DAS BAUKOSTENHONORAR BEI PLANERVERTRÄGEN – EINE FORMEL MIT VIELEN VARIABLEN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Bauherrschaften sehen sich bei Offerten von Planern oft mit dem Vergütungsmodell nach aufwandbestimmenden Baukosten konfrontiert. Dieses wird auch als „Baukostenhonorar“ bezeichnet. Der Bauherrschaft wird dabei gestützt auf die entsprechende SIA-Honorarordnung 102 (Architekten) oder 103 (Ingenieurleistungen) eine Honorarofferte vorgelegt, welche für die Berechnung des Honorars auf eine komplexe, nicht einfach nachzuvollziehende und damit auch schwer kontrollierbare Formel zurückgreift. Die mathematische Formel mag den Anschein erwecken, dass die Honorarberechnung sehr exakt ist und wenig Interpretations- und Verhandlungsspielraum bietet. Dem ist jedoch gerade nicht so.

I. PROGNOSTIZIERTER ZEITAUFWAND ALS REFERENZGRÖSSE

Das Vergütungsmodell nach Baukosten beruht auf der (statistisch erwiesenen) Annahme, dass der Aufwand des Planers mit den Baukosten in einem Zusammenhang steht – somit bei steigenden Baukosten steigt und bei geringeren Baukosten sinkt. Ob dies effektiv zutrifft und inwieweit ein solches Vergütungsmodell genügend Anreize für den Planer schafft, die Baukosten für den Bauherrn tief zu halten oder gar zu optimieren, wird an dieser Stelle offengelassen. Der Newsletter konzentriert sich auf eine zusammenfassende Darstellung der „technischen“ Fragen der entsprechenden Honorarformeln.

Statt dass der Planer seinen effektiven Zeitaufwand erfasst und dann mit seinem Stundenansatz multipliziert, wird beim Baukostenhonorar eine fiktive „Stundenaufwandprognose bzw. -durchschnitt“ anhand der Baukosten und weiteren Faktoren hergeleitet. Die Herleitung erfolgt in drei Schritten (nachfolgend rückwärts dargestellt). Die drei Formeln zur Herleitung des Honorars sind nachfolgend aufgelistet:

.

Formel für die Berechnung des Honorars (H):

Tp (progn. Zeitaufwand) × (Faktor Sonderleistungen) × (Stundenansatz)

Der prognostizierte Zeitaufwand in Stunden (Tp) wird mit dem vertraglich vereinbarten Stundenansatz (h) sowie einem Faktor für allfällige Sonderleistungen (s) multipliziert was das Honorar (H) ergibt.

.

Formel für die Berechnung des prognostizierten Zeitaufwandes (Tp):

Tp Tm (durchschn. Zeitaufwand) × (Teamfaktor)

Der prognostizierte Zeitaufwand (Tp) errechnet sich aus dem durchschnittlichen Zeitaufwand (Tm) multipliziert mit dem Teamfaktor (i). Der Teamfaktor ist normalerweise 1.0 (womit Tp meist Tm entspricht) und wird nur in besonderen Fällen angepasst.

.

Formel zur Herleitung des durchschnittlichen Zeitaufwandes (Tm):
Tm (aufwandbest, Baukosten) × ((Grundfaktor)/100) × (Schwierigkeitsgrad) × ((Leistungsanteil)/100) × r (Anpassungsfaktor)
Die beiden für das Honorar in erster Linie massgebenden bzw. entscheidenden Grössen sind dabei die aufwandbestimmenden Baukosten (B) sowie der Leistungsanteil (q)

Aufwandbestimmende Baukosten (B):

Generell sind nur diejenigen Baukosten aufwandbestimmend, welche den Aufwand des Planers beeinflussen. Wird ein Planer (etwa ein Ingenieur) als Spezialist nur für bestimmte Bauteile beigezogen, so sind entsprechend nur die Baukosten für die Teile, welche der Planer bearbeitet, aufwandbestimmend. Etwas Anderes wäre nicht im Sinn des Modells. Nur wenn der Planer (wie etwa der Architekt, welcher sich um den ganzen Bau kümmert) das ganze Gebäude bearbeitet, sind die gesamten Baukosten aufwandbestimmend. Im Vertrag ist zu regeln, ob sich die aufwandbestimmenden Baukosten anhand der Kostenschätzung oder anhand der Schlussrechnung errechnen. Wichtig ist, dass nicht alle im Zusammenhang mit dem Bau anfallenden Kosten aufwandbestimmend sind, sondern nur die Kosten, welche die SIA als aufwandbestimmend vorsieht. Nicht aufwandbestimmend sind etwa die Honorare der Planer und Spezialisten, Grundstückkosten, öffentliche Gebühren, Versicherungen, MwSt. etc. Die Abgrenzung ist nicht immer einfach, gerade wenn nur Leistungen für Teile eines Bauwerkes erbracht werden. Je detaillierter man im Vertrag geregelt hat, welche Kosten aufwandbestimmend sein sollen, desto weniger Unklarheiten bleiben.

Leistungsanteil (q):

Neben der Höhe der Baukosten (Faktor B) kommt dem Faktor q entscheidende Bedeutung zu. Die obgenannte Formel des SIA errechnet den durchschnittlichen Zeitaufwand für alle Grundleistungen des Leistungskataloges der drei SIA Phasen Projektierung, Ausschreibung und Realisierung (SIA Phasen 3-5). Nur wenn der Planer alle im SIA-Leistungskatalog definierten Grundleistungen dieser drei Phasen erbringt, ist der Faktor =100 (d.h. 100 % Leistungsanteil). In der SIA-Leistungstabelle sind die einzelnen Teilphasen mit Teilprozenten beschrieben. Wir etwa nur das Vorprojekt beauftragt, ist der Faktor q = 9 %. Der SIA-Leistungskatalog umschreibt die Aufgaben des Pla- ners funktional und nicht quantitativ. Der quantitative Aufwand wird im Zusammenspiel mit den aufwandbestimmenden Baukosten errechnet. Ausgehend von den 100 % Gesamtleistungen ist deshalb immer festzulegen, wie viele Leistungen/Aufgaben der Beauftragte aus dem Katalog der als in der SIA-Tabelle als 100 % Gesamtleistung definierten Leistungen erbringen muss. Zu beachten ist, dass diese Leistungsprozente sehr pauschalisierend sind und die Realität oft nicht wiedergeben, was zu Diskussionen führen kann, wenn nur einzelne Leistungen in einer Phase erbracht werden müssen.

Aus Sicht der Bauherrschaften (aber auch der Planer) ist dem Faktor q deshalb vor Vertragsunterzeichnung ein besonderes Augenmerk zu schenken, hat der Leistungsanteil enorme Auswirkung auf die Höhe der Vergütung und auch den beauftragten Leistungsumfang. Besondere Schwierigkeiten bietet die Festlegung des Leistungsanteils q, wenn der Bauherr noch weitere Spezialisten beizieht und so gewisse Leistungen aus dem Leistungskatalog des Planers wegfallen. Wird etwa die Bauleitung ausgeklammert, so reduziert sich der Honoraranteil entsprechend um den wegfallenden Leistungsanteil. Will der Bauherr hier nicht eine Leistung doppelt vergüten, so muss der Leistungskatalog und auch der Leistungsanteil überprüft und die Festlegung des Faktors q anhand des genauen Leistungsbeschriebs angepasst werden.

Weitere Faktoren:

Neben den Faktor der aufwandbestimmenden Baukosten (B) und dem Leistungsanteil (q) enthält die Formel noch den sogenannten „Grundfaktor“ (p) für den Stundenaufwand, ein vom SIA vorgegebener Faktor, welcher den Zusammenhang zwischen den Baukosten und Zeitaufwand ausdrücken soll, sowie den Faktor „Schwierigkeitsgrad“ (n), welcher nach der Baukategorie (n) festgelegt wird. Auch da ist zu empfehlen, im Vertrag diese Faktoren verbindlich zu regeln, wobei normalerweise diese Faktoren standardmässig nach den Vorgaben des SIA verwendet werden. Mit dem Anpassungsfaktor (r) können allfällige äussere Einflüsse berücksichtigt werden. Normalerweise gilt jedoch auch hier der Anpassungsfaktor 1.0.

II. EMPFEHLUNG UND FAZIT

Die komplex erscheinende Formel mit den diversen Faktoren darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei der Herleitung des Honorars entscheidend auf die beiden Faktoren der aufwandbestimmenden Baukosten (B) sowie des Leistungsanteils (q) ankommt. Diese Faktoren sind nicht vorgegeben, sondern vom effektiven Projektumfang und den Verhandlungen der Parteien abhängig. Bei der Prüfung einer entsprechenden Offerte und vor Vertragsabschluss ist deshalb ein besonderes Augenmerk auf diese beiden Faktoren zu legen.

Bei den aufwandbestimmenden Baukosten empfiehlt es sich, bereits im Vertrag festzuhalten, welche Baukosten aufwandbestimmenden und damit honorarrelevant sind. Erbringt ein Planer nur bei gewissen Gewerken Leistungen dürfen nur die Baukosten dieser Gebäudeteile honorarwirksam sein. Teile wo keine Leistungen erbracht werden, müssen für die Herleitung des Honorars aus den aufwandbestimmenden Baukosten (B) entfernt werden. Sollte die Schlussrechnung als Referenzgrösse gewählt werden, ist zu empfehlen eine Obergrenze bei den aufwandbestimmenden Baukosten festzulegen und so das Honorar noch oben zu begrenzen. So kann der Bauherr unliebsame Überraschungen vermeiden. Auch beim Faktor q (Leistungsanteil) ist zu prüfen, welche Leistungen überhaupt beauftragt werden sollen. Der Leistungskatalog der SIA ist nicht sakrosankt, sondern kann je nach Projekt Anpassungen erfordern. Gerade wenn mehrere Planer oder Spezialisten im Projekt involviert sind, ist der jeweilige Leistungsanteil kritisch zu hinterfragen, will der Bauherr nicht Gefahr laufen, zweimal dieselbe Leistung zu bezahlen.

Auch eine detaillierte Prüfung ändert jedoch nichts daran, dass es sich beim Vergütungsmodell nach den aufwandbestimmenden Baukosten um ein stark pauschalisierendes Festpreismodell handelt, welches im Einzelfall mehr oder weniger von der effektiven Leistungsrealität abweichen kann. (Für einzelne Zusatzleistungen und Aufträge, ist dieses Modell deshalb nicht geeignet.) Sowohl Planer wie Bauherrschaften müssen sich in jedem Fall diesem Umstand bewusst sein, wenn sie sich für eine Vergütung nach diesem Modell entscheiden.

.

26. September 2018 / lic. iur. Christoph Schärli




GÜTERRECHTLICHE ANSPRÜCHE IM FALL, DASS EINER DER EHEGATTEN EIGENTÜMER UND ZUGLEICH ANGESTELLTER EINER EIGENEN UNTERNEHMUNG IST

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der nachfolgende Bericht befasst sich mit der nicht selten vorkommenden Konstellation, dass ein Ehegatte mit eigenen Mitteln (Eigengut) eine Firma gegründet oder gekauft hat und als Geschäftsführer derselben während der Ehe sein Einkommen generiert. Im Falle der Scheidung bzw. der güterrechtlichen Auseinandersetzung stellt sich in der Regel die Frage, ob der an der Unternehmung nicht beteiligte Ehepartner dennoch Möglichkeiten hat, güterrechtliche Ansprüche in Bezug auf diese Unternehmung durchzusetzen.

.

I. ERTRÄGE AUS EIGENGUT (ART. 197 ABS. 2 ZIFF. 4 ZGB)

Gemäss Art. 197 Abs. 2 Ziff. 4 ZGB umfasst die Errungenschaft der einzelnen Ehegatten insbesondere auch die Erträge aus dem Eigengut eines jeden Ehegatten. Damit gemeint sind unter anderem periodische, wiederkehrende Leistungen aufgrund eines Rechtsverhältnisses, welche im Zusammenhang mit einem Vermögensbestandteil des Eigenguts stehen, die Substanz des Eigenguts aber grundsätzlich unberührt lassen. Dazu gehören beispielsweise Dividenden und andere statutarische Leistungen aus Beteiligungen an Handelsgesellschaften mit juristischer Persönlichkeit.

Daraus kann gefolgt werden, dass Dividenden etc. welche aus Beteiligungen, welche dem Eigengut eines Ehegatten zugeordnet werden müssen, in die Errungenschaft zu zählen sind, wovon bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung der jeweils andere Ehegatte profitiert.

II. ARBEITSERWERB (ART. 197 ABS. 2 ZIFF. 1 ZGB)

Ebenfalls zur Errungenschaft zu zählen sind die Einkünfte jeglicher Art von selbständiger Erwerbstätigkeit (Lohn, Tantiemen etc.) und insbesondere auch der Gewinn im Zusammenhang mit einem Gewerbe oder Unternehmen, soweit dieser Gewinn auf der unternehmerischen Tätigkeit beruht. Die Lehre und Rechtsprechung unterscheidet dabei, ob industrielle Mehrwerte entstanden sind, welche auf den Einsatz der Arbeitskraft des einen Ehegatten zurückzuführen sind, oder ob konjunkturelle Mehrwerte vorliegen. Konjunkturelle Mehrwerte entstehen durch die Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage. Art. 197 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB erfasst nur die industriellen Mehrwerte. Konjunkturelle Mehrwerte fallen bei der güterrechtlichen Auseinandersetzung nicht in die Errungenschaft, sondern wachsen dem Anfangswert an und verbleiben einheitlich in der gleichen und ursprünglichen Gütermasse (im vorliegenden Beispiel Eigengut).

III. UNTERSCHEIDUNG ZWISCHEN KONJUNKTURELLEN UND INDUSTRIELLEN MEHRWERTEN FÜR DEN ANWENDUNGSFALL VON ART. 197 ABS. 2 ZIFF. 1 ZGB

Als Abgrenzungskriterium kann jeweils die Frage gestellt werden, ob eine vorhandene Wertsteigerung auch ohne wirtschaftliche Tätigkeit eingetreten wäre. Typisches Beispiel dafür wäre ein Beteiligungspapier (zum Beispiel Aktie) an einer Drittunternehmung, in welcher keiner der Ehegatten arbeitet. Dies wäre ein klassischer konjunktureller Mehrwert.

Resultiert der vorhandene Mehrwert jedoch aufgrund eines die ordentliche Verwaltung überschreitenden persönlichen Einsatzes, so spricht man von einem industriellen Mehrwert. Mit anderen Worten: Arbeitet der Eigentümerehegatte oder aber ein dritter Angestellter weitaus über Gebühr oder erhält er dafür eine Entschädigung weitaus unter dem angemessenen Wert, so entsteht industrieller Mehrwert, an welchem der andere Ehegatte hälftig zu beteiligen ist, da dieser Mehrwert der Errungenschaft zuzuordnen ist.

Insbesondere im Bereich von zurückbehaltenen Unternehmensgewinnen findet die vorgemachte Betrachtung ebenfalls Anwendung. Man spricht dabei von einem Vermögenszuwachs des Unternehmens, bei dem nicht mehr bloss von einer Refinanzierung zur Erhaltung der bisherigen Konkurrenzfähigkeit gesprochen werden kann, sondern vielmehr von einer Erweiterung der Unternehmung bzw. der Marktanteile die Rede sein muss.

Als industrieller Mehrwert muss also ein zurückbehaltender Gewinn gelten, sofern die Arbeitsleistung des Unternehmerehegatten zu Gunsten der vermehrten Selbstfinanzierung nicht in einem Masse abgegolten worden ist, wie dies einem Dritten gegenüber hätte geschehen müssen. Damit gemeint ist insbesondere der Fall, dass sich der Unternehmerehegatte keinen gebührenden Lohn auszahlt. Kapitalerträge können ebenfalls zur Unternehmenserweiterung eingesetzt worden sein. Dabei muss jedoch unterschieden werden, ob die Anlage vom Ehegatten aktiv bewirtschaftet worden ist (industrieller Mehrwert) oder bloss auf Marktmechanismen beruht (konjunktureller Mehrwert). Ebenfalls ein Anwendungsbereich eines industriellen Mehrwerts stellt die Situation dar, in der auf eine angemessene Kapitalverzinsung verzichtet worden ist.

IV. ERSATZFORDERUNG DER ERRUNGENSCHAFT GEGENÜBER DEM EIGENGUT (GÜTERMASSE DES GESCHÄFTSVERMÖGENS)

Haben Mittel der einen Vermögensmasse zum Erwerb, zur Verbesserung oder zur Erhaltung von Vermögensgegenständen der anderen beigetragen und ist ein Mehr- oder Minderwert eingetreten, so entspricht die Ersatzforderung dem Anteil des Beitrages und wird nach dem Wert der Vermögensgegenstände im Zeitpunkt der Auseinandersetzung oder der Veräusserung berechnet (Art. 209 Abs. 3 ZGB).

Wird also etwa die einem Ehegatten zustehende Entschädigung aus Arbeitsleistung nicht oder nicht voll bezogen, sondern als Investitionen in der Unternehmung belassen, bleibt der Charakter des Arbeitserwerbs und damit die güterrechtliche Zuordnung der Errungenschaft erhalten.

V. BEWEISPROBLEMATIK

Aufgrund der allgemeinen Beweislastregel von Art. 8 ZGB sind die tatsächlichen Voraussetzungen für das Bestehen einer Ersatzforderung der einen Gütermasse gegenüber der anderen zu beweisen. Dies erfordert insbesondere Einsicht in die Buchhaltung und insbesondere auch Lohnunterlagen. Weiter hinzugezogen werden müssen Quellen für durchschnittliche Lohnsummen der entsprechenden Positionen und Branchen. Oft hinzugezogen wird das sogenannte Salarium des Bundesamts für Statistik BFS: (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/loehne-erwerbseinkommen-arbeitskosten/lohnniveau-schweiz/salarium.html).

.

4. September 2018 / lic. iur. Stephan Hinz




TEILNAHME AN EINEM ÖFFENTLICHEN SUBMISSIONSVERFAHREN – WAS EIN ANBIETER WISSEN MUSS

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Bund, Kantone und Gemeinden sowie andere Institutionen, welche öffentliche Aufgaben erfüllen und aus öffentlichen Geldern finanziert werden, sind von Gesetzes wegen verpflichtet, ihre Beschaffungen (d.h. Einkäufe) auf dem Markt ab einer gewissen Auftragshöhe (sog. Schwellenwert) öffentlich auszuschreiben. Das Vergaberecht verfolgt zwei Hauptziele: Ein effizienter Umgang mit öffentlichen Mitteln sowie die Förderung des Wettbewerbes auf dem freien Markt. Die verfahrensrechtliche Umsetzung dieser Ziele führt sowohl auf Seiten der Vergabestellen als auch der Anbieter immer wieder zu Fragen und Unsicherheiten. Nachfolgend werden in einer Kurzfassung die wichtigsten Punkte, die ein Anbieter in einem Vergabeverfahren zu beachten hat, zusammengefasst:

I. DER LEISTUNGSBESCHRIEB UND DIE KRITERIEN

Das Vergaberecht hat zum Ziel, in einem transparenten, alle Anbieter gleich behandelnden Verfahren das wirtschaftlich günstigste (nicht billigste!) Angebot zu ermitteln. Öffentliche Vergabestellen wie Gemeinden, Schulen etc. müssen in der Ausschreibung die nachgefragte Leistung genau definieren und vorgängig die Eignungs- und Zuschlagskriterien, nach welchen sie die Anbieter und die eingereichten Angebote bewertet, bekanntgeben. Eignungskriterien sind anbieterbezogen, d.h. die Vergabestelle stellt Kriterien auf, welche Anbieter überhaupt zur Angebotseinreichung zugelassen werden. So kann eine Vergabestelle etwa eine gewisse Anzahl an Referenzaufträgen fordern oder Ausbildungen/Zertifikate oder andere Nachweise verlangen, welche belegen, dass die betreffende Anbieterin geeignet ist, die ausgeschriebene Leistung überhaupt erbringen zu können. Nur die Angebote von Anbietern, welche die Eignungskriterien allesamt erfüllen, werden überhaupt bewertet. Mit den angebotsbezogenen Zuschlagskriterien legt die Vergabestelle verbindlich fest, nach welchen Aspekten und mit welcher Gewichtung (bzw. zumindest in welcher Rangfolge) die eingereichten Angebote bewertet und das «wirtschaftlich günstigste» Angebot ermittelt wird. Neben dem Kriterium Preis können auch andere Kriterien wie Qualität, Referenzen, mit dem Angebot einzureichende Auftragsanalysen, Termine, etc. in die Bewertung aufgenommen werden.

Bei der Festlegung der Kriterien verfügt eine Vergabestelle über ein grosses Ermessen, ist jedoch dabei nicht völlig frei. Sowohl Eignungs- wie Zuschlagskriterien müssen sachlich begründbar sein und es dürfen keine Kriterien gewählt werden, welche einzelne Anbieter bevorzugen oder diskriminieren. Die Leistungsumschreibung hat funktional und produkteneutral zu erfolgen.

II. DIE STRIKTEN FORMVORSCHRIFTEN

Das Vergaberecht setzt den Gleichbehandlungsgrundsatz der Anbieter sehr formalistisch um. Zu spät eingereichte Angebote werden vom Verfahren ausgeschlossen, wobei auch ein nur wenige Minuten nach dem Eingabetermin (effektiver physischer Eingang des Angebotes, nicht der Poststempel entscheidet) eingereichtes Angebot nach Rechtsprechung auszuschliessen ist. Ebenso formalistisch ist das Vergaberecht bei unvollständig eingereichten Angeboten. Das Nachreichen/Nachbessern von Angeboten ist aus vergaberechtlicher Sicht grundsätzlich nicht zulässig. Nur unwesentliche, d.h. weder für die Eignungskriterien noch die Zuschlagskriterien relevante Dokumente dürfen überhaupt noch nachgereicht werden. Immer wieder müssen Anbieter mit dem besten Angebot aus dem Verfahren ausgeschlossen werden, welche ein Referenzblatt oder eine sonst verlangte Bescheinigung aus Versehen nicht eingereicht haben. Anbieter sind deshalb gut beraten, ihre Angebote mit allen verlangten Unterlagen rechtzeitig sowie vollständig und sorgfältig ausgefüllt einzureichen, wollen sie nicht Gefahr laufen, mit ihrem Angebot im vornherein aus dem Verfahren ausgeschlossen zu werden.

III. ANGEBOTSBEWERTUNG UND BEGRÜNDUNG ZUSCHLAGSERTEILUNG

Die Bewertung der Angebote ist Sache der Vergabestelle. Bewertet werden die fristgerecht eingereichten Angebote. Nachträgliche Anpassungen der Offerten oder gar Abgebotsrunden sind (zumindest auf kantonaler Ebene) unzulässig. Nach der Angebotsbewertung erfolgt die Mitteilung des Zuschlags oder der Absage an alle Anbieter in Form einer beschwerdefähigen Verfügung. Als nichtberücksichtigter Anbieter hat man Anspruch auf eine Begründung der Nichtberücksichtigung bzw. auf Einsicht in die Bewertung der Angebote, so dass man nachvollziehen kann, bei welchen Kriterien das eigene Angebot aus welchen Gründen weniger gut bewertet worden ist. Viele Vergabestellen teilen die Absage in einem ersten Schritt jedoch in einer nur sehr rudimentär begründeten Verfügung mit. In solchen Fällen kann ein Anbieter eine ausführliche Begründung verlangen.

Aufgrund der Dringlichkeit der meisten Beschaffungsvorhaben hat der Gesetzgeber die Fristen für eine Beschwerde gegen einen Vergabeentscheid jedoch sehr kurz angesetzt. Diese beträgt bei Beschaffungen auf kantonaler und kommunaler Ebene nur 10 Tag ab Erhalt des Zuschlagsentscheides. Für den betroffenen Anbieter hat dies zu Folge, dass ihm aufgrund der kurzen Zeit nur sehr wenig Zeit bleibt, eine Begründung zu verlangen, diese zu analysieren und dann gegebenenfalls eine Beschwerde einzureichen. Entsprechend ist zu empfehlen, die Begründung umgehend nach Eingang des Vergabeentscheides zu verlangen und allenfalls gleich um einen Termin für ein Debriefing/Gespräch bei der Vergabestelle zu ersuchen.

IV. RECHTSSCHUTZ

Grundsätzlich haben Anbieter die Möglichkeit, die Nichtberücksichtigung oder auch einen allfälligen Ausschluss ihres Angebotes anzufechten und deren Rechtmässigkeit vom kantonalen Verwaltungsgericht überprüfen zu lassen. Die Einreichung einer Beschwerde gegen eine Nichtberücksichtigung will jedoch gut überlegt sein. Die Verwaltungsgerichte auferlegen sich einer grossen Zurückhaltung bei der Überprüfung von Vergabeentscheiden und greifen insbesondere bei Ermessensfragen, wie etwa der Bewertung der qualitativen Zuschlagskriterien, nur bei groben und offensichtlichen Unstimmigkeiten ein. Erfolgsversprechend sind Beschwerden etwa dann, wenn aufgezeigt werden kann, dass der Vergabestelle krasse Fehler bei Bewertung passiert oder klare Grundsätze des Vergabeverfahrens, wie die Gleichbehandlung der Anbieter, verletzt worden sind. Dies reicht aber noch nicht aus: In einer Beschwerde muss der Anbieter auch darlegen können, dass er zumindest hypothetisch bei einer korrekten Bewertung mit seinem Angebot auf den 1. Rang zu liegen kommen würde oder aber das gesamte Verfahren zu wiederholen ist, ansonsten es ihm an einem schutzwürdigen Interesse und damit bereits an der Beschwerdelegitimation fehlt.

Die Zeit der 10 Tage Beschwerdefrist reicht oft nicht aus, um eine vertiefte Begründung von der Vergabestelle zu erhalten, diese zu analysieren und dann noch rechtzeitig eine Beschwerde einzureichen. Bestehen gewisse Anhaltspunkte, dass bei der Bewertung Fehler passiert sind, kann es somit notwendig werden, vorsorglich vor Erhalt einer ausführlichen Begründung eine Beschwerde einzureichen. Liegt dann die Begründung vor und ist erkennbar, dass aus rechtlicher Sicht eine Beschwerde wenig Erfolgsaussichten hat, kann die Beschwerde auch wieder zurückgezogen werden. Im Kanton Zürich (und auch in anderen Kantonen) ist nach Gerichtspraxis ein solcher Rückzug bis und mit Erhalt der Beschwerdeantwort bzw. vor Einreichung einer Replik noch ohne Kostenfolge möglich.

V. AUFSCHIEBENDE WIRKUNG MUSS IMMER BEANTRAGT WERDEN

Eine weitere Eigenart des Vergaberechts besteht darin, dass mit Einreichung der Beschwerde die Gewährung der aufschiebenden Wirkung vom Anbieter explizit beantragt werden muss, da dieser von Gesetzes wegen nicht automatisch aufschiebende Wirkung zukommt. Ist die Beschwerde nach einer summarischen Prüfung mit Aussicht auf Erfolg, bzw. nicht aussichtslos und liegt keine besondere Dringlichkeit vor, hat das Gericht der Beschwerde die aufschiebende Wirkung jedoch zu erteilen. Der Vergabestelle ist es dann untersagt, bis zum Vorliegen des Entscheides den Vertrag mit der Zuschlagsempfängerin abzuschliessen oder anderweitige Vollzugshandlungen vorzunehmen.

Wenn die aufschiebende Wirkung nicht beantragt oder vom Gericht nicht erteilt wird, kann die Vergabestelle hingegen den Vertrag mit der Zuschlagsempfängerin bereits vor dem inhaltlichen Entscheid über die Beschwerde abschliessen. Ist dies der Fall, kann das Gericht (auch wenn es später die Beschwerde gutheisst) den Zuschlag nicht mehr aufheben, sondern nur noch die Rechtswidrigkeit der Vergabe feststellen. Dem beschwerdeführenden Anbieter verbleibt bis auf eine allfällige (geringe) Entschädigung für die Verfahrenskosten in einem solchen Fall das Nachsehen, der Auftrag ist weg. Aus Sicht der Anbieter ist diesem Punkt bei der Beschwerdeeinreichung somit genügend Aufmerksamkeit zu schenken und immer die aufschiebende Wirkung explizit zu beantragen und das Gesuch zu begründen.

VI. FAZIT

Die verschiedenen Regelungen und deren sehr formalistische Umsetzung sorgen bei den Anbietern in einem öffentlichen Vergabeverfahren für einen grossen Aufwand. Da keine Verhandlungen oder Nachofferten zugelassen sind, muss bei jeder Ausschreibung eine komplett ausgearbeitete Offerte mit diversen Beilagen eingereicht werden. Eine Nichtberücksichtigung oder gar einen Ausschluss aus dem Verfahren ist deshalb oft mit grossem Ärger und Frustration verbunden. Das Einreichung einer Beschwerde will trotzdem gut überlegt sein, verfügt die Beschwerdeinstanz nur über eine eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeit der Vergabe. Es empfiehlt sich, bei einer Nichtberücksichtigung umgehend eine Begründung des Entscheides zu verlangen und die rechtlichen Chancen und Risiken einer Beschwerde von einer Fachperson überprüfen zu lassen.

.

28. Juni 2018 / lic. iur. Christoph Schärli




INVENTARE UND DENKMALSCHUTZ – WIE GRUNDEIGENTÜMER IHRE (VERFAHRENS-)RECHTE WAHREN

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Artikel von lic. iur. Christoph Schärli zum Thema «Inventare und Denkmalschutz – wie Grundeigentümer ihre (Verfahrens-) Rechte wahren».

.

Erschienen im Newsletter Bau- und Immobilienrecht, Ausgabe 07/2018 – bestellbar unter folgendem Link.




DIE ALTERNIERENDE OBHUT BEI TRENNUNG UND SCHEIDUNG – MEHR RECHTE FÜR DEN BISLANG NICHT IN DER HAUPTSACHE ERZIEHENDEN ELTERNTEIL

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt

lic. iur. Stephan Hinz, Mediator SAV und Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Immer mehr beantragen Parteien in einem Trennungs- oder Scheidungsprozesse die Zuteilung der Kinder an beide Elternteile nach einem alternierenden Betreuungskonzept (alternierende Obhut). Bis vor kurzem wurde diese Form der Betreuungsregelung jedoch durch Gerichte vornehmlich nur dann zur Anwendung gebracht, wenn beide Parteien dahingehend gleiche Vorstellungen und Anträge vorbrachten. Sobald sich ein Elternteil gegen die Installation einer alternierenden Obhut wehrte, wurde diese in aller Regel durch die Gerichte ebenfalls abgelehnt.

