DIE ANFECHTUNG ERBVERTRAGSWIDRIGER SCHENKUNGEN NACH ART. 494 ABS. 3 ZGB

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und MLaw Kim Hirzel, Rechtspraktikantin

Mit der per 1. Januar 2023 in Kraft getretenen (und auf alle nach diesem Datum eintretenden Todesfälle anwendbaren) Erbrechtsrevision wurde auch Art. 494 Abs. 3 ZGB revidiert. Art. 494 ZGB befasst sich mit dem Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag. Art. 494 Abs. 2 ZGB statuiert, dass der Erblasser auch nach dem Abschluss von Erbeinsetzungs- oder Vermächtnisverträgen grundsätzlich frei über sein Vermögen verfügen kann. Im Sinne eines eigentlichen Paradigmenwechsels schränkt der revidierte Art. 494 Abs. 3 ZGB diesen Grundsatz allerdings erheblich ein.

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I. GRUNDLEGENDE ÄNDERUNGEN MIT DEM REVIDIERTEN ART. 494 ABS. 3 ZGB

Nach bisherigem Recht galt vorbehältlich gegenteiliger Vereinbarungen im Erbvertrag grundsätzlich eine Schenkungsfreiheit des Erblassers. Eine erfolgreiche Anfechtung von Schenkungen (oder anderen lebzeitigen Zuwendungen) war sowohl nach herrschender Lehre wie auch nach der Rechtsprechung an strenge Voraussetzungen gebunden. Mit Inkrafttreten des revidierten Art. 494 Abs. 3 ZGB ändert sich dies grundlegend. Art. 494 Abs. 3 ZGB sieht neu vor, dass neben sämtlichen den Erbvertrag verletzenden Verfügungen von Todes wegen auch jegliche Zuwendungen unter Lebenden anfechtbar sind, sofern sie mit Verpflichtungen aus einem früheren Erbvertrag nicht vereinbar sind und kein entsprechender Vorbehalt im Erbvertrag vorgesehen ist. Im Gegensatz zur grundsätzlichen Schenkungsfreiheit nach bisherigem Recht ergibt sich aus dem neuen Gesetzestext ein grundsätzliches Schenkungsverbot.

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II. SACHLICHER ANWENDUNGSBEREICH DER ANFECHTUNG NACH ART. 494 ABS. 3 ZGB

Der Gesetzestext sieht vor, dass erbvertragsverletzende lebzeitige Zuwendungen der Anfechtung unterliegen, sofern kein entsprechender Vorbehalt im massgebenden Erbvertrag angebracht wurde. Unter solche lebzeitige Zuwendungen fallen Schenkungen, das heisst Zuwendungen aus dem Vermögen des Schenkenden, ohne dass dieser dafür eine adäquate Gegenleistung erhält (Art. 239 OR). Anwendbar ist die neue Bestimmung daher auch auf sog. gemischte Schenkungen.

Explizit nicht erfasst von Art. 494 Abs. 3 ZGB sind einzig Gelegenheitsgeschenke. Als Gelegenheitsgeschenke gelten Schenkungen, die anlässlich einer besonderen Gelegenheit getätigt werden (wie beispielsweise Geburtstage, Weihnachten, Hochzeiten, etc.) oder allgemein als Kleinzuwendungen definiert werden können. Ob eine Schenkung als Kleinzuwendung gilt, ist im Einzelfall anhand der Gesamtumstände zu beurteilen. Als Faustregel wird in der Lehre vertreten, dass ein übliches Gelegenheitsgeschenk unter einem Wert von CHF 500.00 liegt oder höchstens 1% des Nachlasses beträgt, wobei die Grenze von CHF 5’000.00 nicht überschritten werden dürfe (vgl. BK-EITEL zu Art. 632 ZGB N 11).

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III. SCHENKUNGSVORBEHALT

Der bzw. die Erblasser (bspw. sich begünstigende Ehegatten) haben allerdings die Möglichkeit, im Erbvertrag einen Schenkungsvorbehalt zu vereinbaren, der es erlaubt, lebzeitige Zuwendungen (unbeschränkt oder in einer vereinbarten Höhe) vorzunehmen, ohne dass diese von den erbvertraglich Begünstigten im Nachhinein nach Art. 494 Abs. 3 ZGB angefochten werden können (vgl. Art. 494 Abs. 3 Ziff. 2 ZGB). Solche Schenkungsvorbehalte sollten klar und unmissverständlich sein.

IV. ANFECHTUNG UND RÜCKLEISTUNGSPFLICHT

Der erbvertragswidrig Begünstigte ist (analog zu Art. 528 Abs. 1 ZGB) bei Gutgläubigkeit nur in dem Umfang zur Rückerstattung der vertragswidrigen lebzeitigen Zuwendung verpflichtet, als er ihm Zeitpunkt des Erbganges noch bereichert ist (vgl. PraxKomm Erbrecht-Grundmann zu Art. 494 ZGB N 29c; BGE 101 II 305 ff.). Gutgläubig ist der Begünstigte, wenn er nicht wusste und auch nicht damit rechnen musste, dass die Schenkung erbvertragliche Bestimmungen verletzt (PraxKomm Erbrecht-Hrubesch-Millauer zu Art. 528 ZGB N 3 f.).

V. ZEITLICHER ANWENDUNGSBEREICH DER ANFECHTUNG NACH ART. 494 ABS. 3 ZGB

Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine Schenkung unter Art. 494 Abs. 3 ZGB fällt, ist das Ableben des Erblassers (sog. Todestagsprinzip; Art. 15/16 SchIT). Verstarb bzw. verstirbt der Erblasser nach Inkrafttreten der Gesetzesrevision, d.h. nach dem 31. Dezember 2022, so sind das revidierte Recht und damit auch Art. 494 Abs. 3 ZGB anwendbar. Im umgekehrten Fall, d.h. falls der Erblasser vor dem 1. Januar 2023 verstorben ist, gilt das bisherige Recht.

Da an den Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers angeknüpft wird, ist es möglich, dass erbvertragswidrige Schenkungen der Anfechtung nach Art. 494 Abs. 3 ZGB unterliegen, obwohl diese vor der Gesetzesrevision erfolgt und vom Erblasser (und dem Begünstigten) als zulässig erachtet wurden. Diese faktische Rückwirkung kann ungewollte (und ungerechte) Folgen haben. Es wird sich zeigen, ob und wie Lehre und Rechtsprechung insoweit ein Korrektiv finden: Zu denken ist beispielweise an eine grosszügige Auslegung der (nicht gewollten) Bindungswirkung unter altem Recht abgeschlossener Erbverträge.

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VI. FAZIT

Zusammenfassend hat der revidierte Art. 494 Abs. 3 ZGB bedeutenden Änderungen und Auswirkungen in der Nachlassplanung zur Folge. Im Gegensatz zur bisherigen Schenkungsfreiheit sind nun auch erbvertragswidrige Zuwendungen zu Lebzeiten grundsätzlich anfechtbar, sofern es sich nicht um blosse Gelegenheitsgeschenke handelt oder ein (ausreichend klarer) Vorbehalt im Erbvertrag angebracht wurde.

Bestehende Erbverträge sollten dringlich überprüft und gegebenenfalls – sofern noch möglich – abgeändert (oder wenigstens letztwillig ergänzt) werden, um eine nicht dem Willen der Erbvertragsparteien entsprechende Rechtslage und ungewollte Anfechtungs-klagen zu verhindern.

Wer seinen Nachlass neu erbvertraglich regelt, hat der neuen Rechtslage unbedingt Rechnung zu tragen und sollte sich diesbezüglich fachmännisch beraten zu lassen.

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4. Dezember 2024 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und MLaw Kim Hirzel, Rechtspraktikantin




DURCHSETZUNG VON VERMÄCHTNISSEN

MLaw Jeanine Bopp, Rechtsanwältin

Wird nach dem Tod des Erblassers strittig, ob dem Vermächtnisnehmer das Vermächtnis ausgerichtet werden soll, stellt sich für den Vermächtnisnehmer die Frage, wie er seinen Vermächtnisanspruch durchsetzen kann und welche Fristen dabei zu beachten sind. Für die Erben hingegen stellt sich die Frage, ob und welche Einwendungen sie gegen den Vermächtnisanspruch geltend machen können.

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I. DEFINITION DES VERMÄCHTNISSES

Wendet der Erblasser einem Bedachten einen Vermögensvorteil zu, ohne diese Person als Erben einzusetzen, liegt ein Vermächtnis vor (Art. 484 Abs. 1 Zivilgesetzbuch [ZGB]). Der zugewendete Vermögensvorteil kann in jedem erdenklichen Vermögenswert bestehen, beispielsweise in einer bestimmten Sache oder – sehr häufig – in einem Geldbetrag (Art. 484 Abs. 2 ZGB). Im Einzelnen kann die Abgrenzung, ob der Erblasser eine Erbeinsetzung oder eine Vermächtniszuwendung verfügt hat, schwierig sein. Da mit dieser Unterscheidung bzw. der entsprechenden Qualifikation jedoch unterschiedliche Rechtswirkungen verbunden sind, empfiehlt es sich, im Zweifelsfall eine Fachperson für die Auslegung der letztwilligen Verfügung beizuziehen.

