ANFECHTUNG DES ANFANGSMIETZINSES
lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt, und MLaw Matthias Meier
Unter gewissen Voraussetzungen kann ein Mieter während eines laufenden Mietverhältnisses die Herabsetzung des Mietzinses verlangen (z.B. bei einer Reduktion des Referenzzinssatzes) oder eine ungerechtfertigte Mietzinserhöhung des Vermieters anfechten. Darüber hinaus kann unter Umständen bereits der Anfangsmietzins angefochten werden, soweit dieser missbräuchlich ist. Kürzlich hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung diesbezüglich in einem wegweisenden Entscheid präzisiert und die Position der Mieter gestärkt.
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I. GRUNDLAGEN
Wer einen Vertrag abschliesst, muss ihn einhalten – das gilt auch im Mietrecht. So sind die Parteien im Mietverhältnis grundsätzlich an den ausgehandelten Mietzins gebunden. In der Praxis ist die Anfechtung des Anfangsmietzinses denn auch eher selten anzutreffen. Selbst bei einer überhöhten Miete sehen viele Mieter von einer Anfechtung des Mietzinses ab, weil sie Konsequenzen seitens des Vermieters befürchten, beispielsweise eine Kündigung. Das Gesetz begegnet dieser Gefahr damit, dass der Mieter, der den Mietzins anficht, sowohl während des Verfahrens als auch in den drei folgenden Jahren gegen eine Kündigung geschützt ist, sofern das Verfahren durch Vergleich zum Abschluss gekommen ist oder der Mieter zumindest teilweise obsiegt hat. Auf der anderen Seite gilt: Wer eine rechtzeitige Anfechtung des Anfangsmietzinses unterlässt – innert 30 Tagen nach Übernahme der Mietsache –, hat den Mietzins grundsätzlich akzeptiert. Er kann sich auch nicht später darauf berufen, dass beispielsweise ein anderer Mieter der gleichen Liegenschaft einen günstigeren Mietzins erstritten hat.
Die Anfechtung des Anfangsmietzinses ist grundsätzlich bei allen Wohn- und Geschäftsräumen möglich. Von vorneherein ausgeschlossenist sie jedoch bei luxuriösen Wohnungen und Einfamilienhäusern mit mindestens sechs oder mehr Wohnräumen (Art. 253b Abs. 2 OR), bei Ferienwohnungen, die für höchstens drei Monate gemietet werden (Art. 253a Abs. 2 OR), oder bei von der öffentlichen Hand geförderten Wohnungen, deren Mietzinse durch eine Behörde kontrolliert werden (Art. 253b Abs. 3 OR).
Für eine erfolgreiche Anfechtung muss der Mietzins einerseits missbräuchlich sein (nachfolgend II.) und andererseits alternativ eine persönliche Notlage, eine Zwangslage aufgrund der örtlichen Marktverhältnisse oder eine erhebliche Erhöhung des Mietzinses gegenüber dem früheren Mietzins vorliegen (nachfolgend III.).
II. MISSBRÄUCHLICHKEIT DES MIETZINSES
Ein Mietzins ist missbräuchlich, wenn damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird oder wenn er auf einem offensichtlich übersetzten Kaufpreis beruht (Art. 269 OR). In der Praxis werden verschiedene Kriterien
und Methoden angewandt, um die zulässige Höhe des Mietzinses zu ermitteln. Mit den absoluten Anpassungskriterien wird der Mietzins losgelöst vom bislang gültigen Mietzins bestimmt. Absolute Kriterien sind die Rendite (Nettorendite gemäss Art. 269 OR oder Bruttorendite gemäss Art. 269a lit. c OR) und die orts- und quartierübliche Vergleichsmiete (Art. 269a lit. a OR). Mit den relativen Anpassungskriterien wird von der letzten Mietzinsfestsetzung ausgegangen und untersucht, wie sich die massgeblichen Faktoren seither verändert haben. Die wichtigsten relativen Kriterien sind wertvermehrende Investitionen sowie die Anpassung an Kostenveränderungen (veränderte Hypothekarzinsen, Unterhalts- und Betriebskosten, Gebühren und Abgaben) und der Teuerungsausgleich auf dem investierten Eigenkapital.
Die Berechnung des „gerechten“ Mietzinses hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab und gestaltet sich für Laien zumeist schwierig, nicht zuletzt weil das Gesetz die Kriterien und Voraussetzungen nur rudimentär regelt.