Das Bundesgericht geht nun neue Wege, was eine Chance für bislang nicht zur Hauptsache erziehenden Elternteile, vornehmlich Väter, bedeutet.

I. ALTERNIERENDE OBHUT

Alternierende Obhut bedeutet, dass beide Elternteilen zu gewissen Teilen die Betreuung der Kinder übernehmen. Die alternierende Obhut steht der einem Elternteil allein zugesprochenen Obhut mit Ausgestaltung eines Besuchsrechts für den jeweils anderen Elternteil gegenüber. Letzteres ist bislang das verbreitetere Modell, welches jedoch durch die Gesetzesrevision im Familienrecht und die sich langsam anpassende Rechtsprechung vor dem Hintergrund einer anderen Lebensrealität langsam angepasst wird. Die alternierende Obhut muss nicht bedeuten, dass jeder Elternteil die Betreuung der Kinder zu genau 50% übernimmt. Es sind verschiedenste Modelle denkbar, welche sich jedoch alle am Kindeswohl zu orientieren haben.

II. VORAUSSETZUNGEN DER ALTERNIERENDEN OBHUT

Bei gegebenen Voraussetzungen kann die alternierende Obhut auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden. Voraussetzung ist jedoch immer, dass beide Eltern erziehungsfähig sind. Weiter erforderlich sind organisatorische Massnahmen, welche die Eltern ergreifen können müssen sowie der Austausch von Informationen unter den Parteien über die Kinderbelange. Auch die geographische Situation muss derart sein, dass eine alternierende Obhut dem Kindeswohl gerecht werden kann. So müssen die Kinder insbesondere von beiden

Wohnorten aus in der Lage sein, ohne grössere Aufwendungen und Hindernisse die Schule, Ausbildung oder aber den Kindergarten besuchen zu können.

Kriterien wie Stabilität der Betreuung sowie die Möglichkeit der persönlichen Betreuung sind zwar ebenfalls wichtig, sind jedoch den einzelnen Umständen und Altersstufen der Kinder anzupassen. Bei Jugendlichen kommt der Zugehörigkeit zu einem sozialen Umfeld (Schule, Freunde, Vereine) eine grosse Bedeutung zu. Die vorhandene Kooperationsfähigkeit der Eltern wiederum ist bei schulpflichtigen Kindern oder gar noch jüngeren Kindern ein wichtiges und unerlässliches Element.

III. BETREUUNG DURCH DRITTPERSONEN

Weiter setzt die alternierende Obhut selbstredend auf beiden Seiten der Eltern eine gewisse Verfügbarkeit voraus. Immerhin soll es darum gehen, dass die Eltern, und nicht andere, die Betreuung der gemeinsamen Kinder übernehmen sollen und wollen. Nicht geschützt wird ein entsprechender Antrag eines Elternteils, die Betreuung zu einem gewissen Teil übernehmen zu wollen, obwohl diese in der Hauptsache auf Drittpersonen übertragen werden sollen. Eine solche Lösung wäre mit dem Kindeswohl in aller Regel nicht vereinbar. Auf der anderen Seite hat das Bundesgericht aber entschieden, dass ein Elternteil während der Zeit, in welcher er die Kinder zu be- treuen hat, durchaus berechtigt ist, einen Teil dieser Betreuung beispielsweise durch seine Eltern, mithin die Grosseltern der Kinder, sicherzustellen. Dies muss insbesondere dann gelten, wenn die Grosseltern bereits zuvor gewisse Betreuungsaufgaben übernommen hatten und die Betreuung im Idealfall am Wohnort einer der beiden Elternteile übernehmen können.

IV. WEIGERUNG EINES ELTERNTEILS

Für die Installation einer alternierenden Betreuungsregelung müssen die Eltern fähig und bereit sein, in den Kinderbelangen miteinander zu kommunizieren und zu kooperieren. Nicht vorausgesetzt wird jedoch, dass dies beide Eltern auch wollen bzw. dass sich die Eltern bezüglich der Betreuungsregelung in der alternierenden Form einig sind. Allein aus dem Umstand, dass ein Elternteil sich vor Gericht der alternierenden Obhut widersetzt, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass eine alternierende Obhut nicht möglich ist. Sind alle Voraussetzungen der alternierenden Obhut gegeben, so kann ein Richter diese auch gegen den expliziten Willen eines Elternteils anordnen, denn bei gegebenen Voraussetzungen haben beide Eltern gleichermassen Anspruch darauf, sich an der Betreuung des Kindes zu beteiligen. Dies liegt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung im Interesse des Kindes, welches eine Beziehung zu beiden Elternteilen leben und pflegen dürfen will. Dies gilt so- gar dann, wenn ein Elternteil, in der Regel der Vater, in der Vergangenheit zu 100% erwerbstätig war und sich kaum der Erziehung des Nachwuchses gewidmet hatte. Entscheidend ist, ob dieser Elternteil sich in Zukunft durch Reduktion seines Arbeitspensums an der Betreuung des Kindes ernsthaft beteiligen möchte und die entsprechenden Voraussetzungen dafür mitbringt. Ein solcher Elternteil tut also gut daran, dem Gericht aufzuzeigen, wie er dieser Betreuungsaufgabe, insbesondere zeitlich und organisatorisch, in Zukunft nachkommen will und kann. Idealerweise verfügt eine Partei mit einem solchen Ansinnen über eine Bestätigung des Arbeitgebers, wo- nach eine Reduktion des Arbeitspensums möglich sei.

V. FOLGEN DER ALTERNIERENDEN OBHUT

In der Regel führt die alternierende Obhut dazu, dass beide Elternteile verfügbare Zeit haben, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Dies kann bedeuten, dass der Elternteil, welcher bislang zu 100% die Kindererziehung übernommen hat, inskünftig gehalten ist, teilzeitlich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dies hat logischerweise Folgen auf die Unterhaltsregelungen, was nicht selten ein Grund für ein Festhalten am klassischen Modell sein dürfte.

VI. FAZIT

Mit der zuvor ausgeführten Rechtsprechung des Bundesgerichts wird insbesondere – auch unter dem bisherigen Modell der klassischen Rollenverteilung – die Position der sich in Trennung oder Scheidung befindenden Väter gestärkt, in dem vom gerichtsüblichen Besuchsrecht, d.h. alle 2 Wochen übers Wochenende, Abkehr genommen wird und der heute bereits ausgeprägten Realität, gemäss welcher in der Regel beide Elternteile zumindest teilweise einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Rechnung getragen wird. Insbesondere werden auch die Rollen der Elternteile egalisiert und vom bislang leider zu häufig vertretenen Modell «die Mutter erzieht, der Vater zahlt» Abstand genommen. Dies zu Recht.

.

21. Juni 2018 / lic. iur. Stephan Hinz




SANIERUNG EINER LIEGENSCHAFT – MIETZINSERHÖHUNG

MLaw Kim Goetzinger, Rechtsanwältin

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Während Gesamtsanierungen von Liegenschaften für Vermieter zuerst einmal eine grosse finanzielle Last bedeuten, kommen bestehende Mieter in den Genuss eines besseren Standards und profitieren regelmässig von der Modernisierung. Dem Vermieter obliegt die Vorleistungspflicht. Inwiefern er danach Investitionen in welchem Umfang auf die Mieter abwälzen kann, wird im Rahmen dieses Artikels zusammengefasst erläutert.

I. EINLEITUNG

Einem Vermieter ist es unter unterschiedlichen Voraussetzungen erlaubt, den Mietzins nach oben anzupassen, ohne dass dieser nach gesetzlicher Vermutung als missbräuchlich zu qualifizieren wäre.

Einer dieser Gründe stellen Mehrleistungen des Vermieters dar (Art. 269a lit. b OR), wobei hier vor allem an Renovations- und Sanierungsarbeiten zu denken ist. Während gewöhnliche Unterhaltsarbeiten und das Ausführen von Reparaturen oder das Ersetzen von Geräten gleicher Qualität grundsätzlich zu den Pflichten und Risiken des Vermieters zu zählen und im vereinbarten Mietzins bereits enthalten sind, können Investitionen, die den Wert einer Mietsache erhöhen und deren Qualität oder Gebrauchswert verbessern, auf die Mieter in Form von Mietzinserhöhungen abgewälzt werden.

II. MIETZINSERHÖHUNG – BERECHNUNG

Grundsätzlich ist bei einer Neuanschaffung vorab der wertvermehrende Anteil der Investition zu bestimmen, denn nur dieser kann überhaupt auf die Mieter abgewälzt werden. Anhand dessen sowie weiterer Parameter (vgl. sogleich) ist die zulässige Mietzinserhöhung zu berechnen. Ein Spezialfall ist die sogenannte umfassende Überholung. Als solche gilt eine grössere Liegenschaftssanierung. Gemäss neuerer Rechtsprechung dienen umfassende Überholungsarbeiten einerseits dem Unterhalt des Gebäudes, andererseits der Wertvermehrung und enthalten somit werterhaltende sowie wertvermehrende Investitionen. Sie unterscheiden sich von gewöhnlichen Reparaturen bzw. dem laufenden Unterhalt v.a. mengenmässig (mehrere Bauteile betroffen) und liegen vor, wenn ein Haus in grösserem Umfang instand gestellt wird. Auch der Kostenumfang kann eine umfassende Überholung indizieren. Liegt eine umfassende Überholung im beschriebenen Sinn vor, so kann der Vermieter von Gesetzes wegen pauschal 50-70 % der Kosten als wertvermehrende Investitionen aufrechnen (Art. 14 VMWG). Dies gründet in der Tatsache, dass bei umfassenden Sanierungen aufgrund der meist zahlreichen und unterschiedlichen Neuerungen die ganzheitliche und effektive Wertvermehrung nur sehr schwer bis gar nicht nachgewiesen werden kann. Die Vorschrift dient der Vereinfachung und soll den Vermieter ermutigen oder zumindest nicht davon abhalten, notwendige Unterhaltsarbeiten vorzunehmen und ihn dazu anspornen, Unterhaltsarbeiten über das notwendige Mass hinaus zu verwirklichen. Einem Mieter steht es frei, den gewählten Pauschalsatz zu widerlegen, wobei er nachweisen muss, dass der wertvermehrende Anteil unter 50 % liegt.

Innerhalb der Bandbreite von 50-70 % hängt der konkret zu verwendende Satz von diversen Kriterien ab und ist im Einzelfall zu bestimmen, wobei immer wieder sehr unterschiedliche Standpunkte vertreten werden und eine klare Einteilung auch bei Analyse der Rechtsprechung praktisch unmöglich bleibt.

Für die Berechnung einer Mietzinserhöhung sodann von Relevanz sind folgende Faktoren:

a) Amortisation

Die Amortisation ist die in Raten erfolgende sukzessive Tilgung des investierten Kapitals über einen gewissen Zeitraum. Der Zeitraum ergibt sich aus der mutmasslichen Lebenserwartung der neuen Einrichtung. Diese ist wiederum anhand von Lebensdauer-Tabellen oder aufgrund von Angaben der Hersteller und nach allgemeiner Lebenserfahrung zu bestimmen.

b) Verzinsung

Zu verzinsen ist der tatsächlich für die wertvermehrenden Leistungen getätigte Aufwand, wobei die Rechtsprechung einen Zinssatz, der 1⁄2 % über dem aktuellen Referenzzinssatz für Hypotheken liegt, für angemessen erachtet.

c) Zuschlag für künftigen Unterhalt

Für den künftigen Unterhalt der neuen Einrichtungen darf je nach Lehrmeinung 10 % des Totals von Ver- zinsung und Amortisation oder 1 % der Gestehungskosten pro Jahr in Anschlag gebracht werden.

d) Anpassung an aktuelle Kostenstände

Zu berücksichtigen sind sodann und unabhängig von der Kostensteigerung im Rahmen der Sanierung die allgemeinen Kostenstände. Hierunter fallen allfällige Veränderungen des Referenzzinssatzes und des Landesindexes für Konsumentenpreise, die Teuerung, Unterhalts- und Betriebskostensteigerungen und allfällige Mehrleistungen des Vermieters, die bisher unberücksichtigt geblieben sind.

Ausgehend von diesen Faktoren resultiert folgende Berechnung der möglichen Mietzinserhöhung:

Gesamtkosten * wertvermehrender Anteil (Pauschale) = wertvermehrende Investitionen (- Förderbeitrag) wertvermehrende Investitionen * Kapitalisierungssatz = zulässiger Mehrzins / Jahr
Kapitalisierungssatz setzt sich additionsweise zusammen aus:

  • Amortisationssatz = (100 / Lebensdauer)
  • Verzinsungssatz = (Aktueller Referenzzinssatz + 1⁄2) / 2
  • Unterhaltssatz = 10 % * (Amortisationssatz + Verzinsungssatz)
    alternativ: 1 % der Gestehungskosten

Beispiel für Mietzinserhöhung nach umfassender Überholung:
Gesamtkosten 800’000; wertvermehrender Anteil = 60 %; Förderbeitrag = 50’000.00

DurchschnittlicheLebensdauer=25Jahre; AktuellerReferenzzinssatz1.5%

  • Jährliche Mietzinserhöhung (gesamthaft) = 23’650.00
  • Monatliche Mietzinserhöhung (gesamthaft) = 1’971.00
  • Der Gesamtbetrag ist auf die Mieteinheiten zu verteilen
  • Zusätzlich hat eine Kostenstandanpassung zu erfolgen

III. MODALITÄTEN ERHÖHUNGSANZEIGE

Nach Abschluss einer Sanierung und nach Vorliegen der definitiven Bauabrechnung kann – wie erläutert – die Berechnung der möglichen Mietzinserhöhung vorgenommen werden. Handelt es sich um eine Liegenschaft mit unterschiedlichen Mietobjekten muss sodann der Verteilschlüssel definiert werden, wobei auch hier unterschiedliche Methoden gewählt werden können (Verteilung nach Fläche, Anzahl Zimmer, Wertquoten im Stockwerkeigentum, in % des alten Mietzinses etc.).

Steht fest, in welchem Umfang der Mietzins eines bestimmten Mietobjektes auf den nächsten Kündigungstermin erhöht werden soll, so ist die Erhöhung mit entsprechender klarer Begründung rechtzeitig auf dem amtlichen Formular dem Mieter mitzuteilen. Rechtzeitig heisst, dass die Mitteilung mindestens 10 Tage vor Beginn der Kündigungsfrist dem Mieter zugegangen sein muss.

Möchte der Vermieter (einstweilen) nicht sämtliche, aufgrund der Berechnung zulässigen Kosten auf die Mieter abwälzen, so besteht die Möglichkeit des Mietzinsvorbehalts. Auch hier gelten gemäss Rechtsprechung strenge formelle Voraussetzungen. Es ist darauf zu achten, dass der Vorbehalt explizit ausgewiesen, begründet und ziffernmässig bestimmt ist.

IV. FAZIT

Bereits die vorangehenden Ausführungen zeigen auf, dass die Berechnungen anhand diverser Faktoren, die in sich wiederum variieren können, vorzunehmen sind. Hinzu treten die unterschiedlichen Meinungen in der Lehre und bei Fachverbänden, was schliesslich auch zu einer mannigfaltigen Rechtsprechung führt. Infolgedessen kann es sich gerade für private Liegenschaftseigentümer empfehlen, die Berechnungen durch Experten durchführen oder zumindest prüfen zu lassen. Selbst dann ist die Anfechtung durch Mieter natürlich nicht ausgeschlossen. Im Falle eines Rechtsstreites lassen sich jedoch die konkreten Berechnungen regelmässig zumindest gut substantiieren.

.

14. Juni 2018 / MLaw Kim Goetzinger




KINDERUNTERHALT: ANWENDUNG DER «LEBENSHALTUNGSKOSTEN- METHODE» FÜR DIE BERECHNUNG DES BETREUUNGSUNTERHALTES VON KINDERN BUNDESGERICHTLICH GEKLÄRT

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 17. Mai 2018 (5A_454/2017) – das Datum der Veröffentlichung des Urteils mit schriftlicher Begründung ist noch nicht bekannt – einen Grundsatzentscheid zur Bemessungsmethode des Betreuungsunterhalts für Kinder erlassen und leistet damit der herrschenden Uneinigkeit in Lehre und Rechtsanwendung Abhilfe. Der Betreuungsunterhalt für Kinder soll gestützt auf den höchstrichterlichen Entscheid nach der sog. «Lebenshaltungskosten-Methode» berechnet werden und umfasst somit grundsätzlich das familienrechtliche Existenzminimum des betreuenden Elternteils, soweit dieser wegen der Kinderbetreuung nicht selber dafür aufkommen kann.

I. AUSGANGSLAGE

Per 1. Januar 2017 wurde die Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder neu geregelt. Mit dieser Gesetzesnovelle wurden im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt. Erstens soll die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter und unverheirateter Eltern beseitigt werden. Zweitens soll der Unterhaltsanspruch des Kindes durch verschiedene Massnahmen gestärkt werden, bspw. dadurch, dass der Unterhaltsanspruch des minderjährigen Kindes gestützt auf Art. 276a Abs. 1 ZGB anderen familienrechtlichen Verpflichtungen vorgeht.

Unabhängig vom Zivilstand der Eltern soll der Unterhalt des Kindes sicherstellen, dass es von der bestmöglichen Betreuung profitieren kann, sei es durch die Eltern selbst oder durch Drittpersonen. Während die Fremdbetreuungskosten seit jeher in die Berechnung des Barunterhalts des Kindes einflossen, wurde es erst mit der Gesetzesänderung möglich, die Eigenbetreuung durch einen Elternteil über die Zusprechung eines Betreuungsunterhaltes zu gewährleisten. Der Kindesunterhalt besteht gemäss den Art. 276 und 285 ZGB neu aus dem Barunterhalt, der die direkten Kosten des Kindes abdeckt (bspw. Wohnkosten, Nahrung, Ausbildung, Drittbetreuung), dem Naturalunterhalt (der in Form von alltäglicher Betreuung erbracht wird) sowie dem Betreuungsunterhalt (der der finanziellen Einbusse des betreuenden Elternteils durch die persönliche Betreuung des Kindes bzw. deren Auswirkung auf die Deckung des Lebensunterhalts durch einen entsprechend verminderten Beschäftigungsgrad entspricht). Unverändert gilt jedoch, dass ein Eingriff in das Existenzminimum des Unterhaltsverpflichteten unzulässig ist. Ein allfälliges Manko ist somit nach wie vor vom Unterhaltsberechtigten zu tragen (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 540 und S. 589, FN 3).

Das Gesetz legt die Methode zur Bemessung des Betreuungsunterhaltes nicht fest, was in der Rechtsanwendung zu teilweise grundlegend unterschiedlichen Berechnungen des Betreuungsunterhaltes und damit letztlich zu einer Rechtsunsicherheit führte. Mit Spannung wurde deshalb auf einen ersten höchstrichterlichen Entscheid in dieser Frage gewartet.