II. DURCHSETZUNGSMÖGLICHKEITEN

Zur Ausrichtung des Vermächtnisses ist – eine gegenteilige Anordnung des Erblassers vorbehalten – die Erbengemeinschaft, bestehend aus allen bedachten Personen mit Erbenstellung, verpflichtet (Art. 562 Abs. 1 ZGB). Die Vermächtnisforderung wird fällig, sobald die Erben die Erbschaft angenommen haben oder sie nicht mehr ausschlagen können (z.B. infolge Fristablaufs; vgl. Art. 562 Abs. 2 ZGB), und verjährt grundsätzlich nach 10 Jahren (Art. 127 OR). In Bezug auf die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs ist unterscheiden, ob es sich dabei um eine Sach- oder Geldforderung handelt. Ersterenfalls steht nur der Weg über die sogenannte Vermächtnisklage offen, letzterenfalls kann zudem unter Umständen erfolgreich eine Betreibung eingeleitet werden.

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III. BETREIBUNGSVERFAHREN

Unter gewissen Voraussetzungen kann der Vermächtnisnehmer seinen Vermächtnisanspruch auf dem (relativ unkomplizierten und vergleichsweise raschen) Betreibungsweg geltend machen. Vorausgesetzt wird insbesondere, dass der Erblasser letztwillig (1) ein Geldlegat verfügt hat, das ziffernmässig bestimmt oder einfach bestimmbar ist; (2) keine Vorbehalte oder Bedingungen an das Vermächtnis geknüpft wurden; (3) zur Ausrichtung des Vermächtnisses ein oder mehrere bestimmte/r Erbe/n verpflichtet worden ist/sind (Urteil des Bundesgerichts 5A_108/2009 vom 06.04.2009 E. 2.5). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann gegen die belasteten Erben erfolgreich ein Betreibungsverfahren durchgeführt werden.

IV. VERMÄCHTNISKLAGE

Mit der Vermächtnisklage kann der Vermächtnisnehmer die Aushändigung des ihm vom Erblasser zugewendeten Vermögenswerts durchsetzen (Art. 601 ZGB), indem die Erben gerichtlich zur Vornahme der entsprechenden Vollzugs- bzw. Übertragungshandlung verpflichtet werden. Bei einem Sachlegat ist die Vermächtnisklage zwingend gegen alle Erben zu richten, bei einem Geldlegat kann grundsätzlich ein einzelner Erbe ins Recht gefasst werden (z.B. Urteil des Bundesgerichts 5A_69/2021 vom 07.01.2022 E. 4.3.2.), was insbesondere unter Vollstreckungsgesichtspunkten bei ausländischem Wohnsitz der übrigen Erben von Vorteil sein kann.

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V. EINWENDUNGEN GEGENDEN VERMÄCHTNISANSPRUCH

Die Erben können unterschiedliche Einwendungen gegen die Vermächtnisforderung vorbringen. Beispielsweise könnte die das Vermächtnis enthaltende letztwillige Verfügung des Erblassers an sich ungültig oder nichtig sein, womit auch der Vermächtnisanspruch dahinfallen würde. Solche Ungültigkeitsgründe sind beispielsweise die Urteilsunfähigkeit des Erblassers (Art. 519 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. Art. 467 f. ZGB), ein Willensmangel des Erblassers (Art. 519 Abs. 1 Ziff. 2 i.V.m. Art. 469 ZGB), die Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung bzw. der entsprechenden Vermächtnisklausel (Art. 519 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB) oder Formfehler der letztwilligen Verfügung (Art. 520 f. i.V.m. Art. 498 ff. ZGB). Bei extremen Fällen der Ungültigkeit kann sogar Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung vorliegen, welche jederzeit von Amtes wegen zu berücksichtigen ist.

Ein pflichtteilsgeschützter Erbe kann zudem die Herabsetzungseinrede geltend machen, wenn ihm infolge der Ausrichtung des Vermächtnisses an den Vermächtnisnehmer weniger als die Höhe seines Pflichtteils verbleiben würde (Art. 522 Abs. 1 ZGB). Diese Einrede hat zur Folge, dass das Vermächtnis auf das rechtlich zulässige Mass herabgesetzt bzw. gekürzt wird.

Die vorgenannten Einwendungen müssen grundsätzlich innert Jahresfrist klageweise geltend gemacht werden (vgl. Art. 521 Abs. 1, Art. 533 Abs. 1 ZGB). Die Erben können diese Einwendungen allerdings auch zeitlich unbefristet einredeweise – beispielsweise im Rahmen einer Vermächtnisklage des Vermächtnisnehmers – zur Abwehr des Vermächtnisanspruchs geltend machen (vgl. Art. 521 Abs. 3, Art. 533 Abs. 1 und 3 ZGB).

Weiter können die Erben gegen die Person des Vermächtnisnehmers die Einwendung vorbringen, dass dieser infolge Erbunwürdigkeit keinen Anspruch aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers ableiten könne. Ein solcher Erbunwürdigkeitsgrund liegt insbesondere dann vor, wenn der Vermächtnisnehmer den Erblasser unter Täuschung oder Drohung zur Errichtung bzw. zum Widerruf der letztwilligen Verfügung veranlasst (vgl. Art. 540 Abs. 1 ZGB).

Schliesslich können die Erben einwenden, dass sich die vom Erblasser an den Vermächtnisnehmer vermachte Sache zum Zeitpunkt des Erbgangs nicht (mehr) im Nachlass befand (z.B. weil sie der Erblasser bereits vor seinem Tod veräussert hatte), wodurch das Vermächtnis als widerrufen gilt und die Erben grundsätzlich nicht verpflichtet sind, die vermachte Sache zu besorgen und dem Vermächtnisnehmer auszurichten (vgl. Art. 484 Abs. 3 ZGB).

VI. FAZIT

Der Vermächtnisnehmer kann sich grundsätzlich während 10 Jahren seit Kenntnis des Vermächtnisses (oder ab dessen Fälligkeit, falls diese zu einem späteren Zeitpunkt eintritt) der sogenannten Vermächtnisklage bedienen, um die Ausrichtung des Vermächtnisses gerichtlich einzufordern. Bei einem Geldlegat kann unter gewissen Voraussetzung zudem der Betreibungsweg beschritten werden. Der Vermächtnisnehmer ist darüber hinaus gut beraten, daran zu denken, ob der umstrittene Vermächtnisanspruch allenfalls autoritativ sichern zu lassen ist (z.B. Grundbuchsperre bei Grundstücken oder Kontosperre von Erblasserkonten), falls die begründete Besorgnis besteht, dass das Nachlassvermögen durch die Erben beiseitegeschafft werden könnte.

Andererseits haben die Erben die Möglichkeit, Einwendungen gegen den Vermächtnisanspruch zu erheben. Sie können insbesondere die Ungültigkeit/Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung oder die Erbunwürdigkeit des Vermächtnisnehmers geltend machen sowie vorbringen, ihre Pflichtteile seien aufgrund der Höhe des Vermächtnisses verletzt, um dieses auf das erlaubte Mass herabsetzen zu lassen. Die Erben können die Einwendungen aktiv, d.h. klageweise, geltend machen (meist innert Jahresfrist) – müssen dies grundsätzlich aber nicht, sondern können sie auch jederzeit einredeweise in einem vom Vermächtnisnehmer eingeleiteten Vermächtnisklageverfahren und/oder Betreibungsverfahren vorbringen.


16. Oktober 2024 / MLaw Jeanine Bopp, Rechtsanwältin




NACHEHELICHER UNTERHALT – WIE LANGE BESTEHT DIE NACHEHELICHE UNTERHALTSPFLICHT?

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV, und MLaw Kim Hirzel, Rechtspraktikantin

Nachehelicher Unterhalt – wie lange muss man zahlen, wie lange bekommt man nach der Scheidung finanzielle Unterstützung?

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I. AUSGANGSLAGE

Lassen sich zwei Ehegatten scheiden, so endet grundsätzlich auch ihre gegenseitige eheliche (finanzielle) Unterstützungspflicht. Ist es einem Ehegatten jedoch nicht zuzumuten, für seinen ihm gebührenden Unterhalt vollständig selber aufzukommen, so ist nach Art. 125 Abs. 1 ZGB der andere aus «nachehelicher Solidarität» dazu verpflichtet, ihm einen angemessenen Beitrag zu leisten. Das Vorliegen einer nachehelichen Unterhaltspflicht sowie dessen Höhe und Dauer richtet sich nach bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Kriterien, welches das Bundesgericht jüngst konkretisiert hat.