Art. 269a OR listet immerhin auf, wann ein Mietzins in der Regel als nicht missbräuchlich eingestuft wird, so namentlich bei einer Anpassung an Orts- und Quartierüblichkeiten, bei Kostensteigerungen für Unterhalt und Verwaltung der Mietsache, bei Hypothekarzinserhöhungen oder bei einer Anpassung an die Teuerung.
III. NOT-/ZWANGSLAGE BZW. ERHEBLICHE ERHÖHUNG DES MIETZINSES
Gemäss Art. 270 Abs. 1 OR kann der Mieter einen missbräuchlichen Anfangsmietzins anfechten,
– wenn er sich wegen einer persönlichen oder familiären Notlage zum Vertragsabschluss gezwungen sah,
– wenn er wegen der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume zum Vertragsabschluss gezwungen sah oder
– wenn der Mietzins gegenüber dem früheren Mietzins für dieselbe Mietsache erheblich erhöht worden ist.
Eine persönliche oder familiäre Notlage kann unterschiedlich begründet sein: Scheidung oder Trennung, Geburteines Kindes, Umzug wegen des Arbeits- oder Studienplatzes, Kündigung des bisherigen Mietverhältnisses, lange und fruchtlose Suche nach einer Wohnung etc. Liegt eine solche Notlage vor, kann vom Mieter nicht erwartet werden, dass er auf eine sich ihm bietende Gelegenheit zur Übernahme einer Mietsache verzichtet. EineZwangslage wegen der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohnungen oder Geschäftsräumetritt auf, wenn ein Mangel an verfügbaren Wohn- und Geschäftsräumen vorliegt. Der Mieter hat in solchen Fällen nicht nachzuweisen, dass sich die Knappheit an leer stehenden Wohn- oder Geschäftsräumlichkeiten konkret auf seine Bemühungen ausgewirkt hat. Von einer relevanten Einschränkung der Wahlmöglichkeiten ist bei einer Leerstandsziffer von weniger als 1,5% auszugehen. In Baden liegt der Anteil an leer stehenden Wohnungenunter 1% (Stand 2015, Quelle Bundesamt für Statistik).
Als erhebliche Erhöhung des Mietzinses gegenüber dem früheren Mietzins wird in der Regel ein Aufschlag von 10% und mehr betrachtet. Die Rechnungsgrundlagen des bisherigen und neuen Mietzinses spielen keine Rolle. Als Mietzins gilt der gesamte geschuldete Betrag für die Mietsache (Nettomietzins plus Nebenkosten).
Das Bundesgericht hat mit seinem kürzlich ergangenen Entscheid (BGer vom 18. Mai 2016, 4A_691/2015) bestätigt, dass nur eine dieser drei Voraussetzungen erfüllt sein muss. Die Vorinstanz – das Zürcher Obergericht – hatte noch ausgeführt, dass es für die Anfechtung des Anfangsmietzinses nicht genüge, dass eine Wohnungsnot vorliege. Vielmehr müsse ein Mieter zusätzlich eine persönliche Notlage beweisen und insbesondere belegen können, dass ihm eine vernünftige Alternative gefehlt habe. Das Bundesgericht führte dagegen aus, dass aufgrund der gesetzlichen Bestimmung klar sei, dass die Anfechtungsgründe alternativ zur Verfügung stünden. Ausserdem gehe es darum, dass dem Mieter bei der Aushandlung des Mietzinses keine vergleichbare Macht zukomme, weil er auf eine Wohnung angewiesen sei. So diene die Anfechtung aufgrund der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt denn auch dazu, den Missbrauch eines Marktungleichgewichts zu verhindern.
IV. FAZIT
Im Mietverhältnis sind die Parteien grundsätzlich an den ausgehandelten Mietzins gebunden. Das Gesetz sieht unter bestimmten Voraussetzungen jedoch die Möglichkeit vor, bereits gegen einen übersetzten Anfangsmietzins vorzugehen. Der Mieter muss sich hierfür innert 30 Tagen nach Übernahme der Mietsache an die zuständige Schlichtungsbehörde wenden und darlegen, dass der Mietzins missbräuchlich ist. Zusätzlich muss eine persönliche Notlage oder eine Zwangslage aufgrund der örtlichen Marktverhältnisse (wie z.B. eine Wohnungsnot) vorliegen oder der Mietzins gegenüber dem früheren Mietzins erheblich erhöht worden sein.
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1. Juli 2016 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt, und MLaw Matthias Meier
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