ARZTZEUGNISSE – WANN EIN ZWEITER BLICK SICH LOHNT
MLaw Manuel Vogler, Rechtsanwalt
Wenn Arbeitnehmer arbeitsunfähig sind, legen Sie meistens ein Arztzeugnis vor. Aber wann braucht man eigentlich ein Arztzeugnis? Was muss drinstehen? Und wann sollte man als Arbeitgeberin genauer hinschauen?
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I. AUSGANGSLAGE
Ist ein Arbeitnehmer krank oder hatte er einen Unfall, hat das grossen Einfluss auf das Arbeitsverhältnis: Obwohl er nur noch beschränkt oder gar nicht mehr zur Arbeit kommt, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Lohn, die Kündigungsmöglichkeiten der Arbeitgeberin werden eingeschränkt und die Arbeitgeberin trifft eine erhöhte Fürsorgepflicht. Der Arbeitnehmer muss die Arbeitgeberin unverzüglich, kontinuierlich und umfassend über das Vorliegen, den Umfang und die voraussichtliche Dauer einer Arbeitsunfähigkeit informieren. Meist tun Arbeitnehmer dies, indem sie ein ärztliches Zeugnis vorlegen. Aber wann braucht man eigentlich ein Arztzeugnis? Was muss drin stehen? Und wann sollte man als Arbeitgeberin genauer hinschauen?
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II. AB WANN BRAUCHT ES EIN ARZTZEUGNIS?
Ab wann ein Arztzeugnis einzureichen ist, wird im Gesetz nicht geregelt. Häufig enthalten aber Arbeitsverträge, Personalreglemente oder Gesamtarbeitsverträge eine Bestimmung, wann ein Arztzeugnis einzureichen ist, z.B. nach dem zweiten, dritten oder vierten Tag der Arbeitsverhinderung. Fehlt eine solche klare Regelung, kann die Arbeitgeberin auf Grund des Weisungsrechts bereits ab dem ersten Tag ein Zeugnis einfordern.
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III. WELCHE FORM UND WELCHER INHALT SOLLTE EIN ARZTZEUGNIS HABEN?
Die herkömmlichste Form eines Arztzeugnisses stellt das einfache Arztzeugnis dar. Dieses wird immer dann ausgestellt, wenn die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich nur von kurzer Dauer ist. Obwohl im Gesetz keine bestimmte Form des Arztzeugnisses vorgeschrieben wird, hat sich in der Praxis ein Mindeststandard etabliert. Demnach muss ein Arztzeugnis folgende Informationen enthalten:
– Personalien des Arbeitnehmers: Es sind der Name, der Vorname und das Geburtsdatum des Arbeitnehmers anzugeben.
– Bezeichnung der Arbeitgeberin
– Datum der Konsultation: Das Datum der ärztlichen Untersuchung ist zwingend anzugeben. Wird nur das Ausstellungsdatum genannt, kann davon ausgegangen werden,
dass die Untersuchung am selben Tag stattgefunden hat.
– Datum der nächsten Konsultation: Falls die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht abschliessend bestimmt werden kann, ist das Datum der nächsten ärztlichen
Untersuchung zu nennen.
– Reguläre Arbeitszeit und Beschäftigungsgrad: Entweder in Stunden pro Woche oder in Prozent des Beschäftigungsgrades.
– Arbeitsunfähigkeit: Die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit stellt das zentrale Element des Arztzeugnisses dar. Diese kann vollständig oder teilweise (in Prozent) attestiert
werden. Es sollten Angaben zur Leistungskomponente (Belastbarkeit) und zur Zeitkomponente (Präsenzzeit am Arbeitsplatz) gemacht werden. Weitere Ausführungen
dazu folgen sogleich unter Ziff. V.
– Datum des Beginns der Arbeitsunfähigkeit
– Datum der vollständigen Wiederaufnahme der Arbeit
– Ursache der Arbeitsunfähigkeit: Es ist anzugeben, ob die Arbeitsunfähigkeit auf Krankheit, Unfall oder Schwangerschaft zurückzuführen ist. Eine Diagnose ist jedoch
nicht erforderlich, es sei denn, der Arbeitnehmer wünscht dies ausdrücklich.
– Kontaktaufnahme durch die Arbeitgeberin: Es ist zu vermerken, ob eine Kontaktaufnahme durch die Arbeitgeberin mit dem ausstellenden Arzt gewünscht ist.
– Ort, Datum und Unterschrift des behandelnden Arztes
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IV. WORAUFKANN SICH EIN ÄRZTLICHES ZEUGNIS STÜTZEN?
Der Arzt muss seine Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit auf eigene Erkenntnisse stützen. Das heisst, dass eine persönliche Untersuchung durchgeführt werden muss, damit sich der Arzt ein persönliches Bild vom Gesundheitszustand des Patienten machen kann. Ein ärztliches Zeugnis darf somit nur medizinische Tatsachen bescheinigen, die auf Grundlage der medizinischen Kenntnisse des Arztes und mit wissenschaftlicher Genauigkeit gemacht wurden. Es reicht nicht, wenn sich der Arzt rein auf die Aussagen des Patienten abstützt. Weiter muss die körperliche, geistige oder psychische Gesundheit derart beeinträchtigt sein, dass der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, die bisherige Arbeitstätigkeit fortzusetzen. Keine Arbeitsunfähigkeit liegt daher beispielsweise bei gelegentlichem Unwohlsein, kosmetischen Eingriffen, mangelnder Motivation oder einem belastenden Arbeitsumfeld ohne psychiatrische Diagnose vor. Weiter muss die Untersuchung durch einen zugelassenen Arzt durchgeführt werden. Zeugnisse von Physiotherapeuten oder Naturheilpraktikern müssen beispielsweise nicht akzeptiert werden.