Folgende Punkte sind von Gesetzes wegen für die Festlegung des nahehelichen Unterhalts massgebend:

–        die Aufgabenteilung während der Ehe;

–        die Dauer der Ehe;

–        die Lebensstellung während der Ehe;

–        das Alter und die Gesundheit der Ehegatten;

–        das Einkommen und Vermögen der Ehegatten;

–        die berufliche Ausbildung und Erwerbsaussichten der Ehegatten;

–        der Umfang und die Dauer der von den Ehegatten noch zu leistenden Betreuung der Kinder;

–        der Aufwand für die berufliche Eingliederung des potenziell unterhaltsberechtigten Ehegatten;

–       die Anwartschaften aus der Alters- und Hinterlassenenversicherung und der beruflichen oder anderweitig privaten oder staatlichen Vorsorge.

Das Bundesgericht beachtet ausserdem in seiner Rechtsprechung, ob die Ehe lebensprägend war oder nicht. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine Ehe lebensprägend, wenn die Ehe aufgrund verschiedener Faktoren das Leben der Ehegatten in massgebender Weise geprägt hat, weil beispielsweise der eine Ehegatte sich vorwiegend um die Erziehung der Kinder gekümmert hat und dadurch auf die Verfolgung der eigenen beruflichen Karriere verzichtet wurde. Hinsichtlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung nach der Ehe liegt es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts festzulegen, wie lange der Unterhaltspflichtige nachehelichen Unterhalt an den anderen Ehegatten zu leisten hat. Unbestritten ist jedoch, dass kein Anspruch auf lebenslängliche finanzielle Gleichstellung der Ehegatten bestehen kann, da dies der ehelichen Unterhalts- und Unterstützungspflicht gleichkommen würde, obwohl die Ehegatten geschieden sind. Es stellt sich demnach die Frage, nach welchen Kriterien die Dauer der nachehelichen Unterhaltspflicht festzulegen ist

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II. ZEITLICHE BEGRENZUNG DES NACHEHELICHEN UNTERHALTS

Im aktuellen Entscheid BGer 5A_801/2022 vom 10. Mai 2022 hat sich das Bundesgericht unter anderem mit der Frage der zeitlichen Begrenzung des nachehelichen Unterhalts auseinandergesetzt. Gemäss Bundesgericht sei insbesondere die Dauer des ehelichen Zusammenlebens für die Unterhaltsdauer massgebend.

Je kürzer die Ehe gelebt wurde, desto weniger einschneidend erscheint in der Regel die Umgewöhnung in den getrennten Haushalt. Dementsprechend ist auch die Unterhaltspflicht weniger lange aufrechtzuerhalten. Umgekehrt erscheint es gerechtfertigt, bei längerem ehelichem Zusammenleben die Unterhaltspflicht länger bestehen zu lassen und das Vertrauen des anspruchsberechtigen Ehegatten in den Fortbestand der Ehe zu würdigen.

Für den Unterhaltsschuldner gilt es weiter zu berücksichtigen, ob dieser von der während der Ehe gelebten Aufgabenteilung in seiner beruflichen Tätigkeit profitieren konnte. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn der Unterhaltspflichtige durch die Entlastung des anderen Ehegatten während der Ehe beruflich aufsteigen konnte, was ihm eine Einkommenssteigerung ermöglichte. Fällt diese Einkommenssteigerung besonders gross aus, so rechtfertigt sich eine länger andauernde Unterhaltspflicht.

Auf Seiten des Unterhaltgläubigers gilt es zu berücksichtigen, über welche potenzielle Erwerbskraft er verfügen würde, wenn er seine Arbeitstätigkeit nicht aufgrund der ehelichen Aufgabenteilung und Lebensplanung aufgegeben oder eingeschränkt hätte. Massgebend ist jedoch, dass die eingeschränkte Erwerbskraft ehebedingt und nicht beispielsweise gesundheitsbedingt ist, denn letzteres hat nichts mit der Ehe an sich zu tun. Abgesehen davon können aber auch das Alter, der Gesundheitszustand und die Art der Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit des Unterhaltsgläubigers, die vereinbarte Aufgabenteilung während der Ehe sowie die damit einhergehende Dauer des Erwerbsunterbruchs und die Dauer der beruflichen Tätigkeit vor dem Erwerbsabbruch entscheidend sein.

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III. FAZIT

Für die Dauer der nachehelichen Unterhaltspflicht können die Kriterien aus Art. 125 Abs. 2 ZGB herangezogen werden. Als Richtwert dient insbesondere die Dauer des ehelichen Zusammenlebens. Grundsätzlich gilt je kürzer die Ehe, desto weniger lange dauert die Unterhaltspflicht an. Aber auch die ehebedingten karrieretechnischen Einbussen beim Unterhaltsgläubiger oder Vorteile beim Unterhaltsschuldner sind für die Festsetzung der Unterhaltsdauer massgebend.

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6. September 2024 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV, und MLaw Kim Hirzel, Rechtspraktikantin




ALTRECHTLICHE ZAHLVATERSCHAFT UND (FEHLENDES) ERBRECHT DES ANERKANNTEN KINDES

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

Vor dem 1. Januar 1978 in der Schweiz ausserehelich geborenen Kindern steht in der Regel  (nach derzeitiger Rechtspraxis) gegenüber dem leiblichen Vater kein gesetzlicher Erbanspruch zu, weil dieser ein rechtliches Kindesverhältnis voraussetzt. Dies gilt wegen der damaligen Rechtslage und allzu kurzen, oftmals nicht beachteten Übergangsfristen selbst dann, wenn das Kind vom leiblichen Vater anerkannt und für es Unterhalt bezahlt wurde: Die sogenannte «Zahlvaterschaft» begründet keinen gesetzlichen Erbanspruch. Es dürfte nach wie vor tausende von «Zahlkindern» geben, die – teilweise trotz enger Beziehung zum leiblichen Vater – aus Unkenntnis von dessen Erbschaft ausgeschlossen sind. Was tun?

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I. RECHTSLAGE VOR DEM 1. JANUAR 1978

Das altrechtliche Schweizerische Abstammungsrecht kannte zwei Arten von Verhältnissen zwischen dem Vater und seinem ausserehelich geborenen Kind. Einerseits gab es in bestimmten Konstellationen und im Falle, dass das Kind vom leiblichen Vater ausdrücklich mit Standesfolge anerkannt (oder dies mittels entsprechendem Vaterschaftsfeststellungsurteil angeordnet) wurde, ein eigentliches rechtliches, auch den Erbanspruch begründendes Kindesverhältnis zum Vater. Andererseits – dies insbesondere für im Ehebruch gezeugte Kinder – sah die Rechtsordnung eine Anerkennung ohne Standesfolge vor, welche dem Kind zwar einen Anspruch auf Unterhaltsbeiträge gegen den leiblichen Vater verschaffte, aber kein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch keine Erbansprüche zwischen dem leiblichen Vater und seinem Kind begründete. Entsprechend erfolgte auch kein Eintrag des Kindes im Familienregister des sogenannten blossen «Zahlvaters».

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II. NEUE RECHTSLAGE UND ÜBERGANGSRECHT

Mit dem Inkrafttreten der Kinderrechtsrevision am 01.01.1978 verschwand das Institut der Zahlvaterschaft aus der Schweizerischen Rechtsordnung. Neu wurden mit jeder festgestellten oder anerkannten Vaterschaft ein rechtliches Kindesverhältnis und damit auch ein Erbanspruch begründet. Für die unter altem Recht und somit vor dem 31.12.1977 geborenen und unter die Anerkennung der Vaterschaft ohne Standesfolge fallenden Kinder wurde mit Art. 13a SchlT ZGB ein leider eng beschränkter Anspruch geschaffen, die Zahlvaterschaft in eine volle Vaterschaft (mit Standes- und Erbfolge) umzuwandeln. Nur Kinder die per 01.01.1978 noch nicht 10 Jahre alt waren und nur solche, welche innert 2 Jahren (das heisst bis 31.12.1979) auf Feststellung des Kindesverhältnisses klagten, konnten eine solche Umwandlung der bisherigen reinen Zahlvaterschaft und ihre Eintragung als Kind im Familienregister des Vaters erzwingen. Wer früher geboren wurde oder diese Klagefrist verwirkte, steht noch heute unter der reinen Zahlvaterschaft und hat keinen Erbanspruch gegenüber seinem leiblichen Vater; dies selbst dann, wenn die Anerkennung der Vaterschaft (und die Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen) seinerzeit in einer amtlichen Urkunde festgestellt wurden.

