Urteil vom 17. Mai 2018 (5A_454/2017) einen weiteren Grundsatzentscheid bezüglich der Anwendung des seit 1. Januar 2017 geltenden, revidierten Kinderunterhaltsrechts und hält fest, dass für die Festlegung des Betreuungsunterhalts die zumutbare Erwerbstätigkeit des die Kinder betreuenden Elternteils grundsätzlich das «Schulstufenmodell» anzuwenden ist. Damit wird die bisher höchstrichterlich geltende sogenannte 10/16-Regel hinfällig, die besagte, dass der Elternteil, dem bei der Trennung oder Scheidung die Kinder in Obhut gegeben wurden und der bislang keiner Erwerbstätigkeit nachging, ab dem 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes ein Arbeitspensum von 50 % und ab dessen 16. Lebensjahr eine Vollzeitstelle aufnehmen müsse. Das Bundesgericht definiert die zumutbare Ausschöpfung der Eigenversorgungskapazität des hauptbetreuenden Elternteils damit neu, lässt jedoch Raum für richterliches Ermessen im Einzelfall.

I. AUSGANGSLAGE

Mit der Revision des Kindesunterhaltsrechts per 1. Januar 2017 wurde im Rahmen des Kindesunterhalts nebst den direkten Kosten des Kindes für Nahrung, Kleidung, Wohnen, Hobbies etc. neu auch der Betreuungsunterhalt eingeführt. Der Betreuungsunterhalt soll die indirekten Kosten, die aufgrund der persönlichen Betreuung der Kinder durch einen Elternteil entstehen, wenn dieser Elternteil während der Betreuungszeit keiner eigenen Erwerbstätigkeit nachgehen kann, abdecken. Unabhängig vom Zivilstand der Eltern werden damit die finanziellen Folgen aus dem Zeitaufwand für die persönliche Kinderbetreuung den Eltern gemeinsam auferlegt. Vor der Revision des Kindesun- terhaltsrechts wurden persönliche Betreuungsleistungen einzig bei verheirateten Eltern – über den ehelichen oder nachehelichen Unterhalt – abgegolten. Im Sinne der bisher geltenden 10/16-Regel musste der Elternteil, dem bei der Trennung oder Scheidung die Kinder in Obhut gegeben wurden und der bislang keiner Erwerbstätigkeit nachging, ab dem 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes ein Arbeitspensum von 50 % und ab dessen 16. Lebensjahr eine Vollzeitstelle aufnehmen, resp. wurde ihm im Rahmen der Unterhaltsberechnung ein entsprechendes hypothetisches Einkommen angerechnet.

II. GRUNDSATZ: «SCHULSTUFENMODELL» ANSTELLE DER BISHER GELTENDEN 10/16-REGEL

Das Bundesgericht kommt in seinem aktuellen Entscheid zum Schluss, dass die bisher geltende 10/16-Regel einerseits für den Betreuungsunterhalt nicht sachgerecht und andererseits auch nicht mehr der heutigen gesellschaftlichen Realität entsprechend sei. Es hält fest, dass gemäss der Botschaft des Bundesrates zum neuen Kindesunterhaltsrechts die Eigen- und Fremdbetreuung von Kindern grundsätzlich gleichwertig seien, und kommt zum Schluss, dass in diesem Sinne keine verallgemeinerungsfähige Vermutung zugunsten des einen oder anderen Betreuungsmodells bestehe. Die Eltern würden grundsätzlich darüber entscheiden, welche Betreuungsform für ihre Kinder geeignet sei und wie sich der zeitliche Umfang von Eigen- und Fremdbetreuung im konkreten Fall gestalte. Das Bundesgericht hält fest, dass das Kindeswohl jedoch nach klaren und stabilen Verhältnissen verlange, weshalb bei fehlender Einigung der Eltern im Trennungs- oder Scheidungsfall gestützt auf das Kontinuitätsprinzip in einer ersten Phase das von den Eltern vor der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts vereinbarte, resp. gelebte, Betreuungsmodell fortzuführen sei. Für die weitere Zeit oder wenn keine elterliche Vereinbarung über das Betreuungsmodell für die Kinder besteht, erklärt das Bundesgericht neu das «Schulstufenmodell» als anwendbar. Gestützt darauf soll der hauptbetreuende Elternteil ab der obligatorischen Einschulung des jüngsten Kindes (in der Mehrheit der Kantone, u.a. im Kanton Aargau, ab Eintritt in den Kindergarten, in verschiedenen Kantonen aber nach wie vor ab dem eigentlichen Schuleintritt) grundsätzlich zu 50 % einer Erwerbstätigkeit nachgehen, ab dem Eintritt des jüngsten Kindes in die Sekundarstufe einer solchen zu 80 % sowie ab dem vollendeten 16. Altersjahr des jüngsten Kindes in einem 100 %-Pensum erwerbstätig sein. Das Bundesgericht führt zum neu anwendbaren «Schulstufenmodell» aus, dass der hauptbetreuende Elternteil mit der Einschulung des Kindes während der Schulzeit von der persönlichen Betreuung des Kindes entlastet werde und sich die schulische Betreuung des Kindes im Laufe der Jahre ausdehne. Dieser Umstand sowie die allgemeine (altersentsprechende) Entwicklung des Kindes liessen eine Erweiterung des zumutbaren Erwerbspensums des hauptbetreuenden Elternteils im Sinne einer Richtlinie nach Schulstufen des Kindes als angezeigt erscheinen.

III. RICHTERLICHES ERMESSEN

Vom Grundsatz des «Schulstufenmodells» kann der Richter bei zureichenden Gründen im Rahmen seiner Ermessensausübung im Einzelfall abweichen, so wenn bspw. bei mehreren Kindern die verbleibende ausserschulische Betreuungslast (Aufgabenhilfe, Vorkehrungen im Krankheitsfall, Kindergeburtstage, Ausübung von Hobbies etc.) ungleich grösser sind als bei nur einem Kind und eine Erhöhung der Erwerbstätigkeit des hauptbetreuenden Elternteils nach dem «Schulstufenmodell» als nicht zumutbar erscheint. Das Bundesgericht weist im Zusammenhang mit der Ermessensausübung des Richters ausserdem darauf hin, dass sich eine erhöhte Betreuungslast bspw. auch durch eine Behinderung des Kindes ergeben kann. Darüber hinaus, insbesondere auch für Kinder im Vorschulalter, hat der Richter gemäss Bundesgericht zu prüfen, ob im konkreten Einzelfall angemessene vor- oder ausserschulische Betreuungsangebote bestehen, die den hauptbetreuenden Elternteil von der persönlichen Betreuung des Kindes entlasten können. Diese Prüfung ist gemäss Bundesgericht insbesondere dann vorzunehmen, wenn im konkreten Einzelfall knappe finanzielle Mittel vorliegen und eine Aufnahme/ Ausdehnung der Erwerbstätigkeit des hauptbetreuenden Elternteils ökonomisch sinnvoll erscheint, d.h. wenn dieser trotz den Kosten für eine angemessene Drittbetreuung ein eigenes Einkommen erwirtschaften kann.

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3. Oktober 2018 / lic. iur. Melanie Schmidt

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