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V. BEURTEILUNG DER ARBEITSUNFÄHIGKEIT
Der Umfang der Arbeitsunfähigkeit ist nicht immer einfach zu lesen und zu verstehen. Das kommt daher, dass die Arbeitsunfähigkeit aus zwei Komponenten besteht: Der Leistungskomponente (Belastbarkeit) und der Zeitkomponente (Präsenzzeit am Arbeitsplatz). Die beiden Komponenten sind getrennt voneinander zu betrachten.
Die eigentliche Arbeitsunfähigkeit errechnet sich dann auch aus der Kombination dieser beiden Komponenten. Ein Beispiel: Eine Person kann während 50 % der Arbeitszeit zu 50 % belastet werden. Dies führt zu einer Arbeitsfähigkeit von 25 % bzw. einer Arbeitsunfähigkeit von 75 %.
Ein Arztzeugnis hat sich grundsätzlich zu beiden Komponenten zu äussern oder festzulegen, wie die bestehende Einschränkung zu verstehen ist. Bei Unklarheiten sollte die Arbeitgeberin beim Arzt nachfragen. Klärungsbedarf besteht oft auch bei Teilzeitbeschäftigung. Dem Grundsatz nach wirkt sich die Teilarbeitsunfähigkeit proportional auf das Arbeitspensum aus. Das heisst, bei einem Teilzeitpensum von 50 % und einer Arbeitsunfähigkeit von 50 % verbleibt noch eine Arbeitsfähigkeit von 25 %.
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VI. KANN VOM ARZT EIN DETAILLIERTES ZEUGNIS VERLANGT WERDEN?
Wenn sich infolge von Krankheit oder Unfall eine längere Arbeitsunfähigkeit abzeichnet, kann ein detailliertes Arztzeugnis sinnvoll sein. Das Ziel eines detaillierten Arztzeugnisses ist es nicht, die Diagnose offenzulegen, sondern zusätzliche Informationen bereitzustellen, beispielsweise welche Umstellungen am Arbeitsplatz nötig sind, damit die Arbeit wieder aufgenommen werden kann oder welche Tätigkeiten nicht mehr möglich sind. Dabei kann es nützlich sein, wenn der Arbeitnehmer und die Arbeitgeberin dem Arzt einen Arbeitsplatzbeschrieb zukommen lassen. Ein detailliertes Arztzeugnis kann von der Arbeitgeberin auf ihre Kosten verlangt werden, allerdings nur mit Zustimmung des betroffenen Arbeitnehmers.
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VII. ZWEIFEL AN DER RICHTIGKEIT EINES ARZTZEUGNISSES UND MASSNAHMEN
Berechtigte Zweifel an einem Arztzeugnis können sich aus verschiedenen Gründen ergeben. Dazu gehören formelle Fehler wie etwa eine fehlende Unterschrift oder die nicht erfolgte Angabe zur Arbeitsunfähigkeit. Ebenso können Zweifel angebracht sein, wenn widersprüchliche Zeugnisse vorliegen, der Unterzeichner kein zugelassener Arzt ist oder die Untersuchung fehlerhaft war. Ein Anlass für letzteres kann beispielsweise gegeben sein, wenn der Arzt lediglich auf die Aussagen des Arbeitnehmers vertraut oder das Zeugnis auf Grundlage einer telefonischen Konsultation ausgestellt hat. Auch eine Rückdatierung von mehr als ein paar Tagen kann Anlass zu Zweifeln geben. Zudem kann ein widersprüchliches Verhalten des Arbeitnehmers ein Arztzeugnis in Frage stellen. Schließlich sollte auch der Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit beachtet werden. In der Praxis führt eine wiederholte Arbeitsunfähigkeit direkt nach dem Wochenende oder in einem Zeitraum, in welchem dem Arbeitnehmer Ferien verweigert wurden, häufig zu berechtigtem Misstrauen.
Sollte die Arbeitgeberin aufgrund objektiver Anhaltspunkte Zweifel an einem Arztzeugnis hegen, sollte sie zunächst beim Arbeitnehmer selbst oder beim ausstellenden Arzt Klärung verlangen. Führt das nicht zum Ziel, ist die Arbeitgeberin berechtigt, den Arbeitnehmer auf ihre Kosten bei einem Vertrauensarzt untersuchen zu lassen. Mit der Anordnung einer solchen Untersuchung sollte nicht unnötig lang zugewartet werden.
Sollten Sie in der Praxis Fragen haben oder eine rechtliche Einschätzung benötigen, stehen wir Ihnen mit unserer Expertise jederzeit gerne zur Verfügung.
31. Oktober 2024 / MLaw Manuel Vogler