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III. KEINE ERBBERECHTIGUNG BEI REINER ZAHLVATERSCHAFT

Wie hiervor bereits ausgeführt, hat das ohne Standesfolge anerkannte Kind keinen gesetzlichen Erbanspruch, was oftmals weder ihm noch dem leiblichen Vater bewusst und keinesfalls auch immer so gewollt ist. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, in welchem Vater und Kind – allenfalls nach einer Übergangsphase – eine enge familiäre Beziehung gelebt und gerade deswegen bzw. im Vertrauen auf die seinerzeit erfolgte Anerkennung (oder aus Unkenntnis) auf rechtliche Abklärungen oder gar gerichtliche Schritte verzichtet haben. Umso mehr, als das Bundesgericht die 2-jährige Klagefrist gemäss Art. 13a SchlT ZGB konstant als verbindlich qualifizierte und auch die Frist  für die allgemeine Klage auf Feststellung eines Kindesverhältnisses gemäss Art. 263 Abs. 1 und 263 Abs. 3 ZGB restriktiv anwendet – dies gerade in Streitfällen um eine allfällige Erbberechtigung – stellt sich die Frage, ob das «Zahlkind» und/oder der «Zahlvater» die unerfreuliche Tatsache einer fehlenden Erbberechtigung trotz biologischer Vaterschaft hinzunehmen haben und eine derart strenge Praxis nicht gegen Art. 8 EMRK verstösst?

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IV. BEGRÜNDUNG DER ERBBERECHTIGUNG DURCH EINE ANERKENNUNG VON TODES WEGEN

Gemäss Art. 260 Abs. 3 ZGB entsteht das rechtliche Kindesverhältnis zum Vater auch dann, wenn dieser seine Vaterschaft durch letztwillige Verfügung (Testament) anerkennt. Vorausgesetzt ist allerdings, dass diese Anerkennung im Testament ausdrücklich gewollt und unmissverständlich ist. Eine solche Anerkennung von Todes wegen begründet auch für frühere «Zahlkinder» ein rechtliches Kindesverhältnis und damit den Anspruch auf Eintragung im Familienregister des Erblassers und – insbesondere – auf einen gesetzlichen (pflichtteilsgeschützten) Erbanspruch.

Dieses letztwillig begründete «echte» Kindesverhältnis hat zur Folge, dass der Erbanfall steuerfrei bleibt. Anders ist die Rechtslage dann, wenn der leibliche Vater letztwillig keine rechtliche Anerkennung vornimmt, sondern sein leibliches aber von Gesetzes wegen nicht erbberechtigtes «Zahlkind» (siehe oben) im Rahmen der Dispositionsfreiheit letztwillig begünstigt, das heisst als Erbe einsetzt oder ihm ein Vermächtnis ausrichtet. Je nach verfügbarer Quote kann dies zwar einen gleich hohen Anspruch des «Zahlkindes» am Nachlass zur Folge haben, welcher aber der (in der Regel hohen) Erbschaftsteuer unterliegt, weil das nicht anerkannte Kind steuerrechtlich wie eine Drittperson zu qualifizieren ist.

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V. ANFECHTUNG DER FEHLENDEN ERBBERECHTIGUNG DURCH DAS «ZAHLKIND»

Für ein ohne Standesfolge anerkanntes Kind, welches vor 1968 geboren wurde oder die 2-jährige Klagefrist nach Art. 13a SchlT  ZGB verpasst hatte, war nach langjähriger Rechtsprechung des Bundesgerichts der Versuch, doch noch ein rechtliches Kindesverhältnis und damit eine Erbberichtigung herbeizuführen, chancenlos. Im Entscheid BGE 5A_423/2016 vom 7. März 2017 begründete das Bundesgericht die Abweisung einer Feststellungsklage des altrechtlich geborenen Kindes allerdings nicht mehr mit dem Verweis auf den fehlenden Anspruch bzw. die verpasste Frist nach Art. 13a SchlT ZGB, sondern mit einer unverändert engen Auslegung von Art. 263 Abs. 3 ZGB, weshalb im konkreten Fall die Zulässigkeit der Klage (einer 1964 geborenen Frau) auf Feststellung der Vaterschaft dennoch verneint wurde. Eine Beschwerde gegen dieses Urteil wurde vom EGMR abgewiesen, obwohl das Recht auf Begründung eines rechtlichen Kindesverhältnisses zum leiblichen Vater anerkanntermassen unter dem Schutz von Art. 8 EMRK steht.

Sollte das Bundesgericht auch zukünftig in Fällen altrechtlich ohne Standesfolge anerkannter Kinder Art. 263 Abs. 3 ZGB als grundsätzlich anwendbar betrachten, so besteht unter dem Schutz von Art. 8 EMRK und dessen zeitgemässer Auslegung für das Kind allenfalls in denjenigen Fällen eine Chance auf nachträgliche Feststellung des rechtlichen Kindesverhältnisses und damit der Erbberichtigung, in welchen das Zuwarten mit Abklärungen oder einer früheren Vaterschaftsklage entschuldbar ist: Dies namentlich also in Fällen, in denen das Kind erst mit dem Tod seines leiblichen Vaters von dessen Vaterschaft erfährt oder es ihm aus anderen (tatsächlichen oder rechtlichen) Gründen weder möglich noch zumutbar war, das rechtliche Vaterschaftsverhältnis früher klären zu lassen.

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VI. FAZIT

«Zahlväter» und vor dem 01.01.1978 geborene, ohne Standesfolge anerkannte Kinder, welche einen (steuerbefreiten) gesetzlichen Erbanspruch auch dieses «Zahlkindes» begründen wollen, müssen rechtzeitig Vorkehrungen (Anerkennung mittels Testament) treffen, was eine umfassende Klärung und Beratung durch Fachpersonen beinhaltet. Im Nachhinein, d. h. erst nach dem Tod des leiblichen Vaters, auf Feststellung der Vaterschaft und eine Erbberichtigung zu klagen, ist trotz des Obigen unverändert riskant und gegebenenfalls kostspielig.

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21. September 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht




UNTERHALTSANSPRUCH: BEHANDLUNG DES ÜBERSCHUSSANTEILS BEI KINDERN

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV

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I. GRUNDSÄTZE DES KINDESUNTERHALTS

Der Anspruch des Kindes auf Unterhalt wird in Art. 276 ff. ZGB geregelt. Dieser Anspruch steht dem Kind unabhängig davon zu, ob die Eltern verheiratet, geschieden oder (getrennte) Konkubinatspartner sind. Der Kindesunterhalt in Form von Geldzahlung (nachfolgend: Kindesunterhalt) setzt sich aus dem Barbedarf des Kindes und dem Betreuungsunterhalt zusammen.

Der Barbedarf deckt die laufenden Lebenskosten des Kindes, wie bspw. Kleider, Essen, Wohnkosten, etc. Der Betreuungsunterhalt findet seinen Grund im Anspruch des Kindes auf Betreuung. Der hauptbetreuende Elternteil kann aufgrund dieser Aufgabe nicht oder nur einer reduzierten Arbeitstätigkeit nachgehen. Dadurch erleidet der hauptbetreuende Elternteil eine Einkommenseinbusse. Ist diese Einbusse so gross, dass der hauptbetreuende Elternteil nicht in der Lage ist, seinen eigenen finanziellen Bedarf zu bestreiten, so ist im Umfang dieses Mankos Betreuungsunterhalt geschuldet. Auf diese Weise wird die Betreuung des Kindes sichergestellt. In der heutigen Zeit liegen sehr viele unterschiedliche Familienmodelle vor. Der Einfachheit halber wird jedoch nachfolgend davon ausgegangen, dass der Vater keine Betreuungsaufgaben übernimmt und deshalb der unterhaltspflichtige Elternteil und die Mutter der hauptbetreuende und damit unterhaltsberechtigte Elternteil ist.

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II. ÜBERSCHUSSVERTEILUNG

Verbleiben beim Unterhaltspflichtigen nach der Deckung des Barbedarfs sowie des Betreuungsunterhalts und seines eigenen Bedarfs weitere finanzielle Mittel (sog. Überschuss), kann der Kindesunterhalt durch Zuweisung eines Überschussanteils erhöht werden. Die Überschussanteile werden nach grossen (Eltern) und kleinen (Kinder) Köpfen verteilt. In einer Familie mit einem Kind bedeutet dies, dass der grosse Kopf jeweils zwei Anteile erhält, der kleine Kopf nur einen. So werden dem Vater 2/5, der Mutter 2/5 und dem Kind 1/5 des Überschusses zugesprochen.

Bei verheirateten Paaren wird der Überschuss der gesamten Familie nach grossen und kleinen Köpfen zwischen den beiden Elternteilen und den Kindern verteilt. Bei unverheirateten Paaren hat die Mutter keinen Anspruch auf eine Überschussbeteiligung, weil keine gesetzliche Grundlage dazu vorliegt. Deshalb wird der Überschuss nur zwischen dem Vater und den Kindern aufgeteilt. Bei den zu definierenden Anteilen am Überschuss gibt es zwei unterschiedliche Verteilungsmethoden, mit welchen sich das Bundesgericht kürzlich im Urteil BGer 5A_597/2022 vom 7. März 2023 auseinanderzusetzen hatte.

Nach der ersten Verteilungsmethode wird bei einer Familie mit einem Kind der «grosse Kopf» der Mutter wie bei verheirateten Paaren in der Verteilung miteingerechnet. Der Überschussanteil der Mutter fällt dabei dem Vater zu, weil die Mutter mangels Heirat keinen Anspruch auf einen Überschussanteil hat. Damit werden dem Vater 4/5 (grosser Kopf der Mutter von 2/5 + grosser Kopf des Vaters von 2/5) und dem Kind 1/5 des Überschusses zugesprochen. Bei einem Überschuss von CHF 1’500 würde der Vater also einen Anteil von CHF 1’200 (= 4 x CHF 300) und das Kind einen Anteil von CHF 300 erhalten. Diese Methode wird von der Mehrheit der Lehre vertreten. In der Lehre wird die Anwendung dieser Methode mit der Gleichbehandlung der Kinder von verheirateten Paaren und nicht verheirateten Paaren begründet, weil damit alle Kinder unabhängig vom Zivilstand ihrer Eltern rechnerisch denselben Anteil erhalten.

Nach der alternativen Verteilungsmethode wird der Anteil der Mutter am Überschuss zu Beginn nicht eingerechnet. Der Vater erhält als grosser Kopf 2/3 und das Kind als kleiner Kopf 1/3 des Überschusses. Bei einem Überschuss von CHF 1’500 würde der Vater also einen Anteil von CHF 1000 (= 2 x 500) und das Kind einen Anteil von CHF 500 erhalten. Diese Methode wird von der Minderheit der Lehre vertreten. Die Minderheitsmeinung weist darauf hin, dass der durch die Mutter generierte Überschuss gemäss Bundesgericht in der Berechnung nicht berücksichtigt werden darf (BGer 5A_1032/2019 vom 9. Juni 2020 E. 5.6). Entsprechend sei es widersprüchlich, bei der Verteilung den Kopf der Mutter zu berücksichtigen.

Im vom Bundesgericht behandelten Fall hatte die Vorinstanz sich für die Anwendung der zweiten Berechnungsmethode entschieden. Der Vater hat dagegen Beschwerde beim Bundesgericht geführt und argumentiert, dass die erste Methode anzuwenden sei, weil diese von der Mehrheit der Lehre vertreten werde. Das Bundesgericht konnte im zu beurteilenden Fall das Urteil der Vorinstanz nur dahingehend überprüfen, ob der Entscheid willkürlich ergangen ist (sog. Willkürprüfung). Das bedeutet, dass das Bundesgericht den Entscheid nicht bereits abändern darf, nur weil sich eine potentiell bessere Lösung anbietet. Vielmehr muss der Entscheid für eine Abänderung durch das Bundesgericht offensichtlich unhaltbar sein. Das Bundesgericht legte sich in seinem Entscheid nicht auf eine der beiden Methoden fest. Es entschied, dass, weil sich die Vorinstanz auf eine Lehrmeinung – wenn auch nur eine Minderheitsmeinung – stützen konnte, die Anwendung dieser ersten Methode denkbar und nicht willkürlich sei.

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III. FAZIT

Nach dem Gesagten bleibt abzuwarten, wie das Bundesgericht die Frage entscheiden wird, wenn es in einem anderen Fall nicht auf eine Willkürprüfung beschränkt sein wird. Bis die Frage höchstrichterlich entschieden wird, können beide Verteilungsmethoden angewendet werden und es obliegt den unteren Instanzen, sich für eine dieser Methoden zu entscheiden. Werden also die Interessen des unverheirateten Vaters vertreten, sollte die erste Verteilungsmethode geltend gemacht werden. Sind die Interessen des Kindes oder der unverheirateten Mutter zu wahren, sollte in der Unterhaltsberechnung die zweite Verteilungsmethode gewählt werden.

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8. Mai 2023 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV




DER WOHNWERTVORTEIL NACH DEUTSCHEM RECHT – EIN IN DER SCHWEIZ FEHLENDES INSTRUMENT BEI DER BERECHNUNG VON UNTERHALT?

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

I. WAS IST DER WOHNWERTVORTEIL?

Das mietfreie Wohnen im Eigenheim stellt nach deutschem Recht einen geldwerten Vorteil dar, der bei der Berechnung von Unterhalt zu berücksichtigen ist. Der sogenannte Wohnwertvorteil hat eine Erhöhung des unterhaltsrelevanten Einkommens um fiktive Einnahmen zur Folge. Ein Wohnwertvorteil ist bei jeder Unterhaltsberechnung, d.h. bei Trennungs-, nachehelichem-, und Kindesunterhalt zu berücksichtigen. Die Höhe des Wohnwertvorteils bestimmt sich entweder nach dem objektiven oder nach dem angemessenen Wohnwert. Der objektive Wohnwert entspricht der zu zahlenden Miete nach Mietspiegel. Der angemessene Wohnwert entspricht dem Mietwert einer  entsprechend kleineren Wohnung und liegt damit zumeist unter dem objektiven Mietwert. Nach Ablauf des Trennungsjahres, spätestens mit Rechtshängigkeit der Scheidung, wird die Höhe des objektiven Mietwertes angerechnet.

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II. AUSWIRKUNGEN DES WOHNWERTS

Der Wohnwert kann sich bei der Berechnung des Unterhalts nach Trennung oder Scheidung für beide Ehegatten auswirken. Bewohnt der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Trennung oder Scheidung die im Eigentum stehende Liegenschaft, verringert sich grundsätzlich sein Unterhaltsanspruch. Dies geht unter Umständen sogar soweit, dass aufgrund des zu berücksichtigenden Wohnwerts kein Unterhalt geschuldet wird. Hingegen führt die Anrechnung eines Wohnwertes auf Seiten des Unterhaltsschuldners zu fiktiven Einnahmen und demzufolge zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit, was höhere Unterhaltszahlungen zur Folge hat

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III. ABZUGSFÄHIGE POSITIONEN

Abzugsfähig vom Wohnwert sind verbrauchsunabhängige Nebenkosten (Grundsteuer und Gebäudeversicherung, usw.), wobei die Amortisation, mithin die Tilgung nur bis zur Einreichung der Scheidung berücksichtigt werden darf. Die verbrauchsabhängigen Kosten für Strom, Heizung, Müllabfuhr, etc. (vergleichbar mit einem Mietverhältnis) werden nicht abgezogen.

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IV. NEGATIVER WOHNWERT

Übersteigen die zu berücksichtigenden Kosten und Aufwendungen den Wohnwert, kann ein negativer Wohnwert bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen sein.

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V. NUTZUNGSVERGÜTUNG STATT WOHNVORTEIL

Zieht ein Ehegatte aus der im Eigentum beider oder im Alleineigentum stehenden Liegenschaft aus, kann er spätestens ab der endgültigen Trennung eine sogenannte Nutzungsentschädigung vom anderen Ehegatten verlangen.

Die Höhe der Nutzungsentschädigung berechnet sich bei Miteigentum nach Ablauf des Trennungsjahres nach dem halben Mietwert der Liegenschaft. Maßgeblich ist als Ausgangswert die marktübliche Miete. Im Rahmen des billigen Ermessens sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten von Bedeutung.
Wird bei der Berechnung des Unterhalts ein Wohnvorteil berücksichtigt, kann keine Nutzungsentschädigung geltend gemacht werden.

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VI. WOHNWERTVORTEIL IN DER SCHWEIZ?

In der Schweiz werden Wohnwertvorteile nicht berücksichtigt, was nicht zuletzt an der unterschiedlichen Unterhaltsberechnung der beiden Länder (Deutschland und Schweiz) liegt. Wird in der Schweiz der Bedarf der Parteien individuell ermittelt und vorhandene Einkünfte in Abhängigkeit dieses Bedarfs verteilt, kommt es in Deutschland auf den Bedarf der Parteien nur bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen an. Anders als in der Schweiz werden in Deutschland die vorhandenen Einkommen der Ehegatten in der Regel (inkl. fiktiver Einnahmen) auf die Parteien verteilt, ohne auf die konkreten Ausgaben (insbesondere Miete, Krankenkassenbeiträge und Steuern) abzustellen. Folglich schliesst man ausgehend von den vorhandenen finanziellen Mitteln auf den Bedarf der Parteien, womit sich das deutsche Unterhaltsrecht erheblich von dem in der Schweiz unterscheidet. In der Schweiz wird das Bewohnen von Eigentum durch die verglichen mit der zu zahlenden Miete geringe Zinsbelastung (tiefere Wohnkosten) bedarfsreduzierend berücksichtigt, weshalb es der Anrechnung eines Wohnwertvorteils nicht bedarf.

In beiden Ländern dürfen Schuldtilgungen nach Einreichung der Scheidung nicht mehr zu Lasten des anderen Ehegatten berücksichtigt werden, da es sich hierbei um vermögensbildende Zahlungen handelt.

