AUSWIRKUNGEN VON CORONA-MASSNAHMEN AUF DIE MIETZINSE VON GESCHÄFTSMIETERN – ENTSCHEID DES MIETGERICHTS ZÜRICH VOM 02.08.2021

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

.Seit mehr als einem Jahr fragen sich Geschäftsmieter und -vermieter, inwiefern sich die behördlich verordneten Massnahmen, namentlich die Betriebsschliessungen während der Lockdowns, auf die Mietzinszahlungspflicht des Mieters auswirken. In der Politik ist eine Debatte darüber ausgebrochen und viele Juristen haben sich mit der Frage auseinandergesetzt (vgl. mein Newsletter vom 20. März 2020).

Nun hat das Mietgericht Zürich am 2. August 2021 sich erstmals zur heftig umstrittenen Frage geäussert und entschieden, dass eine Vertragskorrektur nach den Regeln der Teilunmöglichkeit oder eine Mietzinsherabsetzung infolge Mangelhaftigkeit der Mietsache grundsätzlich nicht in Frage kommt. Je nach dem kann aber eine richterliche Vertragsanpassung nach den Regeln der veränderten Umstände (clausula rebus sic stantibus) angezeigt sein.

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I. RECHTLICHES

1.1 Nachträgliche (Teil-)Unmöglichkeit

Bei nachträglicher objektiver unverschuldeter Unmöglichkeit ist der Schuldner nicht mehr verpflichtet, die Leistung zu erbringen (Art. 119 Abs. 1 OR). Das Bundesgericht hat in der Vergangenheit festgehalten, dass Unmöglichkeit nur in Betracht kommt, wenn diese mit Gewissheit bis zum Vertragende bestehen bleibt oder ihr Wegfall zumindest nicht abzusehen ist.

1.2 Mängel an der Mietsache

Falls an einer Mietsache Mängel bestehen oder der Mieter im vertragsgemässen Gebrauch der Mietsache gestört wird, kann er vom Vermieter verlangen, dass der Mietzins verhältnismässig herabgesetzt wird (Art. 259a Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 259d OR). Mangelhaft ist ein Mietobjekt, wenn ihm eine vertraglich zugesicherte oder eine sich aus dem vertraglichen Gebrauchs-zweck ergebende Eigenschaft fehlt. Dies ist in erster Linie anhand des konkreten Vertrages und den darin niedergeschriebenen Bestimmungen zu beurteilen. Dass auf Seiten des Vermieters ein Verschulden vorliegen muss, damit eine Mietzinsherabsetzung beantragt werden kann, wird vom Gesetz nicht vorausgesetzt.

1.3 Clausula rebus sic stantibus / Richterliche Vertragsanpassung

Dem Grundsatz pacta sunt servanda zufolge ist davon auszugehen, dass Verträge so zu halten sind, wie sie geschlossen wurden. Davon werden nur in beschränktem Umfang Ausnahmen zugelassen. Die Anpassung eines Vertrags rechtfertigt sich dann, wenn aufgrund einer Verhältnisveränderung die Erfüllung des Vertrages mit seinem ursprünglichen Inhalt mindestens einer Partei nicht mehr zumutbar ist. Dabei steht der Grundgedanke im Vordergrund, dass die Parteien den Vertrag so nicht geschlossen hätten, wenn sie nicht Fehlvorstellungen über die Zustände bei Vertragsschluss oder über die Entwicklung der Verhältnisse gehabt hätten.
Ein richterlicher Eingriff in einen Vertrag aufgrund veränderter Umstände setzt nach Rechtsprechung und herrschender Auffassung voraus, dass die Verhältnisänderung weder vorherseh-bar noch vermeidbar war, dass diese eine gravierende Äquivalenzstörung zur Folge hatte und dass der Vertrag nicht vorbehaltlos erfüllt wurde.

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II. SACHVERHALT

Dem Urteil des Mietgerichts Zürich lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Parteien schlossen 2013 einen Mietvertrag betr. Ladenlokal sowie betr. Lager ab. Aufgrund der behördlich verordneten Lockdowns infolge Corona-Pandemie bezahlte die Mieterin die Mietzinse für die Monate April und Mai 2020 nicht. Für die Monate Juni 2020 bis Januar 2021 bezahlte sie jeweils 1/3 des geschuldeten Bruttomietzinses. Für Februar 2021 stellte sie die Zahlung wiederum ganz ein.

Die Parteien standen aussergerichtlich im Kontakt und die Vermieterin bot der Mieterin vergleichsweise für die Zeit der beiden Lockdowns einen Mietzinserlass von 60% an. Dieses Angebot lehnte die Mieterin jedoch ab. Auch an der Schlichtungsverhandlung konnte keine Einigung erzielt werden. Infolgedessen klagte die Vermieterin im Februar 2021 den gesamten Mietzinsausstand ein.
Das Mietgericht Zürich hatte sich mit den Fragen zu befassen, ob die behördliche Schliessung zu einer nachträglichen Teilunmöglichkeit geführt habe, ob die Schliessung ein Mangel darstelle und ob ein Anwendungsfall der clausula rebus sic stantibus vorliege.

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III. ENTSCHEID

Im Entscheid hielt das Mietgericht zunächst fest, dass die Parteien keine spezifische Risikotragungsklausel, wie im Falle von behördlich angeordneten Betriebsschliessungen vorzugehen wäre, vereinbart haben.

