AKTUELLES ZUM NEUEN KINDESUNTERHALT (BETREUUNGS-UNTERHALT)

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Per 01.01.2017 tritt das neue Kindesunterhaltsrecht in Kraft, gemäss welchem auch für Kinder unverheirateter Eltern wesentlich höhere Unterhaltsleistungen vorgesehen sind. Faktisch wird auch der unverheiratete Vater nunmehr im Normalfall Zahlungen an bzw. für die von ihm getrennt lebende Mutter eines ausserehelich gezeugten Kindes erbringen müssen. Dies unabhängig davon, ob die Eltern je in einem Konkubinat gelebt haben oder das Kind das Ergebnis eines One Night Stand ist. Bestehende Unterhaltsverträge oder Urteile über den Unterhalt für ein solches Kind können angepasst, d.h. Mehrforderungen können eingeklagt werden.

1. HÖHE DES BETREUUNGSUNTERHALTS? 

Die Ausgestaltung des dem Kind neben seinem Anspruch auf Versorgung (Natural- und Barunterhalt) zustehenden Betreuungsunterhaltes hat der Gesetzgeber – leider – der Praxis und damit den Gerichten überlassen, welche in den nächsten Jahren den Betreuungsunterhalt nach richterlichem Ermessen und damit wohl sehr unterschiedlich bemessen werden. Bis eine konstante bundesgerichtliche Rechtsprechung als Richtlinie vorliegen dürfte, werden einige Jahre verstreichen.

2. AKTUELLE BEMESSUNGSEMPFEHLUNGEN 

Während bis zum Vorliegen erster Urteile der Gerichte über die Höhe des Betreuungsunterhaltes noch einige Zeit verstreichen dürfte, hat sich die Lehre bereits intensiv mit dem Betreuungsunterhalt befasst. Durchzusetzen scheint sich auch wegen der Praktikabilität ein Modell, wonach der Betreuungsunterhalt, d.h. die an das Kind geschuldete Entschädigung für die Betreuung durch einen Elternteil (in aller Regel die Mutter) sich in einer Bandbreite zwischen CHF 2‘700.00 und CHF 3‘400.00 für eine Vollbetreuung – abhängig vom Kostenniveau am Wohnort des Kindes – bewegen wird. Mit dem entsprechenden Betrag soll dem Kind die 100%-ige Betreuung durch die nicht erwerbstätige Mutter entschädigt werden, welcher Betrag notabene zusätzlich zum Versorgungsunterhalt geschuldet ist. Wo eine Mutter ein Kind also voll persönlich betreut, wird in besseren wirtschaftlichen Verhältnissen neu durchaus ein Kinderunterhalt von insgesamt CHF 4‘000.00 bis CHF 5‘000.00 zur Debatte stehen, wobei es durchaus auch Meinungen gibt, wonach bei sehr guter Leistungsfähigkeit auch der Betreuungsunterhalt zu erhöhen sei. Das Kind habe nicht nur Anspruch auf eine der Leistungsfähigkeit der Eltern angepasste Versorgung, sondern auch auf eine dem hohen Lebensstandard entsprechende Betreuung. 

3. PERSÖNLICHE BETREUUNG ODER DRITTBETREUUNG 

Im Vordergrund steht durchwegs das Kindeswohl, d.h. den Vorrang hat die für das Kind beste Lösung – sei es die persönliche Betreuung durch die Mutter (ausnahmsweise durch den Vater) oder eine Drittbetreuung (Krippe, etc.). Auch um Missbräuche zu verhindern, wird dem Gericht dabei aber nichts anderes übrig bleiben, als von der Prämisse auszugehen, dass die bisherigen Regelungen (vor der Trennung der Eltern) dem Kindeswohl entsprechen und die Eltern beim bisherigen Modell zu behaften sind. Hat also die das Kind betreuende Kindsmutter bereits vor der Trennung ganz oder teilweise gearbeitet und das Kind fremdbetreuen lassen, so hat es dabei zu bleiben, soweit nicht beispielsweise die Aufhebung des Konkubinates ihre Erwerbsfähigkeit nachweislich einschränkt. Bei voller Erwerbstätigkeit der Mutter wird neben dem wie bis anhin geschuldeten Versorgungsunterhalt als Leistung an das Kind weiterhin dessen Fremdbetreuung zu bezahlen sein, nicht aber eine Entschädigung für Betreuungsleistungen der Mutter. Relevant sind nur Betreuungsleistungen derselben während der üblichen Arbeitszeiten. 

