NACHTRAG ZU: STRASSENVERKEHR – ZULÄSSIGKEIT UND VERWERTBARKEIT EINES DROGEN-SCHNELLTESTS
lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt
In unserem Newsletter vom 11. August 2017 wurde der Verweigerungsfall eines von der Polizei angeordneten Drogenschnelltests thematisiert. Der Drogenschnelltest hat den Vorteil, dass er nicht in einem Spital durchgeführt werden, sondern schnell und unkompliziert direkt vor Ort vorgenommen werden kann. Dannzumal kamen wir aufgrund eines Urteils zum Schluss, dass es sich beim Drogenschnelltest infolge des dazu erforderlichen konkre- ten Anfangsverdachts um eine strafprozessuale Zwangsmassnahme im Sinne von Art. 251 StPO handle, die gemäss Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO zwingend von der Staatsanwaltschaft anzuordnen sei. Läge demnach nur eine Aufforderung der Polizei zur Mitwirkung vor und fehlte es an einer entsprechenden Anordnung durch die Staats- anwaltschaft, bestünde für die betroffene Person keine Mitwirkungs- oder Duldungspflicht. Ohne das Bestehen einer solchen Pflicht fehlte es offensichtlich an einer Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestands von Art. 91a SVG. Ins Visier geratene Verkehrsteilnehmer hätten das Recht den von der Polizei angeordneten Drogen- schnelltest aufgrund eines Anfangsverdachts zu verweigern. Nur wenn die Massnahme durch den Staatsanwalt angeordnet würde – was im Normalfall per Telefon erfolgt –, wären Betroffene gehalten, den Test durchzuführen.
In der Zwischenzeit äusserte sich das Bundesgericht zu diesem Thema und kam zu einem anderen Schluss, der sich zuungunsten der Fahrzeuglenker auswirken kann. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung wird nachfolgend dargelegt.
I. VEREITELUNG VON MASSNAHMEN ZUR FESTSTELLUNG DER FAHRUN- FÄHIGKEIT (ART. 91A SVG)
Art. 91a SVG bedroht mit Strafe, wer sich als Motorfahrzeugführer vorsätzlich einer Blutprobe, einer Atemalko- holprobe oder einer anderen vom Bundesrat geregelten Voruntersuchung (Art. 10 SKV; Vortest im Urin, Speichel oder Schweiss), die angeordnet wurde oder mit deren Anordnung gerechnet werden musste, oder sich einer zusätzlichen ärztlichen Untersuchung widersetzt oder entzogen hat oder den Zweck dieser Massnahme vereitelt hat.
Die genannte Strafnorm setzt jedoch zunächst voraus, dass der Täter überhaupt verpflichtet war, sich einer sol- chen Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zu unterziehen bzw. bei der Durchführung einer solchen Massnahme mitzuwirken. Eine Mitwirkungs- bzw. Duldungspflicht bei der Durchführung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit besteht nur bei einer gültigen Anordnung durch die zuständige Behörde.
II. URTEIL DES BUNDESGERICHTS 6B_598/2018 VOM 7. NOVEMBER 2018
Das Bundesgericht äusserte sich im Entscheid 6B_598/2018 vom 7. November 2018 zur zuständigen Behörde. Es hält fest, dass die Polizei gemäss Art. 10 Abs. 2 SKV zum Nachweis von Betäubungs- und Arzneimitteln na- mentlich im Urin, Speichel oder Schweiss Vortests durchführen kann, wenn Hinweise bestehen, dass die kontrol- lierte Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig ist und in diesem Zustand ein Fahrzeug gelenkt hat. Das Bundesgericht wies bereits in einem früheren Entscheid darauf hin, dass der Art. 10 Abs. 2 SKV eine Anordnungskompetenz der Polizei enthält (Urteil des Bundesgerichts 6B_563/2017 vom 11. September 2017 E. 1.5).
Die Polizei ist im Bereich des Strassenverkehrsgesetzes Sicherheits- bzw. Verkehrspolizei sowie Strafverfol- gungsbehörde im Sinne von Art. 15 StPO. Um die polizeiliche Tätigkeit einem dieser Bereiche zuzuordnen, ist der Einzelfall massgebend, wobei eine exakte Grenzziehung schwierig ist. Das Bundesgericht hält in diesem Zu- sammenhang fest, dass polizeiliche Kontrollen, die nicht auf einem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO beruhen, Handlungen im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Kontrolltätigkeit darstellen.
Für die Durchführung eines Vortests nach Art. 10 Abs. 2 SKV reichen gemäss bundesgerichtlicher Rechtspre- chung bereits geringe Anzeichen für eine durch Betäubungs- oder Arzneimittel begründete Fahrunfähigkeit, wie ein blasser Teint oder wässrige Augen (Urteil des Bundesgerichts 6B_244/2011 vom 20. Juni 2011 E. 1.4).
Die Kontrollmassnahmen nach Art. 55 SVG verfolgen auch generalpräventive Motive. Art. 55 Abs. 2 SVG spricht sodann ausdrücklich von Voruntersuchungen, während gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO für die Untersuchung ein hinreichender Tatverdacht erforderlich ist. Die nach Art. 10 Abs. 2 SKV erforderlichen Hinweise, dass eine Person wegen einer anderen Substanz als Alkohol fahrunfähig ist und in diesem Zustand ein Fahrzeug gelenkt hat, ist nicht mit dem hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO gleichzusetzen. Das Bundesgericht kommt demgemäss zum Schluss, dass die Polizei im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Tätig- keit befugt ist, einen Vortest nach Art. 10 Abs. 2 SKV anzuordnen. Je nach den konkreten Umständen und dem Ergebnis des Vortests ergibt sich daraus ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO, der zu einer gemäss Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO durch die Staatsanwaltschaft anzuordnenden Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit aufgrund des Verdachts einer Widerhandlung gegen das SVG führen kann (z.B. Blutentnahme).
III. FAZIT
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Polizei befugt ist, einen Drogenschnelltest anzuordnen. Dies ist jedoch nur im Rahmen der sicherheitspolizeilichen Tätigkeit zulässig. Liegt aufgrund der konkreten Um- stände sowie des Ergebnisses des Vortests ein hinreichender Tatverdacht vor, kann dies zu einer nach Art. 198 Abs. 1 lit. a StPO durch die Staatsanwaltschaft anzuordnenden Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit aufgrund des Verdachts einer Widerhandlung gegen das SVG führen. Ein Drogenschnelltest ist somit nicht wie im Newsletter vom 11. August 2017 festgehalten zwingend durch die Staatsanwaltschaft anzuordnen, sondern nur wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt.
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30. August 2019 / lic. iur. Stephan Hinz