Erst wenn die Kosten für den Verbleib eines der Ehegatten in der ehelichen Liegenschaft diejenigen einer angemessenen Miete übersteigen, sind Korrekturen notwendig, die allerdings in der Schweiz mangels der in Deutschland vorherrschenden Rechtsprechung eines anzurechnenden Wohnwerts durch fiktive geringere Wohnkosten vorzunehmen sind (zumeist nach einer anzurechnenden angemessenen Übergangsfrist, die einen Auszug ermöglicht). Allerdings könnten fiktive Mieteinkünfte in der Schweiz ähnlich einem Wohnwertvorteil dann anzurechnen sein, wenn eine Liegenschaft zumindest teilweise vermietet werden kann und sich der in dieser Liegenschaft verbleibende Ehegatte deswegen nicht – gemessen am ehelichen Lebensstandard – einschränken muss. Denkbar ist dies beispielsweise im Fall einer Einliegerwohnung.


15. März 2023 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht




BEWERTUNG BZW. WERT VON PERSONENBEZOGENEN UNTERNEHMEN IN DER SCHEIDUNG (BGE 5A_361/2022)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei der im Scheidungsverfahren durchzuführenden güterrechtlichen Auseinandersetzung spielen sehr oft die Bewertung eines personenbezogenen Unternehmens (beispielsweise Arzt- oder Zahnarztpraxis, Anwaltskanzlei, Treuhandfirma, Architekturbüro, etc.) und der bei Errungenschaft den Ehegatten je hälftig zustehende Wert dieses Unternehmens eine wesentliche Rolle. Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Urteil (BGE 5A_361/2022 vom 24. 11.2022) Ausführungen gemacht, welche einerseits für die Bewertungspraxis  und andererseits für betroffene Unternehmer/innen eine mehr als zu begrüssende Klärung bringen: Es ist davon auszugehen, dass dieser Entscheid zukünftig die öfters viel zu hohen Bewertungen solcher Einzelunternehmen bzw. personenbezogenen Unternehmungen verhindert.

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I. VERKEHRSWERT: FORTFÜHRUNGS- ODER LIQUIDATIONSWERT

Grundsätzlich gilt unverändert, dass ein Unternehmen zum Verkehrswert in die güterrechtliche Auseinandersetzung einzubeziehen ist, wobei in aller Regel auf den Fortführungswert abzustellen ist. Der tiefere Liquidationswert kommt nur dann zum Tragen, wenn eine Liquidation nachweislich unmittelbar bevorsteht oder unvermeidlich ist. Der Verkehrswert ist das, was der Unternehmer bei einer Veräusserung seines Unternehmens auf dem Markt tatsächlich an Erlös erzielen kann.

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II. PRAKTIKERMETHODE

Auch im vorliegenden vom Bundesgericht entschiedenen Verfahren waren die Vorinstanzen bei der Bewertung eines Einzelunternehmens (Zahnarztpraxis) von der weit verbreiteten Praktikermethode ausgegangen, bei welcher der Substanzwert einfach und der Ertragswert zweifach berücksichtigt wird. Da der Ertragswert des Unternehmens sehr hoch aber, wie in solchen Unternehmungen in der Regel, stark von der Persönlichkeit des Unternehmers/in geprägt war, hatte die Vorinstanz den Ertragswert nur zu 10% berücksichtigt. Überraschend hat das Bundesgericht dem Einwand der beschwerdeführenden Unternehmerin Recht gegeben, dass die Berücksichtigung des Ertragswerts mit 10% willkürlich (zu hoch) sei. Der von der Vorinstanz bei einem Ertragswert von mehr als CHF 3 Mio. ermittelte und in der Scheidung aufgeteilte Unternehmenswert von CHF 300’000 sei immer noch zu hoch, weil damit ausser Acht gelassen werde, dass ein Verkehrswert auch realisierbar sein müsse.

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III. BEWERTUNGSGRUNDSÄTZE

Unverändert gilt, dass Unternehmen als Sachgesamtheit nach den Grundsätzen der Betriebslehre zu bewerten sind. Dabei gebe es verschiedene Bewertungsmethoden, wobei die Praktikermethode als Mischung aus Substanz- und Ertragswert kaum mehr vertretbar sei und grundsätzlich die verschiedenen Ertragswertmethoden vorzuziehen seien. Die konkret gewählte Methode müsse jedoch nachvollziehbar, plausibel und anerkannt sein und den Verhältnissen im konkreten Einzelfall Rechnung tragen.

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IV. BESONDERHEITEN BEI DER PERSONENBEZOGENEN UNTERNEHMUNG

Da der Verkehrswert dem tatsächlich realisierbaren Veräusserungswert entspreche, müsse bei personenbezogenen Unternehmen separat geprüft werden, ob die Ertragskraft (Ertragswert) des Unternehmens tatsächlich auf Dritte übertragbar sei. Die rein personenbezogene Ertragskraft, namentlich der Wert der eigenen Leistung der Unternehmer/in, sei nicht übertragbar und damit nicht wertrelevant. Zu ermitteln sei mithin der Wert des Unternehmens ohne den Unternehmer bzw. die Unternehmerin selber. Werthaltig seien nur das eingesetzte Kapital bzw. dessen angemessene Verzinsung und die Prämie für die Unternehmer/in, wobei diese/r sogenannte Goodwill seinerseits eine personenbezogene und eine geschäftsbezogene Komponente aufweise. Auch diese personenbezogene Komponente entfalle mit dem Verkauf des Unternehmens und werde von einem Käufer nicht entschädigt, weshalb auch sie nicht relevant sei.

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V. FOLGEN FÜR DEN WERT EINES UNTERNEHMENS

Gerade Unternehmen, die als Einzelfirma geführt werden oder nur aus dem Unternehmer bzw. der Unternehmerin selber bestehen und deren Ertrag somit allein von deren Persönlichkeit und deren Leistung abhängig ist, sind nach Massgabe dieses neuen bundes-gerichtlichen Urteils zukünftig wesentlich tiefer zu bewerten, als dies insbesondere nach der Praktikermethode bis anhin der Fall war. Namentlich dann, wenn ein solches Unternehmen über bescheidene Substanz verfügt (wie beispielsweise eine Anwaltspraxis), werden bei einem Verkauf nach gerade der ganze Ertrag und ein allfälliger Goodwill gar nicht verkauft werden können, hat doch der Käufer im Normalfall des gleichzeitigen Ausstiegs des Unternehmers/in keinerlei Gewähr, dass die Kunden/ Klienten der Unternehmung treu bleiben und er tatsächlich Folgeaufträge erhält, weshalb der Käufer dafür auch keine Entschädigung bezahlen wird. Der Verkehrswert solcher Unternehmen ist mithin bescheiden.

VI. WEITERE KRITERIEN

Kann im Einzelfall nachgewiesen werden, dass ein hoher Gewinn des Unternehmens und damit ein hoher Ertragswert nicht nur von der Person des Unternehmers/der Unternehmerin sondern auch von dessen aussergewöhnlicher Stellung (Befähigung) oder einem aussergewöhnlichen Einsatz (Arbeitspensum) abhängig sind, so muss der Ertragswert umso mehr unberücksichtigt bleiben und ist ein allfälliger Goodwill erheblich zu reduzieren, wenn der durchschnittliche Marktteilnehmer (Käufer) nicht über analoge Fähigkeiten oder die Bereitschaft verfügt, mehr als das übliche Pensum zu arbeiten.

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VII. FAZIT

Es ist zu hoffen, dass nicht nur von Gerichten oder beratenden Anwälten beigezogene Bewertungsunternehmen diesen bundesgerichtlichen Vorgaben Rechnung tragen, sondern dass auch die Gerichte erster und zweiter Instanz ihnen von Bewertungsunternehmungen vorgelegte Verkehrswertberechnungen kritisch prüfen. Diesfalls darf davon ausgegangen werden, dass zukünftig viel zu hohe – und nie realisierbare -Bewertungen von Unternehmen in der güterrechtlichen Auseinandersetzung mit entsprechend übersetzten Wertbeteiligungsansprüchen des Ehegatten unterbleiben. Vorausgesetzt hierfür ist natürlich, dass der Unternehmer bzw. die Unternehmerin selber gut beraten ist und die massgeblichen wertmindernden Kriterien in den Verhandlungen oder im Prozess auch fachmännisch geltend macht.