Wie die Gerichte dort entscheiden werden, wo die unverheirateten Eltern nicht zusammen gelebt haben und es also kein weiterzuführendes Modell gibt, ist noch völlig offen. Namentlich bei kleinen Kindern unter drei Jahren wird aber wohl der persönlichen Betreuung der Vorrang eingeräumt werden, wenn die Mutter hierzu bereit ist. 

4. DAUER DER UNTERHALTSPFLICHT 

Während der Versorgungsunterhalt wie bis anhin bis zum Abschluss der Erstausbildung des Kindes geschuldet ist, besteht Einigkeit darüber, dass ein Betreuungsunterhalt nur so lange geschuldet ist, wie eine nachhaltige Betreuung nötig ist. Bei einer Drittbetreuung werden die Kosten altersbedingt sinken, weil an Stelle kostenpflichtiger Betreuungsangebote (Krippe, Tagesmutter, etc.) der Kindergarten und die Schule treten. Bei der persönlichen Betreuung durch die Kindsmutter wäre auf Grundlage der gesetzgeberischen Vorgabe (Gleichstellung aller Kinder) an sich auf die aktuelle höchstrichterliche Praxis abzustellen, wonach die Betreuung eines Kindes bis zum 10. Altersjahr ein Vollpensum und der betreuenden Mutter danach bis zum 16. Altersjahr neben der Kinderbetreuung nur ein 50%-Pensum zumutbar ist. Bis zum 10. Altersjahr wäre damit ein Betreuungsunterhalt von CHF 2‘700.00 bis CHF 3‘400.00 (siehe oben), danach die Hälfte und somit CHF 1‘350.00 bis CHF 1‘700.00 geschuldet. Bei mehreren Kindern ist der die volle Betreuungsleistung der Mutter abdeckende Betreuungsunterhalt auf die mehreren Kinder aufzuteilen. 

Der höchstrichterlichen Praxis (10/16-Regel) ist bereits in der Vergangenheit deshalb Widerstand erwachsen, weil die ausschliessliche Kinderbetreuung bis Alter 10 mit der gesellschaftlichen Realität kaum mehr übereinstimmt und die bereits heute stark ausgebauten, ergänzenden Betreuungsmöglichkeiten (Mittagstisch, Blockzeiten, etc.) ausser Acht lässt. Es ist davon auszugehen, ja zu hoffen, dass dem endlich Rechnung getragen und das bisherige Modell durch eine abgestufte, der Wirklichkeit eher entsprechende Regelung ersetzt wird. Von denselben Autoren, welche die obgenannten pauschalierten Betreuungsleistungen propagieren, wird denn auch empfohlen, dem voll betreuenden Elternteil bereits ab Kindergarteneintritt des Kindes ein Pensum von 20% bis 30%, von 40% bis 50% bei Eintritt in die Primarschule, von 70% bis 80% bei Eintritt in die Oberstufe und (unverändert) von 100% ab Alter 16 des jüngsten Kindes zuzumuten bzw. das damit erzielbare Einkommen anzurechnen. Ausnahmen im Einzelfall sollen auch bei diesem neuen Modell möglich sein, beispielsweise dort, wo mehrere kleine Kinder zu betreuen sind oder wo – in sehr ländlichen Verhältnissen – externe ergänzende Betreuungsmöglichkeiten fehlen.

5. ZUSAMMENFASSUNG

Der Gesetzgeber hat es sich mit seinen Regelungen zum neuen Kinderunterhaltsrecht etwas gar leicht gemacht und die Verantwortung für die Ausgestaltung einer “Regelbeurteilung“ an die Gerichte delegiert. Es wird sich zeigen, ob bzw. welche Beurteilungsmodelle sich durchsetzen, ob es zu den befürchteten unterschiedlichen Urteilen in verschiedenen Kantonen oder an verschiedenen Gerichten kommt und ob bzw. wie das Bundesgericht die offenen Fragen – hoffentlich – klären wird. Klar ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt und somit durchaus noch einige Jahre für alle involvierten Parteien und namentlich die beratenden Anwälte eine grosse Unsicherheit über den Ausgang entsprechender Auseinandersetzungen bestehen und es wohl vermehrt zu strittigen Auseinandersetzungen kommen wird. So oder so werden die Gerichte darunter zu leiden haben, dass unzählige alte Unterhaltsregelungen anzupassen sind und im Übrigen auch in eherechtlichen Verfahren die Unterhaltsberechnungen wesentlich anspruchsvoller sein werden.

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14. Dezember 2016 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin