DER WOHNWERTVORTEIL NACH DEUTSCHEM RECHT – EIN IN DER SCHWEIZ FEHLENDES INSTRUMENT BEI DER BERECHNUNG VON UNTERHALT?
Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht
I. WAS IST DER WOHNWERTVORTEIL?
Das mietfreie Wohnen im Eigenheim stellt nach deutschem Recht einen geldwerten Vorteil dar, der bei der Berechnung von Unterhalt zu berücksichtigen ist. Der sogenannte Wohnwertvorteil hat eine Erhöhung des unterhaltsrelevanten Einkommens um fiktive Einnahmen zur Folge. Ein Wohnwertvorteil ist bei jeder Unterhaltsberechnung, d.h. bei Trennungs-, nachehelichem-, und Kindesunterhalt zu berücksichtigen. Die Höhe des Wohnwertvorteils bestimmt sich entweder nach dem objektiven oder nach dem angemessenen Wohnwert. Der objektive Wohnwert entspricht der zu zahlenden Miete nach Mietspiegel. Der angemessene Wohnwert entspricht dem Mietwert einer entsprechend kleineren Wohnung und liegt damit zumeist unter dem objektiven Mietwert. Nach Ablauf des Trennungsjahres, spätestens mit Rechtshängigkeit der Scheidung, wird die Höhe des objektiven Mietwertes angerechnet.
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II. AUSWIRKUNGEN DES WOHNWERTS
Der Wohnwert kann sich bei der Berechnung des Unterhalts nach Trennung oder Scheidung für beide Ehegatten auswirken. Bewohnt der unterhaltsberechtigte Ehegatte nach der Trennung oder Scheidung die im Eigentum stehende Liegenschaft, verringert sich grundsätzlich sein Unterhaltsanspruch. Dies geht unter Umständen sogar soweit, dass aufgrund des zu berücksichtigenden Wohnwerts kein Unterhalt geschuldet wird. Hingegen führt die Anrechnung eines Wohnwertes auf Seiten des Unterhaltsschuldners zu fiktiven Einnahmen und demzufolge zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit, was höhere Unterhaltszahlungen zur Folge hat
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III. ABZUGSFÄHIGE POSITIONEN
Abzugsfähig vom Wohnwert sind verbrauchsunabhängige Nebenkosten (Grundsteuer und Gebäudeversicherung, usw.), wobei die Amortisation, mithin die Tilgung nur bis zur Einreichung der Scheidung berücksichtigt werden darf. Die verbrauchsabhängigen Kosten für Strom, Heizung, Müllabfuhr, etc. (vergleichbar mit einem Mietverhältnis) werden nicht abgezogen.
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IV. NEGATIVER WOHNWERT
Übersteigen die zu berücksichtigenden Kosten und Aufwendungen den Wohnwert, kann ein negativer Wohnwert bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen sein.
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V. NUTZUNGSVERGÜTUNG STATT WOHNVORTEIL
Zieht ein Ehegatte aus der im Eigentum beider oder im Alleineigentum stehenden Liegenschaft aus, kann er spätestens ab der endgültigen Trennung eine sogenannte Nutzungsentschädigung vom anderen Ehegatten verlangen.
Die Höhe der Nutzungsentschädigung berechnet sich bei Miteigentum nach Ablauf des Trennungsjahres nach dem halben Mietwert der Liegenschaft. Maßgeblich ist als Ausgangswert die marktübliche Miete. Im Rahmen des billigen Ermessens sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten von Bedeutung.
Wird bei der Berechnung des Unterhalts ein Wohnvorteil berücksichtigt, kann keine Nutzungsentschädigung geltend gemacht werden.
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VI. WOHNWERTVORTEIL IN DER SCHWEIZ?
In der Schweiz werden Wohnwertvorteile nicht berücksichtigt, was nicht zuletzt an der unterschiedlichen Unterhaltsberechnung der beiden Länder (Deutschland und Schweiz) liegt. Wird in der Schweiz der Bedarf der Parteien individuell ermittelt und vorhandene Einkünfte in Abhängigkeit dieses Bedarfs verteilt, kommt es in Deutschland auf den Bedarf der Parteien nur bei überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen an. Anders als in der Schweiz werden in Deutschland die vorhandenen Einkommen der Ehegatten in der Regel (inkl. fiktiver Einnahmen) auf die Parteien verteilt, ohne auf die konkreten Ausgaben (insbesondere Miete, Krankenkassenbeiträge und Steuern) abzustellen. Folglich schliesst man ausgehend von den vorhandenen finanziellen Mitteln auf den Bedarf der Parteien, womit sich das deutsche Unterhaltsrecht erheblich von dem in der Schweiz unterscheidet. In der Schweiz wird das Bewohnen von Eigentum durch die verglichen mit der zu zahlenden Miete geringe Zinsbelastung (tiefere Wohnkosten) bedarfsreduzierend berücksichtigt, weshalb es der Anrechnung eines Wohnwertvorteils nicht bedarf.
In beiden Ländern dürfen Schuldtilgungen nach Einreichung der Scheidung nicht mehr zu Lasten des anderen Ehegatten berücksichtigt werden, da es sich hierbei um vermögensbildende Zahlungen handelt.
Erst wenn die Kosten für den Verbleib eines der Ehegatten in der ehelichen Liegenschaft diejenigen einer angemessenen Miete übersteigen, sind Korrekturen notwendig, die allerdings in der Schweiz mangels der in Deutschland vorherrschenden Rechtsprechung eines anzurechnenden Wohnwerts durch fiktive geringere Wohnkosten vorzunehmen sind (zumeist nach einer anzurechnenden angemessenen Übergangsfrist, die einen Auszug ermöglicht). Allerdings könnten fiktive Mieteinkünfte in der Schweiz ähnlich einem Wohnwertvorteil dann anzurechnen sein, wenn eine Liegenschaft zumindest teilweise vermietet werden kann und sich der in dieser Liegenschaft verbleibende Ehegatte deswegen nicht – gemessen am ehelichen Lebensstandard – einschränken muss. Denkbar ist dies beispielsweise im Fall einer Einliegerwohnung.
15. März 2023 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Familienrecht