Ebenfalls verneinte es, die Streitigkeit über die Bestimmung von Art. 119 OR, welcher die nachträgliche Unmöglichkeit zum Inhalt hat, zu lösen, da die behördliche Schliessung nur vorübergehend und nicht dauerhaft war und die Vermieterin ihre Hauptleistung mit der Gebrauchsüberlassung des Mietobjektes gehörig erbracht hat. Eine (Teil-)Unmöglichkeit fiele nach Ansicht des Gerichts nur dann in Betracht, wenn der Leistungserfolg, der zum Inhalt der geschuldeten Leistung gehört, nicht mehr eintreten kann (Zweckverfehlung). Bei einer blossen Verwendungsunmöglichkeit liege das Risiko beim Mieter, sofern und soweit dies nicht ausdrücklich anders vereinbart worden sei.

In Bezug auf die wohl interessanteste Frage, ob die behördliche Betriebsschliessung einen Mangel darstellen würde, setzte sich das Mietgericht zuerst mit den verschiedenen Lehrmeinungen auseinander. Während ein Teil der Lehre die Meinung vertritt, dass ein Mangel vorliege, wenn die gemieteten Räumlichkeiten wegen eines öffentlich-rechtlichen Verbotes nicht mehr genutzt werden können, ist die herrschende Lehre der Ansicht, dass in der Regel die vereinbarte Beschaffenheit des Mietobjektes nur objektbezogene und nicht auch betriebsbezogene Eigenschaften betreffe. Das Mietgericht schloss sich der herrschenden Lehre an. Gemäss Begründung des Gerichts gehen die Parteien ein Dauerschuldverhältnis ein, in dessen Rahmen der Vermieter dem Mieter verspricht, ihm gegen Entgelt Räumlichkeiten zu überlassen, in denen der Mieter seine Geschäftstätigkeit ausüben kann. Dieses Geschäft ist – sofern nicht anders vereinbart – nicht Bestandteil des Mietvertrages, sondern besteht unabhängig davon und gehört zur Rechtssphäre des Mieters. Eine Mitübernahme des unternehmerischen Risikos des Mieters durch den Vermieter bedarf einer besonderen Abrede. Es ist zwar korrekt, dass ein Mieter von der Mietsache nicht den Gebrauch machen kann, den er will bzw. seinem Geschäft nicht wie gewollt nachgehen kann, im Gebrauch selbst aber nicht gestört ist, solange die überlassenen Räumlichkeiten sachlich für das taugen, was von den Parteien vereinbart wurde. Nur wenn der Vermieter dem Mieter explizit zusichert, dass er die Räume stets dem Zweck entsprechend gebrauchen könne, kann davon gesprochen werden, dass der Vermieter sich bewusst am unternehmerischen Risiko des Mieters beteiligt hat. Es lag vorliegend keine Zusicherung der Möglichkeit der Betriebstätigkeit, keine Gebrauchsverpflichtung und auch keine Umsatzmiete vor, die zu anderen Schlüssen hätten führen können. Die Qualität des Mietobjekts und dessen Eigenschaften entsprachen also zu jedem Zeitpunkt dem vertraglich Vereinbarten. Das betreffende Mietobjekt taugte jederzeit als Ladenlokal bzw. als Lager. Die weggefallene bzw. die in Folge der allgemeinen Schutzmassnahmen, wie Hygiene- und Abstandsregeln, reduzierte Nutzungsmöglichkeit ist nicht Folge eines Mangels an der Mietsache, sondern ein Umstand, der den geführten Betrieb der Mieterin angeht und damit das unternehmerische Risiko derselben. Eine Mietzinsherabsetzung schied daher aus.

Betreffend der vom Mieter vorgebrachten Anwendung des Grundsatzes clausula rebus sic stantibus führte das Mietgericht aus, dass die Verhältnisänderung zu bejahen war und die Mieterin den Vertrag nicht vorbehaltlos erfüllt hat (Einstellung Mietzinszahlung), was ebenfalls eine Voraussetzung darstellt. Die Parteien mussten zwar grundsätzlich jederzeit mit dem Ausbruch einer Pandemie rechnen. Die infolge der Corona-Pandemie getroffenen behördlichen Massnahmen waren je-doch bei Vertragsschluss nicht voraussehbar, da es selbst bei schwererwiegenden Pandemien wie beispielsweise der Spanischen Grippe nicht zu derart einschneidenden Beschränkungen gekommen ist. Eine weitergehende Prüfung hat das Mietgericht aber dennoch nicht vorgenommen und insofern die Frage offengelassen, da die beklagte Mieterin es unterlassen hat, die genauen Umstände darzulegen, inwiefern sich die Massnah-men auf ihren Geschäftsbetrieb ausgewirkt haben (z.B. Umsatzzahlen) und was sie unternommen hat, um die Auswirkungen zu überwinden. Durch die Veränderung der Verhältnisse muss eine schwerwiegende Störung des Vertragsäquivalentes ausgelöst werden. Der Übergang zwischen einer «noch im Rahmen liegenden» und einer «gravierenden» Äquivalenzstörung lässt sich ausschliesslich aufgrund einer Beurteilung aller Umstände des konkreten Einzelfalls bestimmen, was vorliegend mangels Substantiierung der Mieterin für das Gericht nicht möglich war.

Im Endeffekt wurde die Klage der Vermieterin auf Bezahlung der offenen Mietzinse vollumfänglich gutgeheissen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und es wird sich zeigen, ob sich die höheren Instanzen, namentlich das Zürcher Obergericht und allenfalls sogar das Schweizerische Bundesgericht mit der Thematik befassen müssen. Falls nicht, wird es interessant sein zu sehen, ob die Gerichte in anderen Kantonen die gleiche Auffassung wie das Mietgericht Zürich vertreten oder ob sie davon abweichen werden.


13. August 2021  / MLaw Kim Attenhofer