18. Januar 2023 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht




REVISION DES ERBRECHTS – MÖGLICHKEITEN ZUR ENTZIEHUNG DES PFLICHTTEILS DER/S NOCH EHEGATTIN/ EHEGATTEN WÄHREND EINES LAUFENDEN SCHEIDUNGSVERFAHRENS

Lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und MLaw Kim Wysshaar, Rechtsanwältin

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Am 1. Januar 2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Neben den Neuerungen betreffend den Pflichtteilsschutz gesetzlicher Erben wurden auch neue Bestimmungen zur Regelung des Erbanspruchs der/s überlebenden Ehegattin/en im Falle eines laufenden Scheidungsverfahrens eingeführt (vgl. für weitere Informationen auch den Newsletter von Rechtsanwalt lic. iur. Martin Kuhn, Fachanwalt SAV Familienrecht, vom 28.04.2021 betreffend die Revision des Erbrechts: Neue Freiheiten für Erblasser)

Mit der Einführung des neuen Erbrechts wird der Erblasserin/dem Erblasser ab 01.01.2023 unter gewissen Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt, bereits während eines rechtshängigen Scheidungsverfahrens seinem/r noch Ehegatten/Ehegattin den Pflichtteil von ½ des gesetzlichen Erbanteils bzw. – im Endeffekt – den Erbanspruch vollständig zu entziehen. Ohne entsprechendes Handeln bleibt der Ehegatte trotz laufendem Scheidungsverfahren bis zur Rechtskraft des Scheidungsurteils erbberechtigt. Der Entzug des Pflichtteils kann grundsätzlich in der Form eines normalen Testaments verfügt werden. Sofern Ehegatten einen Ehe- und Erbvertrag abgeschlossen haben, muss jedoch zunächst geprüft werden, ob der Entzug des Pflichtteils mit den vertraglichen Regelungen vereinbar ist. In einer solchen Situation ist fachmännische Beratung angezeigt.

Wir unterstützen Sie gerne beim Verfassen eines entsprechenden Testaments oder der Prüfung eines allfällig bestehenden Erb- und Ehevertrages, sollten Sie eine vorzeitige Beendigung der erbrechtlichen Ansprüche des Ehegattens bzw. den Entzug des Pflichtteils in Erwägung ziehen.

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12. Dezember 2022  / lic. iur. Martin Kuhn und MLaw Kim Wysshaar




NACHEHELICHER UNTERHALT: BUNDESGERICHT (5A_568/2021) RÜTTELT AM BEGRIFF DER LEBENSPRÄGUNG DER EHE

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Scheidungsrecht beinhaltet unter gewissen Voraussetzungen einen Anspruch auf Unterhaltszahlungen durch den jeweils anderen Ehegatten für die Zeit nach der Scheidung. In einer Reihe von Grundsatzentscheiden hat das Bundesgericht in letzter Zeit das Unterhaltsrecht in entscheidenden Punkten revidiert. Aktuell scheint diese Modernisierungsbewegung des Unterhaltsrechts weiterzugehen, indem das Bundesgericht in seinem jüngsten Urteil zum Unterhaltsrecht die bisher geltenden Annahmen, wann eine Ehe als lebensprägend zu gelten hat, in Frage stellt. Die Lebensprägung ist eine der Voraussetzungen, um Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zu haben.

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I. GRUNDSÄTZE DES UNTERHALTSRECHTS

Nacheheliche Unterhaltsansprüche, d.h. solche, welche auch nach der rechtskräftigen Scheidung fortdauern, haben ihre rechtliche Grundlage in der sogenannten nachehelichen Solidarität. Dennoch, und nun umso mehr, ist es so, dass der nacheheliche Rentenanspruch an sich eine Ausnahme darstellt bzw. darstellen sollte. Grundsätzlich gilt nämlich nach der Scheidung, und dahin tendiert das Bundesgericht in letzter Zeit immer mehr, die Eigenversorgungspflicht beider Ehegatten. Es wird verlangt, dass jeder für seinen eigenen Bedarf selber aufkommt.

Immer dann, wenn also Gerichte Unterhalt für einen Ehegatten festlegen, hängt dies damit zusammen, dass aufgrund der gelebten Rollenverteilung während der Ehe oder aus anderen Gründen wie Alter, Krankheit, sonstiger Aussichtslosigkeit eigener Erwerbstätigkeit etc. die vorgenannte Eigenversorgungskapazität zu gering oder gar nicht vorhanden ist.

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II. «LEBENSPRÄGENDE EHE»

Für die Frage, ob ein nachehelicher Unterhalt geschuldet ist, ist entscheidend, ob die gelebte Ehe für den Unterhalt ansprechenden Ehegatten lebensprägend war oder nicht. Wird diese Frage bejaht, so haben die Eheleute nach der Scheidung grundsätzlich Anspruch auf Fortführung des zuletzt gelebten gemeinsamen Lebensstandards. Bis vor kurzem galt die Vermutung, dass eine Ehe immer dann als lebensprägend zu qualifizieren ist, wenn sie mehr als 10 Jahre gedauert hat und/oder aber Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind.

Bereits in einem früheren Entscheid (BGE 5A_907/2018) stellte das Bundesgericht im Rahmen seiner Modernisierung des Unterhaltsrechts bei der Frage der Lebensprägung darauf ab, ob die Erwerbstätigkeit und damit die ökonomische Selbstständigkeit zugunsten der Besorgung des Haushalts und der Betreuung der Kinder hat aufgegeben werden müssen und ob es der betroffenen Person eben gerade deshalb nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an die frühere berufliche Stellung anzuknüpfen oder einer ähnlichen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Neu war an diesem Entscheid, dass das Bundesgericht nicht mehr schematisch, sondern stets für den Einzelfall die Frage der Lebensprägung beantwortet haben wollte. Damit wendete sich das Bundesgericht von seiner langjährigen Rechtsprechung ab, wonach das Vertrauen in den Fortbestand der Ehe bei längerer Dauer oder gemeinsamen Kindern zu vermuten ist und man daraus Unterhaltsansprüche ableiten kann.

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III. LEBENSPRÄGUNG MUSS BEWIESEN WERDEN

Neu wird das Bundesgericht bezüglich der Frage, ob eine lebensprägende Ehe vorliegt oder nicht, noch strenger (BGE 5a_568/2021). Erst dann, wenn von einem schutzwürdigen Vertrauen auf eine Fortführung der Ehe ausgegangen werden kann, ist für den Unterhalt ansprechenden Ehegatten auch der Anspruch auf Fortführung des zuletzt gelebten gemeinsamen Standards bzw. bei, zufolge scheidungsbedingter Mehrkosten, ungenügender Mittel Anspruch auf beidseits gleiche Lebenshaltung gegeben. Wird dieses schutzwürdige Vertrauen auf Fortführung der Ehe verneint, ist für den nachehelichen Unterhalt am vorehelichen Stand anzuknüpfen, d.h. der Unterhalt begehrende Ehegatte maximal so zu stellen, wie wenn die Ehe nicht geschlossen worden wäre.

Das Bundesgericht hat sich offenbar verabschiedet von der Idee, dass die Lebensprägung den «Kippschalter» bezüglich der Frage von nachehelichem Unterhalt darstellen soll. Die bisher für das Vorliegen einer Lebensprägung sprechenden Vermutungen (gemeinsame Kinder, mindestens 10-jährige Ehedauer) gelten für sich alleine nicht mehr. Eine Ehe ist vielmehr nur noch dann als lebensprägend einzustufen, wenn ein Ehegatte aufgrund eines gemeinsamen Lebensplanes seine wirtschaftliche Selbständigkeit zugunsten der Haushaltsbesorgung und Kinderbetreuung aufgegeben hat und es ihm nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an seiner früheren beruflichen Stellung anzuknüpfen.

Hinzu kommt, dass seit dem Inkrafttreten des neuen Kinderunterhaltsrechts diejenigen Nachteile, welche einem Elternteil aus der nachehelichen Betreuung von Kindern erwachsen, primär durch den Betreuungsunterhalt, enthalten im Kinderunterhalt, ausgeglichen werden (Art. 276 und 285 ZGB). Beim nachehelichen Unterhalt kann es also nur noch um «andere oder weitere wirtschaftliche Nachteile» gehen. Das neue Kinderunterhaltsrecht soll auch verheiratete Elternteile denjenigen aus einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft gleichstellen. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, inwiefern Nachteile, welche aus der Kinderbetreuung herrühren, für sich alleine überhaupt noch zur Begründung einer Lebensprägung (und eines eigenen Ehegattenunterhalts) geeignet sind. Somit kann also aus dem Vorhandensein gemeinsamer Kinder alleine für sich klar nicht mehr auf eine Lebensprägung geschlossen werden.

Wer nachehelichen Unterhalt für sich beanspruchen will, hat also aufzuzeigen, dass sich die wirtschaftliche Abhängigkeit seiner Person im Laufe der ehelichen Beziehung und insbesondere seit Eheschluss in eine bestimmte Richtung entwickelt hat und dabei auf die wirtschaftliche Untersützung des jeweils anderen Ehegatten gebaut wurde. Dabei ist ausschlaggebend, dass diese geltend zu machende wirtschaftliche Konstellation/Abhängigkeit zwingend direkte oder notwendige Folge der Ehe an sich ist und im Vertrauen auf den Fortbestand der Ehe gründet. Liegt hingegen eine Konstellation vor, wo Eheleute von sich aus, unabhängig von der Ehe, wirtschaftliche Bindungen und Abhängigkeiten eingegangen sind, so kann dies für sich selber keine Lebensprägung bedeuten (5A_568/2021).