II. BERECHNUNGSMETHODE BETREUUNGSUNTERHALT GEMÄSS BUNDESGERICHT

Gemäss Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 17. Mai 2018 hat das Bundesgericht gleichentags einen Grundsatzentscheid bezüglich der auf die Berechnung des Betreuungsunterhaltes anzuwendenden Methode gefällt. In der öffentlichen Beratung wurde entschieden, dass für die Bemessung des Betreuungsunterhaltes für die gemeinsamen Kinder von verheirateten oder unverheirateten Eltern die «Lebenshaltungskosten-Methode» zur Anwendung kommen solle. Nach dieser Methode wird im Einzelfall der Betrag berechnet, der dem betreuenden Elternteil bedingt durch die persönliche Kinderbetreuung fehlt, um seine eigenen Lebenshaltungskosten zu decken. Das Bundesgericht hält fest, dass diese Methode die zur Bemessung des Betreuungsunterhalts adäquateste Lösung darstelle, am besten den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen entspreche und überdies auch von einem grossen Teil der Lehre befürwortet werde. Das Bundesgericht verweist darauf, dass der Bundesrat in seiner Botschaft zur Gesetzesänderung festgehalten habe, dass im Normalfall die Erwerbsmöglichkeiten des Elternteils eingeschränkt würden, der die Betreuung des Kindes überwiegend übernehme. In der Mehrheit der Fälle führe dies dazu, dass der betreuende Elternteil nicht mehr selber für seinen eigenen Unterhalt aufkommen könne. Dies wiederum bedeute, dass der Betreuungsunterhalt grundsätzlich die konkreten Lebenshaltungskosten des betreuenden Elternteils umfassen müsse, soweit er diese wegen der Kinderbetreuung nicht selber bestreiten könne. Die Zahlung sei aber nicht als «Lohn» für den betreuenden Elternteil zu verstehen. Weiter hält das Bundesgericht fest, dass die Betreuung eines Kindes nur für die Zeit, in der der betreuende Elternteil sonst einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte, zu einem Anspruch auf Unterhalt nach der «Lebenshaltungskosten-Methode» führe. Damit bleibt die Bereuung eines Kindes am Wochenende oder während sonstiger freier Zeit grundsätzlich unberücksichtigt. Es bestätigt damit den Vorschlag zur Methodenwahl von Prof. Dr. Stephan Hartmann (STEPHAN HARTMANN, Betreuungsunterhalt – Überlegungen zur Methode der Unterhaltsbemessung, in: ZBJV 02/2017 vom 15.2.2017), der auch vom Obergericht des Kantons Aargau zur Anwendung gebracht wird. Damit dürften die übrigen in der Botschaft zur Gesetzesänderung diskutierten und in diversen Kantonen bisher angewandten Berechnungsmethoden des sog. «Opportunitätskostenansatzes», gemäss welchem die Zeit, die der betreuende Elternteil für die Kinderbetreuung aufwendet, als Mindereinkommen zu bewerten ist, oder aber des sog. «Marktkosten- oder Ersatzkostenansatzes», bei welchem auf die Kosten abgestellt wird, welche bei einer Entschädigung des Betreuungsaufwandes zu Marktpreisen anfallen würde (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 540), vom Tisch sein.

Das Bundesgericht äussert sich im Rahmen des aktuellen Urteils nicht zur Frage, nach welchen Kriterien darüber zu entscheiden ist, ob anstatt der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil allenfalls eine Drittbetreuung zu ermöglichen oder eine solche gar vorzuziehen sei. Es hält fest, dass es im Rahmen der Festlegung des Betreuungsunterhalts im konkreten Einzelfall dem Richter überlassen sei, über die Form und den Umfang der für das Wohl des Kindes erforderlichen Betreuung zu entscheiden. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass die Lebenshaltungskosten grundsätzlich nicht über das hinausgingen, was notwendig sei, um es dem betreuenden Elternteil finanziell zu ermöglichen, sich selber um das Kind zu kümmern. Vor diesem Hintergrund bemisst sich der Betreuungsunterhalt denn auch nicht nach dem Einkommen des Unterhaltsverpflichteten oder einem allenfalls hohen bisherigen Lebensstandard des Unterhaltsberechtigten, sondern nach den konkreten Bedürfnissen des das Kind betreuenden Elternteils. Als Grundlage für die Berechnung dieser Bedürfnisse dient das familienrechtliche Existenzminimum.

III. UMFANG UND DAUER DES BETREUUNGSUNTERHALTS

Zur Festlegung des Umfangs und der Dauer des Betreuungsunterhalts hat sich das Bundesgericht im aktuellen Entscheid nicht neu geäussert. Obwohl in der Rechtsanwendung die Tendenz erkennbar ist, die Altersgrenzen der zu betreuenden Kinder bezüglich der Zumutbarkeit einer Ausdehnung der Erwerbstätigkeit des unterhaltsberechtigten Elternteils nach unten zu verschieben, ist bis auf weiteres auch unter dem neuen Recht grundsätzlich von der sog. «10/16-Regel» auszugehen (HANS-MARTIN ALLEMANN, Betreuungsunterhalt – Grundlagen und Bemessung, in: Jusletter vom 11.7.2016, S. 14 und 19). Im Normalfall ist somit grundsätzlich ein Betreuungsunterhalt zu leisten, bis das jüngste Kind das 16. Altersjahr vollendet hat. Die Botschaft zur Gesetzesnovelle hält fest, dass bei der Bemessung die Beteiligung des anderen Elternteils an der Kinderbetreuung nur dann zu berücksichtigen sei, wenn sie über die Ausübung eines gewöhnlichen Besuchsrechts hinausgeht. Wird ein grosszügiges Kontaktrecht vereinbart, findet dieser Umstand aber nicht im Rahmen des Betreuungsunterhalts in die Unterhaltsberechnung Einlass, sondern über eine Aufteilung des Grundbetrages und/oder der variablen direkten Kosten im Rahmen des Barunterhalts, bspw. Nahrung oder Auslagen für Hobby (Botschaft zu einer Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Kindesunterhalt] vom 29. November 2013, BBl 2014 529 ff., S. 550 ff.).

.

23. Mai 2018 / lic. iur. Melanie Schmidt




BAUHANDWERKERPFANDRECHT – EINTRAGUNG UND ABWENDUNG

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Eintreiben von Forderungen kann sich als umständlich und langwierig erweisen. Das Gesetz gewährt Handwerkern zur Sicherung ihrer Werklohnforderungen ein gesetzliches Pfandrecht am Grundstück, auf dem sie gearbeitet haben. Während Handwerker hierdurch in ihren Rechten erheblich bestärkt werden, kann die Eintragung eines solchen Pfandrechts den betroffenen Grundeigentümer stark beeinträchtigen. Es kann seine Kreditwürdigkeit in Frage stellen und die Handelbarkeit des Grundstückes erschweren, weshalb er gemäss Gesetz durch die Leistung einer hinreichenden Sicherheit diese Nachteile unmittelbar und selbständig abwenden kann.

I. EINTRAGUNG

Das Bauhandwerkerpfandrecht ist ein gesetzlich vorgesehenes Grundpfandrecht zur Sicherung von Werklohnforderungen von Handwerkern und Unternehmern (auch Subunternehmer), die auf einem Grundstück zu Bauten oder anderen Werken, zu Abbrucharbeiten, zum Gerüstbau, zur Baugrubensicherung oder dergleichen Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Als Beispiel genannt werden können Schreiner, Elektriker, Dachdecker, Spengler, Maler etc. Nicht eintragungsberechtigt sind Leistungen von Architekten, Geologen, Ingenieuren, Treuhänder etc.

Gemäss Art. 839 Abs. 1 und 2 ZGB können Handwerker und Unternehmer ein Bauhandwerkerpfandrecht ab dem Zeitpunkt der Verpflichtung, eine Arbeitsleistung zu erbringen, bis vier Monate nach Vollendung der Arbeiten im Grundbuch eintragen lassen. Die Eintragung darf nur erfolgen, wenn die Pfandsumme vom Eigentümer anerkannt oder gerichtlich festgestellt ist, und kann nicht verlangt werden, wenn der Eigentümer für die angemeldete Forderung hinreichend Sicherheit leistet (vgl. Ziff. II/III.).

Wichtig zu wissen ist, dass das Grundpfandrecht bis zu diesem Zeitpunkt auch effektiv im Grundbuch eingetragen bzw. zumindest vorgemerkt sein muss, was regelmässig vorab mit einem Gesuch um (super-)provisorische Eintragung / Vormerkung beim zuständigen Gericht geschieht. Nach einer provisorischen Eintragung / Vormerkung wird durch das Gericht eine Frist angesetzt, innert welcher Klage um definitive Eintragung eingereicht werden muss, andernfalls der Anspruch verwirkt ist.

Mit der Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts ist die Forderung natürlich noch nicht beglichen. Das Pfandrecht stellt aber ein wirksames Druckmittel gegenüber dem Grundeigentümer bzw. dem säumigen Schuldner dar, weil mit dem Pfandrecht die zwangsweise Verwertung des Grundstücks verlangt werden kann. Das betroffene Grundstück dient damit als Sicherheit für die Bezahlung des vereinbarten Werklohnes.

II. ABWENDUNG DURCH SICHERHEITSLEISTUNG – GESETZLICHER ANSPRUCH

Die Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrecht kann die Kreditwürdigkeit eines Grundeigentümers erheblich beeinträchtigen und die Verfügungsmöglichkeit erschweren. Infolgedessen sieht das Gesetz in Art. 839 Abs. 3 ZGB die Möglichkeit vor, dass der Grundeigentümer die Nachteile einer Eintragung durch die Leistung einer hinreichenden Sicherheit abwenden kann. Durch das Leisten einer Sicherheit wird dem Unternehmer die definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts verwehrt und das vorläufig eingetragene Bauhandwerkerpfandrecht gelöscht. Die durch den Grundeigentümer geleistete Sicherheit tritt an die Stelle des Pfandrechts.

Dem Gesetz selbst lässt sich nicht entnehmen, was eine hinreichende Sicherheit ist. Es wird weder klar, wie diese ausgestaltet sein muss noch in welchem Umfang und wann sie zu leisten ist. Es ist offensichtlich, dass die Parteien aufgrund ihrer unterschiedlichen Positionen ein anderes Verständnis pflegen und grundsätzlich unterschiedlicher Meinung sind, was als hinreichend zu gelten hat. Ob die Sicherheit im Einzelfall genügend ist oder nicht, entscheidet im Streit der Richter. Unter Ziff. 3 wird die Praxis hierzu erläutert.

III. ABWENDUNG DURCH SICHERHEITSLEISTUNG – PRAXIS

Als Sicherheiten kommen Personalsicherheiten wie die Garantie oder die Bürgschaft oder aber Realsicherheiten wie die Hinterlegung in Frage. Eine Sicherheitsleistung, die als hinreichend gilt, hat gemäss Praxis dem Bauhandwerkerpfandrecht qualitativ sowie quantitativ gleichwertig zu sein.

Qualitative Gleichwertigkeit:

Die qualitative Gleichwertigkeit bedeutet namentlich, dass der Unternehmer durch die Bonität der Sicherheit leistenden Person, die Befristung der Sicherheitsleistung, die Modalitäten der Inanspruchnahme und den Gerichtsstand nicht schlechter gestellt werden darf als durch das Bauhandwerkerpfandrecht selbst. Anzusprechen gilt es hier insb. die ersten beiden Punkte:

Was die Person des Sicherheitsleistenden bzw. ihre Kreditfähigkeit und -würdigkeit anbelangt, so ist dies üblicherweise (und anerkanntermassen) eine in der Schweiz zugelassene Bank oder Versicherung.

Die Sicherheitsleistung darf sodann keine terminliche Befristung der Gültigkeitsdauer aufweisen. Gedeckt sein muss nicht nur die Forderung, sondern auch die Verzugszinsen und zwar ohne bestimmte zeitliche Beschränkung. Die (frühere) kantonale Praxis im Aargau, bei der es als ausreichend angesehen wurde, wenn die Forderung plus Verzugszinsen für die Dauer von zehn Jahren sichergestellt war, hat das Bundesgericht in einem kürzlich publizierten Entscheid als bundesrechtswidrig qualifiziert (BGE 142 III 738). Zulässig wäre einzig eine relative Befristung, bei der das Ende von einem oder mehreren zukünftigen Ereignissen aber nicht von einem bestimmten Datum abhängig gemacht wird.

Quantitative Gleichwertigkeit:

In quantitativer Hinsicht bietet das Bauhandwerkerpfandrecht dem Gläubiger Sicherheit für die Kapitalforderung und die Verzugszinsen, allenfalls noch für vereinbarte Vertragszinsen. Die Verzugszinsen sind von Gesetzes wegen zeitlich nicht limitiert, weshalb es auch die Ersatzsicherheit nicht sein kann. Die Verzugszinsen müssen jeweils zeitlich unbeschränkt sichergestellt werden.

Das Bundesgericht stellt im hiervor erwähnten Entscheid (BGE 142 III 738) fest, dass die Bankgarantie, die zwar den Kapitalbetrag, nicht aber die zeitlich unlimitiert geschuldeten Verzugszinsen abdeckt, die Anforderungen an die hinreichende Sicherheit gemäss Art. 839 Abs. 3 ZGB nicht erfüllt.

Damit ist die Ablösung von Bauhandwerkerpfandrecht in Form einer Garantie sehr viel schwieriger geworden. Viele Banken und Versicherungen sind nicht bereit, Garantien mit unlimitierten Zinsenlauf und ohne konkrete Befristung zu gewähren. Durch den hiervor erwähnten Bundesgerichtsentscheid ist auch die Praktikabilität der Solidarbürgschaft in Frage zu stellen. Eine Bürgschaft bedarf zu ihrer Gültigkeit zwingend der Angabe eines Höchstbetrages, was eine zeitliche unbegrenzte Deckung der Verzugszinse stark erschwert, eventuell gar verunmöglicht. Wie sich nach dem neusten Bundesgerichtsentscheid die Praxis fortentwickelt, wird sich erst noch weisen.

Die Hinterlegung einer Sicherheitsleistung beim Gericht oder einer Bank wird durch diese Rechtsprechung praktisch ausgeschlossen, es sei denn, dass der Unternehmer diesem Vorgehen zustimmt und sein Einverständnis erklärt.

.

16. Mai 2018 / MLaw Kim Goetzinger




MÖGLICHKEITEN BEI MÄNGELN BEIM UNTERNEHMENSKAUF

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Der Kauf eines Unternehmens oder eines Unternehmensteils erfolgt in aller Regel entweder als «Share Deal» oder als «Asset Deal». Beim Share Deal wird die (stimmen- und kapitalmässige) Mehrheit der Anteile (d.h. Aktien oder Anteilscheine) der zu übernehmenden Gesellschaft erworben; beim Asset Deal erfolgt die Übernahme des Unternehmens durch Erwerb sämtlicher oder eines Teils der Vermögenswerte, d.h. der Aktiven und Passiven des Unternehmens. Obwohl das zu kaufende Unternehmen resp. die zu kaufenden Vermögensteile vom Käufer nach Möglichkeit bereits im Vorfeld des Vertragsabschlusses detailliert geprüft werden («Due Diligence»), kann es vorkommen, dass sich erst nach Vertragsvollzug herausstellt, dass das erworbene Unternehmen oder der erworbene Unternehmensteil nicht von jener Qualität oder Quantität war, die der Käufer erwartete oder welche ihm vom Verkäufer gar explizit versprochen wurde. Nachstehend soll im Rahmen einer Übersicht aufgezeigt werden, welche rechtlichen Möglichkeiten ein Käufer in einer solchen Situation hat.

I. GRUNDZÜGE ASSET DEAL / SHARE DEAL

Ein Unternehmenskauf kann in Form eines Asset Deals oder eines Share Deals erfolgen. Beim Asset Deal, bei welchem der Käufer Aktiven, Passiven, Forderungen und Vertragsbeziehungen eines Unternehmens erwirbt, handelt es sich um einen sog. Innominatkontrakt mit vorwiegend kaufrechtlichen Elementen. Die einzelnen Vermögensteile werden mit anderen Worten käuflich erworben, Forderungen werden an den Käufer abgetreten und der Käufer tritt in die laufenden Vertragsbeziehungen des zu kaufenden Unternehmens ein. Die zu übernehmenden Vermögenswerte, z.B. Maschinen, Mobiliar, Bargeld, Forderungen etc., müssen daher individuell bestimmt und vom Verkäufer auf den Käufer übertragen werden. Die Übertragung kann je einzeln, im Rahmen einer sog. Singularsukzession, oder gesamtheitlich, im Rahmen einer fusionsrechtlichen Vermögensübertragung (sog. Universalssukzession) erfolgen. Beide Übertragungsformen weisen Vor- und Nachteile auf, auf welche vorliegend nicht im Einzelnen eingegangen werden kann.

Im Unterscheid zu einem Asset Deal werden bei einem Share Deal vom Käufer die Aktien oder Anteilscheine des zu übernehmenden Unternehmens vom bisherigen Inhaber (Aktionär oder Gesellschafter) erworben. Das Unternehmen resp. die Vermögenswerte des Unternehmens werden dadurch somit nur indirekt, via dessen Aktien/Anteilscheine, auf den Käufer übertragen. Der Käufer erlangt durch den Kauf der Aktien/Anteilscheine somit die Kontrolle am Unternehmen als solchem.

II. MÖGLICHKEITEN BEI MÄNGELN

Leidet eine gekaufte Sache an inhaltlichen oder rechtlichen Mängeln, die den Wert oder die Tauglichkeit zum vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder erheblich mindern, hat ein Käufer die Möglichkeit, die Rechtsbehelfe gemäss Art. 197 ff. OR geltend zu machen. Demnach kann der Käufer entweder die Wandlung, d.h. die Rückabwicklung des Kaufvertrages, oder die Minderung des von ihm für die Sache bezahlten Kaufpreises verlangen. Alternativ dazu besteht je nach Situation zudem die Möglichkeit, die Gültigkeit des Kaufvertrages als solchen in Frage zu stellen. Dies dann, wenn sich der Käufer bei Abschluss des Kaufvertrages in einem Irrtum hinsichtlich Tatsachen, welche Grundlage des Kaufvertrages bildeten, befunden hat (Irrtumsanfechtung, Art. 23 und Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR).

Wie bereits einleitend ausgeführt, ist der Kaufgegenstand bei einem Unternehmenskauf im Rahmen eines Share Deals zu unterscheiden vom Kaufgegenstand bei einem Asset Deal. Da im erstgenannten Fall Aktien/Anteilscheine und im zweitgenannten Fall Vermögenswerte (bspw. Maschinen) gekauft werden, beurteilt sich auch die Mangelhaftigkeit dieser Kaufgegenstände unterschiedlich. Nachfolgend wird aufgezeigt, welche Auswirkungen diese Unterscheidung auf die Rechtsbehelfe des Käufers hat:

1. Sachmängelgewährleistung

Beim Asset Deal werden wie erwähnt Vermögenswerte eines Unternehmens auf den Käufer übertragen. Der Kaufpreis für diese Vermögenswerte wird damit mehrheitlich im Verhältnis zur Qualität und zum Wert derselben festgelegt. Leidet der Kaufgegenstand an einem Mangel und ist sein Wert effektiv tiefer als von den Parteien im Kaufvertrag zugrunde gelegt, hat der Käufer die Möglichkeit einer Kaufpreisminderung gemäss Art. 205 OR. Möglich wäre grundsätzlich auch die Rückgabe des Kaufgegenstandes gegen Rückzahlung des Kaufpreises. Je nach Zeitdauer, die seit Abschluss des Kaufvertrages verstrichen ist, und je nach Gewichtigkeit des geltend gemachten Mangels, ist eine solche Rückabwicklung aber in den seltensten Fällen angemessen und praktikabel.

Beim Share Deal werden keine Vermögenswerte direkt, sondern Aktien/Anteilscheine an einem Unternehmen übertragen. Ein Qualitätsmangel der einzelnen Vermögenswerte des Unternehmens stellen somit keinen eigentlichen Mangel der Kaufsache dar. Denn die Kaufsache sind ja die Aktien und nicht die einzelnen Vermögenswerte. Dies hat zur Folge, dass eine Wandlung oder Kaufpreisminderung grundsätzlich nicht möglich ist, wenn «bloss» die Vermögenswerte des gekauften Unternehmens mangelhaft sind. Trotz diverser kritischer Stimmen ist diese Rechtsfolge bis heute ständige bundesgerichtliche Rechtsprecung. Für den wirtschaftlichen Wert des durch die Aktien verbrieften Unternehmens haftet der Verkäufer somit nur dann, wenn er dafür eine besondere Zusicherung abgegeben hat. Eine Rückabwicklung des Kaufvertrages oder eine Kaufpreisminderung kommen bei einem Share Deal daher einzig dann in Frage, wenn der Verkäufer im Kaufvertrag eine Zusicherung hinsichtlich der Qualität oder des Wertes der durch die Aktien verkörperten Vermögenswerte des Unternehmens abgegeben hat.

2. Irrtumsanfechtung

Was sowohl dem Share Deal als auch dem Asset Deal gemeinsam ist, ist dass der Käufer, der sich hinsichtlich des Abschlusses des Kaufvertrages in einem Irrtum befunden hat, den Vertrag als Ganzes anfechten kann (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR). Dieser Weg steht jedoch nur dann offen, wenn er sich beim Abschluss des Kaufvertrages über eine wesentliche Grundlage des Kaufvertrages geirrt hat. Wesentliche Grundlage kann hierbei aber auch der Wert des gekauften Unternehmens sein. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann der Wert des Unternehmens sowohl beim Share Deal als auch beim Asset Deal Gegenstand einer Fehlvorstellung bilden, da beiden Vertragskonstrukten gemeinsam ist, dass die Parteien letztlich die Übertragung des Unternehmens als wirtschaftliche Einheit anstreben. Das Bundesgericht hält diesbezüglich aber auch fest, dass der vereinbarte Kaufpreis nicht ohne Weiteres mit der Wertvorstellung einer Partei gleichgesetzt werden könne. Eine Fehlvorstellung hinsichtlich einer einzelnen oder bestimmten Tatsache kann daher nur den betriebswirtschaftlich ermittelten Unternehmenswert betreffen bzw. sich auf Faktoren beziehen, welche diesen beeinflussen. Der ausgehandelte Kaufpreis als Ganzes muss dadurch nicht betroffen sein.1 Vielmehr hat der Käufer nachzuweisen, dass dem auch tatsächlich so ist.

III. FAZIT

Hat sich der Käufer eines Unternehmens hinsichtlich dessen Vermögenswerte erwiesenermassen in einem Irrtum bezüglich Qualität, Quantität oder Wert befunden, kann er unter Umständen die Rückabwicklung des Kaufvertrages gestützt auf einen Grundlagenirrtum (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR) geltend machen, und zwar unabhängig davon, ob der Unternehmenskauf als Share Deal oder Asset Deals stattgefunden hat. Zu beachten gilt es indes, dass mit der Irrtumsanfechtung die Rückabwicklung des Kaufvertrages als Ganzes angestrebt wird; eine eigentliche Kaufpreisminderung ist mit der Irrtumsanfechtung – zumindest gemäss heutiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung – nicht möglich. Zielt der Käufer auf eine Kaufpreisminderung ab, steht ihm dieser Weg nur offen, wenn er nachzuweisen vermag, dass die eigentliche Kaufsache an einem quantitativen oder qualitativen Mangel leidet. Vorbehältlich einer expliziten vertraglichen Zusicherung beim Share Deal besteht diese Möglichkeit somit nur beim Asset Deal, da nur dort die Vermögenswerte des Unternehmens den eigentlichen Kaufgegenstand bilden.

.

9. Mai 2018 / lic. iur. Patricia Geissmann




ANERKENNUNG AUSLÄNDISCHER EHESCHEIDUNGEN

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Rechtsanwältin

Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher, Fachanwältin SAV Familienrecht bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

I. AUSGANGSLAGE

Immer öfter werden binationale Ehen geschlossen, was sich selbstverständlich auch in der Anzahl der Scheidungen niederschlägt. Allein in der Europäischen Union liegt die Anzahl der Scheidungen mit Auslandsbezug bei rund 170’000 pro Jahr, was einem Anteil von 16 % aller Scheidungen entspricht. Neben vielen rechtlichen Fragen, welche einer Scheidung eines Paares unterschiedlicher Nationalität vorausgehen, wie beispielsweise, welches Recht anwendbar ist und welche Gerichte zuständig sind, stellt sich die Frage, ob nach der Scheidung weitere Massnahmen veranlasst werden müssen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass Auslandsscheidungen nach den allgemeinen Grundsätzen nur in demjenigen Land unmittelbare Rechtswirkung entfalten, in welchem sie ergangen sind. Dementsprechend ist daran zu denken, dass eine beispielsweise in der Türkei ausgesprochene Scheidung eines schweizer Bürgers, der mit einer türkischen Staatsbürgerin verheiratet war, in der Schweiz anerkannt werden muss, damit die Ehegatten auch in der Schweiz rechtskräftig geschieden sind.

II. RECHTSLAGE

Die Frage, ob eine im Ausland ergangene Scheidung im Rahmen eines separaten Verfahrens anzuerkennen ist, um Rechtswirkung zu entfalten, wird in jedem Staat anders beurteilt und muss vor diesem Hintergrund für das jeweils betreffende Land abgeklärt werden. Für die Schweiz bzw. Deutschland gilt das Nachfolgende:

1. In der Schweiz
1.1
Ausländische Scheidungsurteile werden in der Schweiz gemäss Art. 65 IPRG anerkannt, wenn:

  • die Zuständigkeit der Gerichte oder Behörden des Staates in dem die Entscheidung ergangen ist, begründet war,
  • gegen die Entscheidung kein ordentliches Rechtsmittel mehr geltend gemacht werden kann oder wenn sie endgültig ist, und
  • wenn kein Verweigerungsgrund im Sinne des Art. 27 IPRG vorliegt.

Sofern diese Voraussetzungen gegeben sind, werden ausländische Scheidungsurteile in der Schweiz immer dann anerkannt, wenn sie im Staat des Wohnsitzes, des gewöhnlichen Aufenthalts oder im Heimatstaat eines der Ehegatten ergangen sind. Gleiches gilt für den Fall, wenn die Scheidung in einem der zuvor genannten aufgezählten Staaten aufgrund der dortigen Gesetzgebung oder verbindlicher Staatsverträge anerkannt wird (Art. 65 Abs. 1 IPRG).

1.2

An die Anerkennung sind folglich nur geringe Anforderungen gestellt. Vorbehalten bleiben allerdings spezifische Anerkennungsverweigerungsgründe des schweizerischen IPRG. Eingeschränkt wird die grosszügige Anerkennungspraxis gemäss Art. 65 Abs. 2 IPRG bei Staaten, dem keiner oder nur der klagende Ehegatte angehört. In derartigen Fällen gelingt eine Anerkennung in der Schweiz nur, wenn a) im Zeitpunkt der Klageeinleitung wenigstens ein Ehegatte in diesem Staat Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte und b) der beklagte Ehegatte seinen Wohnsitz nicht in der Schweiz hatte und c), der beklagte Ehegatte sich der Zuständigkeit des ausländischen Gerichts vorbehaltlos unterworfen hat oder wenn der beklagte Ehegatte mit der Anerkennung der Entscheidung der Schweiz einverstanden ist.

1.3

Die einschlägigen Normen des IPRG beschränken sich ausschliesslich auf die Anerkennung des Scheidungspunktes. Ob zudem auch die in einer Scheidung geregelten Nebenfolgen anerkannt werden, beurteilt sich nach separaten Regelungen, wobei das IPRG nur dann zur Anwendung gelangt, wenn für das betreffende Land eine entsprechende Regelung nicht ratifiziert wurde.

2. In Deutschland
2.1

Auch in Deutschland besteht der Grundsatz der Anerkennung.

Deutschland setzt für die Anerkennung ausländischer Ehescheidungen ein sogenanntes Antragsverfahren voraus, wonach die Landesjustizverwaltung festzustellen hat, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung vorliegen, §107 FamFG. Von dieser Voraussetzung gibt es Ausnahmen, nämlich wenn es sich um ein sogenanntes Heimatstaatsverfahren handelt. Ein solches liegt vor, wenn beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Scheidung dem Staat angehört haben, in dem die Entscheidung ergangen ist. Die Scheidung von in der Schweiz lebenden Auslandsdeutschen muss dementsprechend dann nicht von der Landesjustizverwaltung anerkannt werden, wenn die Ehegatten über eine schweizerische Staatsangehörigkeit verfügen. Des Weiteren sind internationale Ehescheidungen in Europa vom Anerkennungsgrundsatz ausgeschlossen oder fallen nur begrenzt in die Anerkennungspflicht.

Zu berücksichtigen ist, dass die Anerkennung der in einem Scheidungsurteil oftmals enthaltenen Nebenfolgen nicht von § 107 FamfG erfasst ist. Die Anerkennung solcher Entscheidungen über die Nebenfolgen einer Scheidung kann erst ausgesprochen werden, wenn festgestellt ist, dass die Entscheidung über die Ehe selbst im Inland anzuerkennen ist. Folglich beschränkt sich die Anerkennung ausschliesslich auf den Scheidungspunkt, sodass eine neue Eheschliessung möglich wird. Die Nebenfolgen bedürfen einer separaten Anerkennung, welche nicht durch die Landesjustizverwaltung vorgenommen wird.

Es steht jedem Staat frei, sofern er nicht an Staatsverträge gebunden ist, die Anerkennung ausländischer Hoheitsakte und damit auch ausgesprochener Scheidungen anzuerkennen oder nicht. So sieht beispielsweise Deutschland gemäss § 108 FamFG keine formalen Anerkennungsvoraussetzungen bei anderen Entscheidungen vor, mithin werden abgesehen von Entscheidungen in Ehesachen ausländische Entscheidungen anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.

Zu berücksichtigen ist, dass antragsberechtigt für die Anerkennung eines Scheidungsurteils nicht nur die betroffenen Ehegatten selbst, sondern auch diejenigen Personen sind, die an der Klärung der rechtmässigen Scheidung in Deutschland ein rechtliches Interesse haben. In Betracht kommen hierfür insbesondere die Verlobte bzw. der spätere Ehegatte oder aber auch Erben. Darüber hinaus ist in Deutschland des Weiteren die Rentenversicherungsanstalt zur Antragstellung berechtigt.

2.2

Zuständig für die Anerkennung eines ausländischen Scheidungsurteils ist – wie oben erwähnt – die Justizverwaltung desjenigen Bundeslandes, in dem einer der ehemaligen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Sollte keiner der Ehepartner seinen Aufenthalt in Deutschland haben, aber einer der geschiedenen Ehegatten möchte dennoch eine Ehe eingehen, so richtet sich die Zuständigkeit danach, in welchem Bundesland die Ehe geschlossen werden soll. Hat keiner der ehemaligen Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und ist in Deutschland auch keine Eheschliessung geplant, ist für den Antrag die Senatsverwaltung für Justiz in Berlin zuständig.

2.3

Vorzulegen sind bei der Antragstellung das Scheidungsurteil mit Rechtskraftvermerk, die Heiratsurkunde der aufgelösten Ehe, der Nachweis der Staatsangehörigkeit der Geschiedenen und die Übersetzung eines vereidigten Übersetzers sämtlicher fremdsprachlicher Urkunden. Teils werden weitergehende Urkunden wie Verdienstnachweise eingefordert, um die Kosten des Anerkennungsverfahrens festzulegen, welche nach Aufwand und Ermessen massiv schwanken.

.

4. Mai 2018 / Dr. iur. Gesine Wirth-Schuhmacher