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IV. FAZIT

Die sich für einen Ehegatten nach der Scheidung wirtschaftlich negativ auswirkenden ehebedingte Nachteile müssen inskünftig wohl genauer geprüft und aufgezeigt werden. Eine lange Ehedauer oder gemeinsame während der Ehe gezeugte Kinder sind für sich alleine keine Konstellationen, welche automatisch Anspruch auf nachehelichen Unterhalt vermitteln. Vielmehr muss geltend gemacht werden, dass aufgrund der bestehenden Ehe dauerhafte Vorkehrungen getroffen worden sind – dies vor dem Hintergrund des Vertrauens in den weiteren Bestand der Ehe –, welche wirtschaftlich negative Auswirkungen auf einen der Ehepartner haben und sich nachehelich auswirken


26. April 2022 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV




DIE FINANZIELLEN FOLGEN EINES OBHUTWECHSELS

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

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Trennen sich Paare mit gemeinsamen Kindern, ist die Frage des Kinderunterhalts von der Obhut abhängig und damit von der Frage, wer das bzw. die Kinder mehrheitlich betreut. Derjenige Elternteil, der ein Kind mehrheitlich betreut, kann in der Regel von dem nicht betreuenden Elternteil einen Kinderunterhalt verlangen. Betreuen beide Eltern nahezu im gleichem Umfang, ist diesem Umstand auch beim Unterhalt Rechnung zu tragen, da beide Elternteile für die Kosten ihrer Kinder aufkommen. Doch was passiert, wenn der Unterhalt festgelegt wurde und das Kind nun zum anderen Elternteil zieht? Der folgende Artikel beschäftigt sich mit den Folgen eines solchen Obhutswechsels für bereits festgelegte Unterhaltsbeiträge.

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I. ALLGEMEINES

Von der Obhut zu unterscheiden ist die elterliche Sorge. Die elterliche Sorge berechtigt und verpflichtet beide Elternteile, wesentliche Entscheide betreffend das gemeinsame Kind zusammen zu treffen. Die Obhut dagegen beschränkt sich auf die tatsächlich ausgeübte Betreuung eines Kindes, welche ganz von einem Elternteil oder aber auch gemeinsam ausgeübt werden kann (alternierende Obhut). Da derjenige Elternteil, bei dem das Kind wohnt, seinen Beitrag durch die tatsächliche Betreuung leistet, hat der andere Elternteil die Kosten des Kindes durch Zahlung eines Unterhalts (Barunterhalt) zu leisten. Hiervon zu unterscheiden ist der sogenannte Betreuungsunterhalt, der neben dem Barunterhalt das ungedeckte Existenzminimum des betreuenden Elternteils finanziell kompensieren soll.

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II. UNTERHALT

Sind Unterhaltsbeträge vereinbart und auch gerichtlich genehmigt worden, lassen diese sich auch zwangsweise mit einer Betreibung durchsetzen, sofern Zahlungsrückstände aufgelaufen sind. Grundlage muss hierbei wahlweise ein einvernehmlich vereinbarter Unterhalt sein, der mit einer provisorischen Rechtsöffnung durchgesetzt werden kann oder aber ein durch eine Behörde in Form eines Entscheides festgelegter Unterhaltsbetrag, der mit einer definitiven Rechtsöffnung zu betreiben ist. Durchgesetzt werden können Unterhaltsbeiträge auch mit einer sogenannten Drittschuldneranweisung, im Rahmen derer das Gericht bei Zahlungsverweigerung des Schuldners dessen Arbeitgeber verpflichtet, den geschuldeten Unterhalt vor Auszahlung des Lohnes direkt auf das Konto des betreuenden Elternteils zu bezahlen. Bei der zwangsweisen Durchsetzung von Unterhalt prüft das Gericht den Inhalt des zugrundeliegenden Entscheides nicht neu. Vielmehr ist das die Rechtsöffnung/ Anweisung vornehmende Gericht an den Inhalt des zugrundeliegenden Entscheides gebunden und hat lediglich das Existenzminimum des Lohnempfängers zu wahren, sofern der Unterhaltsschuldner nicht durch Urkunden nachweisen kann, den geforderten Unterhalt tatsächlich bezahlt zu haben.

Wechselt nun trotz einer vorhandenen Unterhaltsregelung das Kind zum anderen bisher nicht betreuenden Elternteil, ist der Entscheid über die Unterhaltsverpflichtung weiterhin existent. Mit dem Umzug des Kindes wird die Unterhaltsregelung also nicht automatisch hinfällig, womit auf der Grundlage des Entscheides der Unterhalt weiterhin gefordert und betrieben werden kann. Möglich ist dies deshalb, weil ein Entscheid seine Wirksamkeit so lange beibehält, bis dieser durch entsprechende Feststellung eines zuständigen Gerichts abgeändert und auf die neue Situation angepasst wird. Problematisch ist dieser Umstand deshalb, weil ein begründeter Antrag auf Korrektur bzw. Anpassung eines Entscheides auf die neue gelebte Betreuungssituation Zeit in Anspruch nimmt. So vergehen aufgrund der massiven Überlastung der Gerichte zwischen Antragstellung auf Abänderung bis zur Verhandlung üblicherweise mindestens 3 Monate. Aufgrund der Möglichkeiten, die jeweiligen Stellungnahmefristen der Parteien zu erstrecken, vergehen bis zur Verhandlung sogar teils weit über 6 Monate. In dieser Zeit kann der das Kind ursprünglich betreuende Elternteil die Unterhaltsbeiträge auf der Grundlage des noch geltenden Entscheides nach wie vor durchsetzen, auch wenn er bzw. sie das Kind gar nicht mehr betreut. Ein so erzieltes unbilliges Ergebnis wird nach Abänderung des zu Grunde liegenden Unterhaltsentscheides zwar korrigiert, da der Unterhalt per Datum Einreichung Abänderung angepasst wird. Sofern aber Unterhalt zwangsweise erhältlich gemacht, und dieser Betrag durch den nicht betreuenden Elternteil verbraucht wurde, scheitert eine Rückforderung der überzahlten Unterhaltsbeiträge meistens an der fehlenden Leistungsfähigkeit des nicht mehr betreuenden Elternteils. Besonders schwerwiegend ist ein derartiges Vorgehen dann, wenn der nicht mehr betreuende Elternteil seine vermeintlich ihm noch zustehenden Unterhaltsbeiträge im Wege einer sogenannten Drittschuldneranweisung geltend macht, weil diesfalls nicht nur die Rückzahlung des Geldes scheitern kann, sondern der Ruf des Arbeitnehmers bei seinem Arbeitgeber Schaden nimmt.

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III. EINWÄNDE GEGEN DIE ZWANGSWEISE DURCHSETZUNG VON UNTERHALT

Da die Forderung eines nicht mehr gerechtfertigten Unterhaltsbetrages, insbesondere von Kinderunterhalt eines nicht betreuenden Elternteils, unbillig ist, muss einem derartigen Vorgehen Rechtsmissbrauch entgegengehalten werden können. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn ein Antrag auf Abänderung dem Gericht bereits vorliegt. Erfolgte der Betreuungswechsel aufgrund eines ernst zu nehmenden Willens des Kindes und ist also nicht damit zu rechnen, dass die ursprünglich gelebte Betreuung wieder auflebt und damit die Rückkehr zum ursprünglich betreuenden Elternteil erfolgt, würde die zwangsweise Durchsetzung eines Unterhaltsbeitrages an einen offensichtlich nicht berechtigten Elternteil zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führen. Diesem offensichtlichen Missbrauch muss das Gericht nach Auffassung der Autorin Einhalt gebieten und offenkundige neue Tatsachen, welche den eingeforderten Unterhalt als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen, berücksichtigen. Dies ist allerdings umstritten.

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IV. VORGEHEN IN DEUTSCHLAND

Anders als in der Schweiz, endet in Deutschland nach herrschender Rechtsprechung mit einem erfolgten Obhutswechsel und damit einem Umzug eines Kindes zum anderen Elternteil das alleinige Vertretungsrecht des ursprünglich betreuenden Elternteils.

Ist ein Kind minderjährig, wird es bei der Durchsetzung von Kindesunterhalt von dem betreuenden Elternteil vertreten. Mit einem Obhutswechsel zum anderen Elternteil endet die Befugnis, das Kind vor Gericht zu vertreten, automatisch. Dies hat zur Folge, dass selbst ein bereits gestellter Unterhaltsantrag mit Wegfall der Alleinvertretungsberechtigung aufgrund eines Obhutswechsels unzulässig wird. Somit verliert der nicht mehr betreuende Elternteil mit dem Umzug des Kindes die Möglichkeit, Unterhaltsbeiträge gerichtlich durchzusetzen, womit ein missbräuchliches Vorgehen von vornherein verunmöglicht wird.

Da in der Schweiz der Kinderunterhalt nicht zwingend durch die Eltern als Vertreter des Kindes durchgesetzt wird, gewinnt hier das Argument des Rechtsmissbrauchs an Bedeutung.


20. April 2022 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht