DIE ARBEITGEBERKÜNDIGUNG UND IHRE TÜCKEN

Dr. iur. Stephan Fröhlich, Rechtsanwalt

Sieht sich der Arbeitgeber zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gezwungen, so lässt sich das kurz und bündig in einem einzigen Satz mitteilen. Nur zu oft unterschätzt werden aber die Begleiterscheinungen, welche selbst mit einer ganz normalen Arbeitgeberkündigung einhergehen. Wer sich von einem Mitarbeiter trennen muss, ist gut beraten, bezüglich der hiernach beschriebenen Punkte von Anfang an die richtigen Weichen zu stellen, damit die Beendigung des Arbeitsverhältnisses insgesamt möglichst reibungslos abläuft. Das dient dem eigenen Schutz und ist letztlich auch im Interesse des betroffenen Arbeitnehmers. Widmen wir uns also den Stolpersteinen, welche in der arbeitsrechtlichen Beratung von Unternehmern immer wieder eine Rolle spielen:

I. STOLPERSTEIN FRISTLOSE KÜNDIGUNG

Allgemein bekannt dürfte sein, dass die fristlose Kündigung nur in Ausnahmefällen ausgesprochen werden darf und auch aus unternehmerischer Sicht nur dort sinnvoll ist, wo eine ordentliche Kündigung mit anschliessender Freistellung als Reaktion auf ein Fehlverhalten schlicht unangemessen erscheint. Zurückhaltung ist hier nur schon deshalb geboten, weil die fristlose Kündigung in einer Vielzahl der Fälle ein aufwändiges arbeitsgerichtliches Verfahren nach sich zieht, welches die finanzielle Belastung einer ordentlichen Kündigung mit Freistellung oft bei weitem übersteigt. Die fristlose Kündigung wurde bereits in einem separaten Artikel besprochen und steht daher nicht im Fokus der vorliegenden Publikation.

II. STOLPERSTEIN MISSBRÄUCHLICHE KÜNDIGUNG

Aber auch eine sachlich an sich gut begründbare
ordentliche Kündigung kann dem Arbeitgeber durchaus Kopfschmerzen bereiten,
wenn sie in einer ungünstigen Sachverhaltskonstellation ausgesprochen werden
muss. Selbst ein umsichtiger Arbeitgeber kann über Konstellationen stolpern, in
denen einer an sich sachlich erwogenen Kündigung später der Anschein der
Missbräuchlichkeit anhaftet. Zum einen kann das dort der Fall sein, wo der
Arbeitnehmer kurz vor der Kündigung (zu Recht oder zu Unrecht) Forderungen aus
dem Arbeitsvertrag geltend gemacht hat. Hier ist man besonders gut beraten, die
Vorgänge vor der Kündigung sauber zu dokumentieren, damit später auch die
Umstände bewiesen werden können, welche tatsächlich zur Kündigung geführt
haben. Es empfiehlt sich, das genaue Vorgehen und die saubere Redaktion der
Kündigungsbegründung mit einer fachkundigen Person zu beraten.

Besonders unerwartet – weil nicht explizit im Gesetz verankert – sind für viele Arbeitgeber die Folgen der sogenannten Konflikt- oder Alterskündigung. Es kommt immer wieder vor, dass die Situation zwischen zwei Mitarbeitern zwischenmenschlich derart verfahren ist, dass an produktive Teamarbeit nicht mehr zu denken ist und sich das Klima im Betrieb nachhaltig verschlechtert. Hier sieht sich der Arbeitgeber oft gezwungen, eine Konfliktsituation zwischen zwei Arbeitnehmern durch Kündigung eines der Beteiligten aufzulösen. Wird diese Massnahme unausweichlich, so auferlegt ihm die Rechtsprechung (quasi in Weiterentwicklung des eigentlichen Gesetzeswortlauts) eine besondere Fürsorgepflicht und verlangt ihm dabei einiges Fingerspitzengefühl ab. Bemüht sich der Arbeitgeber vor Aussprechen einer Kündigung nämlich nicht oder ungenügend um die eigentliche Lösung des Konflikts zwischen den Mitarbeitern, so kommt er seiner Fürsorgepflicht nach Ansicht des Bundesgerichts nicht hinreichend nach, weshalb sich eine aufgrund dieses Konflikts ausgesprochene Kündigung als missbräuchlich erweisen kann (BGer, Urteil 4A_430/2010 vom 15.11.2010). Je älter der betroffene Mitarbeiter ist, desto höhere Anforderungen setzen die Gerichte an die Bemühungen des Arbeitgebers, ehe er sich zur Kündigung entscheiden darf. Welche Massnahmen im Vorfeld einer Kündigung zu treffen und wie diese zu dokumentieren sind, ist vom Einzelfall abhängig und idealerweise mit einer Fachperson zu erörtern.

III. STOLPERSTEIN KÜNDIGUNGSBEGRÜNDUNG

In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch, dass viele Arbeitgeber fälschlicherweise davon ausgehen, im Kündigungszeitpunkt zwingend auch eine schriftliche Kündigungsbegründung abgeben zu müssen. Nicht selten führt das in der Hitze des Gefechtes zu missverständlichen Formulierungen, die vor Gericht die Vermutung einer Missbräuchlichkeit weiter befeuern. Weil Art. 335 Abs. 2 OR die schriftliche Kündigungsbegründung nur verlangt, soweit eine solche vom Arbeitnehmer auch verlangt wird, besteht zu dieser Eile überhaupt kein Grund. Vielmehr hat der Arbeitgeber das Recht, sich für die Kündigungsbegründung einige wenige Tage Zeit zu lassen und seine Worte sachlich und frei von missverständlichen Formulierungen zu Papier zu bringen.

IV. STOLPERSTEIN KRANKHEIT IN DER KÜNDIGUNGSFRIST

Es gehört zu den häufigen Beobachtungen
eines Arbeitsrechtlers, dass auf die Arbeitgeberkündigung in vielen Fällen eine
ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers folgt. Eine Kündigung
kann für den Arbeitnehmer unbestrittenermassen einen Stressmoment darstellen
und ist in vielen Fällen wohl auch der Höhepunkt einer belastenden
Vorgeschichte. Es kann daher sicher nicht pauschal angenommen werde, jede am
Kündigungstag auftretende Arbeitsunfähigkeit sei bloss vorgetäuscht. Es wäre zugegebenermassen
aber auch naiv anzunehmen, alle am Tag der Kündigung auftretenden
Arbeitsunfähigkeiten seien medizinisch fundiert begründbar. Ganz unabhängig
davon stellt sich für den Arbeitgeber regelmässig die Frage, wie er auf eine
solche Arbeitsunfähigkeit in der Kündigungsfrist reagieren soll. Ohnmacht und
Ärger ob der Situation verleiten viele Arbeitgeber dazu, umgehend Massnahmen zu
ergreifen. In der Hitze des Gefechts wird der Verdacht, das Arztzeugnis könnte
erschlichen sein, oft zur Gewissheit erhoben und umgehend der
Taggeldversicherung weitergeleitet. Das Wort des Arbeitgebers hat dort grosses
Gewicht, ist er doch – im Gegensatz zum Versicherer – direkt vor Ort und kennt
den Arbeitnehmer persönlich. Folge davon ist oft ein administratives und juristisches
Nachspiel, wie es sich der Arbeitgeber nie hätte träumen lassen. Der
Versicherer wird naturgemäss umgehend Vorbehalte bezüglich der eigenen
Leistungspflicht anbringen und die Leistung aufgrund der klaren Mitteilung des
Arbeitgebers vorerst verweigern. In der Regel erfolgt dann – früher als sonst –
eine vertrauensärztliche Begutachtung. Handelt es sich um ein medizinisch
schwer fassbares Krankheitsbild, so kann diese Begutachtung dazu führen, dass der
Versicherer die Leistung, auch gestützt auf die vom Arbeitgeber geschürten
Zweifel, vorsorglich verweigert. Den unter Umständen fundierten Arztzeugnissen
des Arbeitnehmers wird dann unter Verweis auf die bei ihm liegende Beweislast nicht
selten der Beweiswert abgesprochen und er wird zum Beweis seiner Erkrankung auf
ein langwieriges Gerichtsverfahren verwiesen. Je nach vertraglicher Ausgestaltung
der Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit gerät dann auch der Arbeitgeber
wieder in den Fokus der gerichtlichen Auseinandersetzung, ob nun eine Krankheit
vorlag oder nicht. Unannehmlichkeiten, die sich der Kläger bei einem
bedachteren Vorgehen wohl erspart hätte. Darum prüfe im eigenen Interesse
genau, wer den Arbeitnehmer voreilig und ohne konkrete Anhaltspunkte der
Erschleichung eines Arztzeugnisses bezichtigt.

V. STOLPERSTEIN FREISTELLUNG

In vielen Fällen drängt sich nach erfolgter
Arbeitgeberkündigung eine Freistellung des Arbeitnehmers während der
verbleibenden Kündigungsfrist auf. Breites Allgemeinwissen dürfte sein, dass im
Falle der Freistellung in der Regel vorsorglich auch der Bezug von Überstunden
und Ferien angeordnet werden sollte, andernfalls die Pflicht zur Auszahlung
derselben zum Ende des Arbeitsverhältnisses drohen kann. Ob mit der
Freistellung dann wirklich das volle Ferien- und Überstundenguthaben als bezogen
angesehen werden kann, hängt von diversen Faktoren ab (Dauer der Kündigungsfrist,
Situation auf dem Stellenmarkt, Erkrankung des Arbeitnehmers etc.).

Weniger bekannt ist eine Problematik, die sich daraus ergibt, dass die Freistellung oft vorbehaltlos ausgesprochen wird, sodass auf diese Freistellung meist auch nicht ohne weiteres zurückgekommen werden kann. Das birgt Tücken, die vermieden werden können. Wird nämlich der Arbeitnehmer in der Freistellungsphase länger krank, so verweigern die Taggeldversicherungen neuerdings immer öfter die Taggeldleistung. Zur Begründung führen sie an, der Arbeitnehmer sei ohnehin freigestellt und damit von der Arbeitsleistung befreit worden. Daher könne die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auch nicht zu einer Verhinderung an der Arbeitsleistung führen, was aber Voraussetzung für die Ausrichtung von Krankentaggeldern wäre. Entsprechend sei auch während der Krankheit weiterhin der sogenannte Freistellungslohn zu entrichten; und zwar vom Arbeitgeber. Diese Ansicht ist in der juristischen Lehre umstritten und von den Gerichten soweit ersichtlich noch nicht abschliessend entschieden. Wer als Arbeitgeber also auf der sicheren Seite sein will, der sollte die Freistellung zumindest zeitlich bis zu dem Datum befristen, in dem das Arbeitsverhältnis ohne Krankheit enden würde und sich ggf. auch den Widerruf der Freistellung vorbehalten. Welche Variante sinnvoller ist (oder ob eine Kombination der beiden), hängt einerseits davon ab, wie lange das Arbeitsverhältnis durch auftretende Sperrfristen bei Krankheit überhaupt verlängert werden könnte und ob Ferien- und Überzeit kompensiert werden sollen oder nicht. Wer jederzeit mit einem Widerruf der Freistellung rechnen muss, der wird naturgemäss sehr eingeschränkt Ferien planen können.

VI. STOLPERSTEIN RÜCKZAHLUNGSVEREINBARUNGEN UND KONKURRENZVERBOT

Gelegentlich vergessen geht, dass mit einer
Arbeitgeberkündigung sowohl ein allfälliges Konkurrenzverbot als auch eine
Rückzahlungsvereinbarung über vom Arbeitgeber vorgeschossene
Weiterbildungskosten gänzlich verfallen. Diese Regelung ist im Falle des
Konkurrenzverbotes in Art. 340c Abs. 2 OR festgehalten und wird von der
Rechtsprechung auf Rückzahlungsverpflichtungen analog angewandt.
Konkurrenzverbot und Rückzahlungsvereinbarung bleiben nach der
Arbeitgeberkündigung nur dann verbindlich, wenn der Arbeitgeber einen
begründeten Anlass zur Kündigung hatte. Der Nachweis dafür, dass der
Arbeitnehmer einen Grund für die Kündigung gesetzt hat, ist vom Arbeitgeber zu
beweisen. Wer also seiner Rechte aus dem Konkurrenzverbot oder der
Weiterbildungsvereinbarung nicht verlustig gehen will, der sollte die
Kündigungsgründe vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gut dokumentieren.

VII. STOLPERSTEIN UNTERSCHRIFTSBERECHTIGUNG

Grundsätzlich ist die Arbeitgeberkündigung
formlos gültig. Viele Arbeitsverträge sehen indes vor, dass die Kündigung schriftlich
zu erfolgen hat. Übersehen wird in diesen Fällen oft, dass die unterzeichneten
Personen über eine im Handelsregister eingetragene Unterschriftsberechtigung verfügen
müssen. Wird die Kündigung von einer Person unterzeichnet, die nur zur
Kollektivunterschrift berechtigt wäre, so entfaltet diese Kündigung keine
Wirkung. Die spätere Genehmigung der Kündigung durch eine weitere
zeichnungsberechtigte Person kann diesen Mangel zwar unter Umständen heilen;
die Kündigung entfaltet gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung in der Regel
aber erst ab dem Zeitpunkt dieser Genehmigung ihre Wirkung, sodass damit unter
Umständen ein späterer Kündigungstermin einhergeht (BGE 128 III 129). In einem noch strengeren
Entscheid hat das Bundesgericht eine Genehmigung gar ausgeschlossen, sodass es
in jedem Fall ratsam ist, die Bekräftigung der ursprünglichen Kündigung selbst
auch rechtsgenüglich durch zwei unterschriftsberechtigte Vertreter
unterzeichnen zu lassen.

VIII. STOLPERSTEIN INFORMATION ÜBER DIE VERSICHERUNGSRECHTLICHEN FOLGEN DER KÜNDIGUNG

Vielen Arbeitgebern unbekannt ist, dass sie gegenüber dem gekündigten Arbeitnehmer eine Informationspflicht bezüglich der versicherungsrechtlichen Folgen haben, welche die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit sich bringt. Zwingend zu informieren ist der Arbeitnehmer darüber, dass er ab dem 30. Tag nach dem Tag, an dem der Anspruch auf mindestens den halben Lohn aufhört, nicht mehr gegen Unfall versichert ist (i.d.R. also 30 Tage nach Ende des Arbeitsverhältnisses), und dass mit Abschluss einer Abredeversicherung innert dieser Frist die Möglichkeit besteht, die Nichtberufsunfallversicherung für eine Dauer von bis zu 180 Tagen auf eigene Kosten zu verlängern. Weiter ist der Arbeitnehmer über den Wegfall der Krankentaggeldversicherung zum Ende des Arbeitsverhältnisses zu informieren. Besteht sodann die Möglichkeit des Übertritts in eine Einzeltaggeldversicherung, so ist auch über diese Übertrittsmodalitäten- und Fristen zu informieren, weil die Taggeldversicherung diese gesetzliche Informationspflicht in aller Regel vertraglich auf den Arbeitgeber überbindet. Unterlässt der Arbeitgeber diese Information und entgehen dem Arbeitnehmer dadurch Versicherungsleistungen, so kann der Arbeitgeber unter Umständen mit empfindlichen Schadenersatzforderungen konfrontiert werden.

IX. WEITERE STOLPERSTEINE IM KURZÜBERBLICK

Besondere gesetzliche Anforderungen an die ordentliche Kündigung ergeben sich sodann im Falle einer Massenentlassung oder eines Betriebsüberganges. Eingehende Ausführungen hierzu würden den Rahmen der vorliegenden Publikation sprengen, und es empfiehlt sich, im Vorfeld solcher Vorhaben fachkundige Beratung in Anspruch zu nehmen.

X. STOLPERSTEINE MITTELS AUFHEBUNGSVEREINBARUNG UMGEHEN?

Viele Arbeitnehmer bevorzugen zur Regelung
bzw. Umgehung der vorstehenden Problempunkte zu Recht den Abschluss einer
Aufhebungsvereinbarung. Eine fachkundig aufgesetzte Aufhebungsvereinbarung kann
selbstverständlich viel Ärger, Zeit und Geld sparen. Zu beachten ist dabei
aber, dass die Redaktion einer solchen Vereinbarung auch einiger Rechtskenntnis
bedarf, um später ein böses Erwachen zu vermeiden. Weil es eine Reihe von
Ansprüchen gibt, auf die der Arbeitnehmer während des laufenden
Arbeitsverhältnisses gar nicht verzichten kann, ist eine solche Vereinbarung für
diesen nämlich nur dann auch tatsächlich bindend, wenn es sich dabei um einen
sog. echten Vergleich handelt, mit dem der Arbeitnehmer nicht übervorteilt
wird.

XI. FAZIT

Eine Arbeitgeberkündigung fällt dem verantwortungsbewussten Unternehmer in aller Regel von vorne herein nicht leicht. Um zu vermeiden, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zum Beginn eines kostenintensiven und nervenaufreibenden Rechtsstreits wird, empfiehlt sich im Zweifel vorab eine vergleichsweise kostengünstige Vorgehensberatung beim Spezialisten.


10. März 2020 / Dr. iur. Stephan Fröhlich




DAS VERSAGEN DER LINEAREN ARBEITSZEITERFASSUNG IN EIGENTLICHEN TEILZEITARBEITSVERHÄLTNISSEN: DER KRANKHEITSFALL

Dr. iur. Stephan Fröhlich, Rechtsanwalt

Die lineare Arbeitszeiterfassung führt in vielen Unternehmen zu Fragen,
Unklarheiten und, nicht zuletzt, zur Unzufriedenheit der Arbeitnehmerschaft.
Vor diesem Hintergrund wird dieses Zeiterfassungsmodell nachstehend einer
kurzen Überprüfung unterzogen und es wird aufgezeigt, wo für den Arbeitgeber
unseres Erachtens dessen Anwendungsbereich bzw. dessen Grenzen liegen.

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I. DIE AUSGANGSLAGE

Das immer öfter anzutreffende Zeiterfassungsmodell der linearen Arbeitszeiterfassung sieht vor, dass die Zeitgutschrift nicht nach der tatsächlich geleisteten Arbeitsdauer an den vereinbarten Arbeitstagen erfolgt, sondern nach dem auf eine 5-Tagewoche entfallenden täglichen arbeitsvertraglichen Pensum. Konkret heisst dies, dass einem zu 50% beschäftigten Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die faktische Lage der Arbeitsleistung jeden Tag (ausgehend von einer 42-Stunden-Woche) 4:12 Stunden angerechnet werden. Wo liegt nun das Problem? Der Stein des Anstosses liegt oft dort, wo dasselbe System bei der Erfassung von krankheitsbedingten Absenzen angewandt wird; und zwar wiederum unabhängig davon, wie viel der Arbeitnehmer an diesen bestimmten Tag tatsächlich gearbeitet hätte. Daraus kann sich etwa die Problematik ergeben, dass einem Arbeitnehmer, der in einem 50%-Pensum beschäftigt ist und an einem Tag krankheitsbedingt ausfällt, an dem er ganztags gearbeitet hätte, im Zeiterfassungssystem nur 4:12 Stunden Arbeitszeit angerechnet werden, obschon er an diesem Tag 8:24 Stunden gearbeitet hätte.

II. DIE PFLICHT DES ARBEITGEBERS ZUR ARBEITSZEITERFASSUNG

Untersteht ein Arbeitsverhältnis dem Arbeitsgesetz, so ist
der Arbeitgeber nach Art. 46 ArG i.V.m. Art. 73 ArgV 1 verpflichtet, die
geleistete Arbeitszeit seiner Angestellten zu erfassen und eine entsprechende
Dokumentation für eine bestimmte Zeitdauer aufzubewahren. Verlangt wird vom
Arbeitgeber grundsätzlich eine möglichst genaue und präzise Zeiterfassung, sodass
eine von der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit abweichende Fiktion unseres
Erachtens nur in Ausnahmefälle zur Anwendung kommen darf. Wo mit anderen Worten
ohne weiteres festgestellt werden kann, welche Arbeitszeit auf einen bestimmten
Krankheitstag entfällt, ist diese Arbeitszeit auch gutzuschreiben und nicht
eine davon abweichende fiktive Arbeitszeit. Wie weiter unten aufgezeigt wird,
kann es aber auch einzelne Konstellationen geben, in denen eine solche Fiktion
den bestmöglichen Kompromiss darstellt. Die Unterscheidung ist unseres
Erachtens aufgrund einer differenzierten Betrachtung von eigentlicher bzw.
uneigentlicher Teilzeitarbeit vorzunehmen.

III. LINEAREN ARBEITSZEITERFASSUNG BEI EIGENTLICHER TEILZEITARBEIT

Von«eigentlicher Teilzeitarbeit»spricht man, wenn der reduzierte Einsatz wiederholt aufgrund eines im Voraus festgelegten Arbeitsplans erfolgt,
wobei der Arbeitnehmer nicht notwendigerweise zu denselben Zeiten und
Wochentagen arbeiten muss (vgl. Streiff/von
Kaenel/Rudolf, in: Arbeitsvertrag, 7. Aufl., N 18 zu Art. 319).

Wenn ein Arbeitnehmer in
eigentlicher Teilzeitarbeit krankheitsbedingt für einen ganzen eingeplanten Tag
ausfällt, ist eine Zeitgutschrift von lediglich 4:12 Stunden (aufgrund seines
durchschnittlichen Tagespensums) nach der hier vertretenen Ansicht schwer zu
rechtfertigen. Dies deshalb, weil der Einsatzplan vom Arbeitgeber vorgegeben
wird und deshalb ganz klar ist, dass der Arbeitnehmer an diesem Tag 8:24 Stunden
gearbeitet hätte. Die Fiktion einer durchschnittlichen Tagesarbeitszeit von
4:12 Stunden steht hier im Widerspruch zu den tatsächlichen Gegebenheiten, weil
die Arbeitszeiten vom Arbeitgeber selber festgesetzt wurden und der
Arbeitnehmer davon nicht hätte abweichen dürfen bzw. können, wenn er an dem Tag
gesund gewesen wäre. Weil hier aufgrund des bestehenden Einsatzplanes keine
Zweifel an der für den jeweiligen Tag geschuldeten Arbeitsleistung bzw. der
zeitlichen Lage und Dauer der an dem Tag zu erbringenden Arbeitsleistung
bestehen, lässt sich eine von diesen Arbeitszeiten abweichende Fiktion nur
schwer rechtfertigen.

Würde man die Annahme einer solchen Fiktion erlauben, so würde das auch zur Generierung unverschuldeter Minusstunden führen, welche auf die Krankheit unmittelbar zurückgeführt werden könnten und welche sich früher oder später auch in einer Lohneinbusse niederschlagen würden. Eine Kompensation dieser Minusstunden wäre von vorne herein kaum möglich, weil ja ein vom Arbeitgeber vorgegebener fixer Einsatzplan besteht. Selbst wenn eine Kompensation dieser unverschuldeten Minusstunden ermöglicht würde, so müsste dies durch eine Mehrleistung an Arbeitsstunden geschehen, welche bei Ausbleiben der Krankheit nicht hätten geleistet werden «müssen» oder dann, wenn sie unabhängig davon geleistet worden wären, entschädigungsfähige Überstunden dargestellt hätten. Bei diesem Resultat läuft der Arbeitgeber Gefahr, den Vorgaben von Art. 324a OR nicht gerecht zu werden, wonach dem Arbeitnehmer für eine gewisse Zeit keine Lohneinbusse entstehen darf, wenn er krankheitshalber an der Arbeitsleistung verhindert ist.

IV. SONDERFALL UNEIGENTLICHE TEILZEITARBEIT

Die Frage der Gesetzeskonformität
der linearen Arbeitszeiterfassung stellt sich aber nicht nur in Bezug auf die
eigentliche, sondern auch auf die uneigentliche Teilzeitarbeit. Diese Art von
Teilzeitarbeit wird nicht aufgrund eines im Voraus festgelegten Einsatzplanes,
sondern auf einseitigen Abruf
durch den Arbeitgeber  hin oder zu einem
im Belieben des Arbeitnehmers stehenden Einsatzzeitpunkt geleistet (vgl. Streiff/von Kaenel/Rudolf, in: Arbeitsvertrag,
7. Aufl., N 18 zu Art. 319). Dies bedeutet aber noch nicht unbedingt, dass
der Arbeitnehmer in uneigentlicher Teilzeitarbeit unregelmässig arbeitet und somit,
dass eine genaue Bestimmung der Lage und der Dauer der Arbeitsleistung dem
Arbeitgeber nicht zugemutet werden darf. Es entspricht vielmehr der Lebensart
vieler Arbeitnehmer, regelmässig an bestimmten Tagen der Woche zu arbeiten, um an
den übrigen Tagen einer anderen Beschäftigung nachgehen zu können oder um sich beispielsweise
der Familienbetreuung zu widmen. Wenn es dem Arbeitgeber dementsprechend auch
hier möglich ist, die auf einen bestimmten
Krankheitstag entfallende Arbeitszeit zu eruieren, ergeben sich keine
Unterschiede zu den obigen Ausführungen zur eigentlichen Teilzeitarbeit.

Wird die Arbeitsleistung von einem Arbeitnehmer hingegen tatsächlich
unregelmässig geleistet, so stellt die lineare Arbeitszeiterfassung für den
Arbeitgeber eine grosse Erleichterung dar. Krankheitsfälle linear (ausgehend
von einer durchschnittlichen wöchentlichen Soll-Arbeitszeit) gutzuschreiben,
lässt sich in diesen Fällen unseres Erachtens rechtfertigen. Das, weil aufgrund
der Unregelmässigkeit der Arbeitsleistung im Nachhinein kaum mehr bestimmt (und
nötigenfalls auch kaum je bewiesen) werden kann, wie die Arbeitszeit des
Arbeitnehmers an den jeweiligen Krankheitstagen zu liegen gekommen wäre. Angesichts
der Autonomie des Arbeitnehmers, seine Arbeitszeit selbst festzulegen,
erscheint die Fiktion einer 5-Tagewoche im Teilzeitpensum hier
verhältnismässig. In diesem Fall hält die juristische Lehre aber richtiger
Weise fest, dass der Arbeitgeber auch Mehrstunden in Kauf nehmen muss, die nach
diesem System konsequenter Weise entstehen, wenn der Arbeitnehmer an einem
Krankheitstag tatsächlich nicht gearbeitet hätte. Dieser Fall entsteht, wenn
der Arbeitnehmer seine wöchentliche Sollarbeitszeit zu Beginn der Woche schon
geleistet hat und danach für den Rest der Woche krankheitsbedingt ausfällt.

V. FAZIT

Nach der hier vertretenen Auffassung findet die lineare Arbeitszeiterfassung ihre Grenze in den faktischen Gegebenheiten der Arbeitsleistung. Das Gesetz verpflichtet den Arbeitgeber, die Arbeitszeiten seiner Angestellten möglichst genau und präzis zu erfassen. In dieser Hinsicht darf eine Fiktion nur dann angenommen werden, wo es auch Raum für diese gibt, weil die tatsächliche Lage und Dauer der für einen bestimmten Krankheitstag vorgesehenen Arbeitszeit nicht eruiert werden kann. Den Arbeitgebern wird somit empfohlen, sowohl bei der Abfassung von Einzelverträgen als auch bei der Ausarbeitung von Arbeitszeitreglementen den vorbeschriebenen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und die entsprechenden Dokumente im Zweifelsfall einem Fachexperten zur Prüfung zu unterbreiten.


10. März 2020 / Dr. iur. Stephan Fröhlich




AKTUELLES VOM BAUREKURSGERICHT ZÜRICH – DIE AUFNAHME EINES GEBÄUDES IN EIN INVENTAR STELLT NOCH KEINE SCHUTZMASSNAHME DAR

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

rechtliche Überlegungen zum Umgang mit Inventaren im Kanton Zürich

Das Baurekursgericht Zürich hat in einem aktuellen (zurzeit noch nicht rechtskräftigen) Entscheid (BRGE II Nr. 0004/2020) die bisherige kantonale Praxis zur Rechtswirkung und der Nichtanfechtbarkeit der Inventarisierung eines Gebäudes in ein kommunales Inventar bestätigt. Eine Praxis, welche aus Sicht der verfassungsmässigen Eigentumsrechte der betroffenen Eigentümer durchaus kritisch zu betrachten ist.

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I. Sachverhalt

Eine Gemeinde im Kanton Zürich hat ein privates Gebäude in das Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung der Gemeinde aufgenommen, bzw. dieses entsprechend ergänzt. Schutzmassnahmen bzw. ein formelles vorsorgliches gesetzliches Veränderungsverbot nach § 209 PBG wurden jedoch ausdrücklich (noch) nicht ausgesprochen. Die Eigentümerin reichte Rekurs beim Baurekursgericht ein und beantragte die Aufhebung des Beschlusses und dass das Gebäude nicht in das Inventar aufzunehmen sei. Das Baurekursgericht Zürich ist im Entscheid vom 21. Januar 2020 auf den Rekurs nicht eingetreten. Das Baurekursgericht stützt sich in seiner Begründung auf die Praxis und Lehre im Kanton Zürich, nach welcher Inventare erst dann eine eigentümerverbindliche Wirkung entfalten, wenn die Aufnahme eines Objektes in ein Inventar förmlich (schriftlich) angezeigt und mit dem Hinweis auf ein damit wirksam werdendes gesetzliches Veränderungsverbot verbunden werden. Die blosse Inventaraufnahme stelle noch keine Schutzmassnahme dar, auch keine provisorische. Die Wirkung eines Inventares bestehe (nur) darin, die Behörden und die nachfragenden Eigentümer oder Drittpersonen darauf aufmerksam zu machen, dass die aufgenommenen Objekte im Falle von Veränderungen einer erhöhten Aufmerksamkeit bedürfen (vgl. E. 3, BRGE II Nr. 0004/2020).

II. Kommentar

Im Lichte der bisherigen Rechtsprechung zur Inventarisierung ist der Entscheid nachvollziehbar. Er zeigt jedoch eine grundsätzliche Problematik der Hinweisinventare und der fehlenden Anfechtungs- bzw. Überprüfungsmöglichkeiten von solchen Inventarisierungen. Denn auch wenn einem Inventar nur die Aufgabe eines behördeninternen Sachplanes zukommt (vgl. Zürcher Planungs- und Baurecht, FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF/KUNZ, S. 277) wird faktisch mit der Inventarisierung eines Gebäudes bereits in das Eigentumsrecht der Grundeigentümerin eingegriffen bzw. dieses zumindest tangiert.

Fakt ist, dass bereits mit der Inventarisierung eines Gebäudes dieses öffentlich einsehbar und in einem Inventar aufgeführt einem «Generalverdacht» in Bezug auf die Schutzwürdigkeit unterstellt wird. Auch wenn es sich bei der Inventarisierung nach Lehre und Rechtsprechung nicht um eine provisorische Schutzmassnahme handelt, kommt dem Inventareintrag in der Praxis oft eine präjudizielle Wirkung zu. So ist immer wieder feststellbar, dass solche Inventareinträge Vorlage oder Referenz für Schutzabklärungen, Gutachten und auch Verfügungen bilden. Gerade bei Gutachtern aber auch den Behörden wird die inhaltliche und insbesondere rechtliche Relevanz und Wirkung der Hinweisinventare überhöht.

In Unterschutzstellungsverfahren finden sich so immer wieder Schutzgutachten, welche als Referenz für den Schutzwert integral oder schwerpunktmässig auf den entsprechenden Inventareintrag und die dortigen Feststellungen verweisen, ohne diese zu hinterfragen. Wenn nun aber solche Gutachten sich inhaltlich derart auf die Inventareinträge abstützen, führt dies dazu, dass dem Inventareintrag die entscheidende Bedeutung zur Beurteilung der Schutzwürdigkeit eines Gebäudes zukommt. Es trifft somit nicht zu, wenn man davon ausgeht, dass eine Inventarisierung noch keine Rechtswirkung begründen würde.  Wird dem Inventareintrag eine solche Bedeutung beigemessen, ist er mehr als ein verwaltungsinternes Hilfswerkzeug.

Dies zeigt sich auch daran, dass die Behörden Inventare nicht ohne weiteres wieder bereinigen können. Denn die Entlassung eines einmal aufgenommenen Gebäudes aus einem Inventar ist nach Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts in der Regel nur gestützt auf ein Gutachten möglich. Eine Inventarentlassung ist zu verfügen und kann mit einem Rechtsmittel (etwa von Heimatschutzverbänden) angefochten werden. Im Gegensatz zur Inventarisierung ist die Entlassung aus einem Inventar somit dem Rechtsschutz unterstellt.

Ist eine Grundeigentümerin mit der Inventarisierung nicht einverstanden, so hat sie nur die Möglichkeit, ein Provokationsbegehren zu stellen und so in der Regel innert Jahresfrist verbindlich über allfällige definitive Schutzmassnahmen entscheiden zu lassen; sie muss den Schutzentscheid in einem formellen Verfahren «provozieren». Solche Provokationsbegehren sozusagen ins «Blaue» hinaus (d.h. ohne konkrete Bauabsichten) sind risikoreich und aufwändig. Zudem kann ein Provokationsbegehren nur bei einem aktuellen Interesse gestellt werden, zumindest müssen Bau-, Verkaufs- oder Erbteilungsabsichten glaubhaft gemacht werden können. Weiter kommt hinzu, dass sie sich gegen den bereits erstellten Inventareintrag wehren muss, bei dessen Erstellung sie die verfassungsmässig garantierten Verfahrensrechte, welche Betroffenen bei einer Beweiserhebung normalerweise zustehen, nicht hatte, insbesondere ihr kein rechtliches Gehör gewährt worden ist.  Ohne Provokationsbegehren wird das inventarisierte Gebäude unter Umstände über Jahre oder Jahrzehnte einfach in einem Inventar für die schützenswerten Objekte der Gemeinde geführt. Die Grundeigentümerin muss damit leben, dass ihr Gebäude öffentlich als inventarisiert und damit «potentiell geschützt» gilt. Will die Grundeigentümerin ein solches Gebäude einmal verkaufen, wird der Inventareintrag selbstredend eine Auswirkung auf den Wert der Liegenschaft haben. Im Wissen um den Inventareintrag werden für die interessierten Käufer die Risiken einer späteren Unterschutzstellung kaufpreisrelevant sein. Für nicht mit denkmalschutzrechtlichen Angelegenheiten vertraute Personen ist es zudem kaum möglich, die genaue Unterscheidung zwischen der (vorsorglichen) Inventarisierung und einer formellen Unterschutzstellung zu verstehen.

Es trifft somit nicht zu, dass die Inventarisierung die Grundeigentümerin nicht direkt betrifft, findet bereits mit der Inventaraufnahme ein potentieller Eingriff in die Eigentumsrechte der Grundeigentümer statt (Wertminderung), gegen welche sich der Grundeigentümer nicht direkt mit einem Rechtsmittel wehren kann. Weiter kommt noch folgender verfahrenstechnischer Umstand dazu: Die Nachführung der kommunalen Inventare obliegt den Gemeinden, welche dafür regelmässig Fachleute aus dem Bereich der Denkmalpflege beiziehen. In den Erläuterungen des Amtes für Raumentwicklung des Kantons Zürich (Denkmalschutz – Erläuterungen zur Erarbeitung, Festsetzung und Anwendung) werden die Gemeinden unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts angeleitet, ein Inventar zu erstellen, welches eine «Bestandsaufnahme der in Betracht fallenden Schutzobjekte ermöglichen soll. Es sollen daher «[…] nicht nur jene Objekte Aufnahme in die Inventare finden, welche mit Sicherheit formell geschützt werden; vielmehr geht es darum, den gesamten Bestand der schutzfähigen Objekte zu erfassen, ohne Rücksicht auf beabsichtigte Schutzmassnahmen seitens der Behörden» (vgl. Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 9.2.2011, VB.2010.00032, E. 5.3, unter Hinweis auf den Entscheid RB 1990 Nr. 72).

M.E. liegt in dieser Praxis die Krux bei den Inventaren:  Denn wenn alle «in Betracht fallenden» bzw. «schutzfähigen» Schutzobjekte im Inventar erfasst werden und die Frage der Verhältnismässigkeit und der Interessenabwägung erst im Schutzverfahren geklärt werden sollen, besteht die Gefahr einer sehr grosszügigen Inventarisierung. Auch unter Fachexperten wird der Begriff «Schutzfähig» kontrovers diskutiert. Ketzerisch betrachtet kommt fast jedem älteren Gebäude eine gewisse «Schutzfähigkeit» zu.

Wenn nun Fachexperten von den Gemeinden beauftragt werden, das Inventar alle paar Jahren zu aktualisieren und mit «potentiellen und allen in Betracht fallenden» Schutzobjekten zu ergänzen, ist es nichts als logisch, dass in der Tendenz jeweils weitere «schutzfähige» Objekt dazukommen. Dies gilt umso mehr, wenn die Gemeinde mit der Aufgabe externe Dienstleister beauftragt, welche verständlicherweise auch ein Ergebnis bzw. neue Inventareinträge präsentieren wollen. Im Zweifel wird daher eher ein Gebäude mehr inventarisiert, sozusagen «in dubio pro inventarium». Da gegen diese vorsorgliche Inventarisierung kein Rechtsmittel für die Grundeigentümer offensteht, besteht die Gefahr, dass Gebäude inventarisiert werden, die keinen Schutzwert haben.

Gestützt auf die verfahrensrechtlichen Grundsätze dürfen bzw. dürften solchen Hinweisinventare keinen Beweiswert in einem späteren Schutzverfahren zukommen, denn sie werden ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs und Rechtschutz erstellt und stellen eine erstmalige subjektive Einschätzung von einem oder wenigen einzelnen Fachexperten dar.

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Gesetzgebung oder die Rechtsprechung zur Anfechtbarkeit der Inventare oder der gesamten Praxis in Zukunft ändern wird. Bis dahin ist es umso wichtiger, dass man sich der unverbindlichen und damit inhaltlich geringen Aussagekraft der Hinweisinventare bewusst ist, sei dies auf Seite Behörden, Gutachter aber auch der Gerichtsinstanzen. Schutzentscheide, welche sich bei der Begründung auf den fachlichen Inhalt der Inventare beziehen, sind daher problematisch bzw. nicht haltbar, da dafür eine unabhängige neue und in einem rechtskonformen Verfahren ergangene Begutachtung durch Fachexperten notwendig ist. Ansonsten kommt dem Inventareintrag eine präjudizierende Wirkung zu, etwas was sie nach der Rechtsprechung des Baurekursgerichts und Verwaltungsgerichts jedoch nicht haben dürfen.


19. Februar 2020 / lic. iur. Christoph Schärli,

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NEUER SCHUTZ VOR SCHEIDUNGSRISIKEN (VORAUSSCHEIDUNGSKONVENTION/ EHEVERTRAG MIT REGELUNG DER SCHEIDUNGSNEBENFOLGEN)

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin unter Mithilfe von MLaw Giada Cassis

lic. iur. Melanie Schmidt, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Bei bestehendem gemeinsamem Scheidungswillen gibt das Gesetz den Ehegatten die Möglichkeit, sich über die Scheidungsfolgen zu einigen und dem Gericht im Rahmen eines gemeinsamen Scheidungsbegehrens eine entsprechende Vereinbarung (Scheidungskonvention) einzureichen. Diese Vereinbarung wird vom Gericht auf ihre Vollständigkeit und Klarheit sowie auf offensichtliche Unangemessenheit hin überprüft und genehmigt, sofern es sich davon überzeugen kann, dass die Ehegatten sie aus freiem Willen und nach reiflicher Überlegung geschlossen haben.

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Inwieweit dürfen sich die Ehegatten bereits im Voraus – d.h. bei noch nicht bestehender Scheidungsabsicht und ausserhalb eines Scheidungsverfahrens – über die Folgen einer allfälligen Scheidung verbindlich einigen?

I. BISHERIGE RECHTSPRECHUNG

Gemäss Lehre und Rechtsprechung konnten die Ehegatten bis anhin zahlreiche Nebenfolgen der Scheidung nicht im Voraus regeln. Gemäss Gesetz sind Scheidungsvereinbarungen erst rechtsgültig, wenn das Gericht sie genehmigt hat (Art. 279 Abs. 2 ZPO). Dies bedeutet, dass einem von beiden Ehegatten unterzeichneten Scheidungsvertrag keine Rechtsbindung zukommt, bis er gerichtlich genehmigt wird. Die Bindungswirkung tritt gemäss herrschender Lehre erst ein, wenn die Vereinbarung in der Anhörung vor Gericht von den Parteien nochmals bestätigt wird. Vor diesem Zeitpunkt ist sie hingegen beliebig widerrufbar (vgl. Bähler, in: Basler Kommentar ZPO, 3. Auflage, N 2 zu Art. 288). Hintergrund dieser Regelung sind unterschiedliche Schutzgedanken des Gesetzgebers, die an dieser Stelle nicht vertieft werden können. Dem Gericht eine solche Vorausvereinbarung gegen den Willen eines Ehegatten zur Genehmigung einzureichen, war von vornherein erfolglos, zumal schon die grundlegende Voraussetzung des gemeinsamen Scheidungswillens bzw. des gemeinsamen Scheidungsbegehrens fehlte. Auch im Rahmen des Abschlusses von Eheverträgen ist eine Regelung der Scheidungsfolgen gesetzlich nicht vorgesehen. Zwar darf ein Ehevertrag bereits vor und jederzeit nach der Heirat geschlossen werden, inhaltlich ist er aber auf die Wahl des Güterstandes beschränkt (Art. 182 ZGB). Raum für die ehevertragliche Regelung des nachehelichen Unterhalts, des Vorsorgeausgleichs oder von weiteren Scheidungsfolgen gibt es vor der Scheidung bzw. vor bestehendem Scheidungswillen der Ehegatten nicht.

II. NEUER BUNDESGERICHTSENTSCHEID

Wider Erwarten hat das Bundesgericht in einem neuen Entscheid seine bisherige Rechtsprechung trotz des (eigentlich) klaren Gesetzestextes grundlegend geändert. Im Urteil 5A_778/2018 vom 23. August 2019 ist das Bundesgericht zum Schluss gekommen, dass die Verlobten sich schon vor Abschluss der Ehe – und die Eheleute jederzeit in deren Verlauf trotz noch fehlender Scheidungsabsicht – hinsichtlich der Scheidungsfolgen verbindlich verpflichten können. Inhalt einer entsprechenden Vereinbarung können insbesondere (neu) auch die Regelung des nachehelichen Unterhalts und des Vorsorgeausgleichs sein. Ausgeschlossen bleibt hingegen nach wie vor die Regelung der Kinderbelange, denn diesbezüglich gilt die Offizialmaxime, wonach das Gericht nicht an die Parteianträge
(-vereinbarungen) gebunden ist (Art. 296 Abs. 3 ZPO).

Das Bundesgericht hat seinen neuen Entscheid damit begründet, dass zwischen den Parteien grundsätzlich Vertragsfreiheit herrsche (vgl. Art. 168 ZGB) und das Gesetz keine spezielle Regel enthalte, die eine «Scheidungsvereinbarung auf Vorrat» verbiete (vgl. E. 5.5.). Im Rahmen des Scheidungsverfahrens habe das Gericht deswegen nur noch zu prüfen, ob die Scheidungsvereinbarung damals, d.h. im Zeitpunkt der Unterzeichnung, aus freiem Willen und nach reiflicher Überlegung geschlossen wurde, sowie ob sie klar, vollständig und – ausgehend von den aktuellen, d.h. im Scheidungszeitpunkt geltenden, wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien – nicht offensichtlich unangemessen sei (Art. 279 Abs. 1 ZPO). In jedem Fall hat das Gericht zu prüfen, ob trotz der Vereinbarung eine angemessene Altersvorsorge der Ehegatten gesichert ist. Da eine Scheidungsvereinbarung aber erst rechtsgültig wird, wenn das Gericht sie genehmigt hat (Art. 279 Abs. 2 ZPO), haben die Parteien in einem durch Klage eingeleiteten Scheidungsverfahren die Möglichkeit, dem Gericht die Nichtgenehmigung der zwar bindenden, aber noch nicht rechtsgültigen Vereinbarung zu beantragen (E. 5.6.). Es kommen dafür die allgemeinen Bestimmungen der Vertragsanfechtung gemäss Art. 20 ff. OR oder zum Schutz vor übermässiger Bindung im Sinne von Art. 27 Abs. 2 ZGB zur Anwendung. Der Schutz vor übermässiger Bindung greift insbesondere dann, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien gegenüber dem Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung in nicht vorhersehbarer Weise geändert haben.

Was die Form dieser Vereinbarung betrifft, geht das Bundesgericht von der absoluten Vertragsfreiheit der Parteien aus und schreibt weder einen Mindestinhalt noch eine besondere Form vor (E. 5.5.). Diesbezüglich verliert das Bundesgericht kein weiteres Wort, selbst wenn eine Begründung begrüssenswert gewesen wäre. Insbesondere liefert das Bundesgericht keine Erklärung dafür, warum die Regelung des Güterstandes im Rahmen des Abschlusses eines Ehevertrags eine öffentliche Beurkundung benötigt, eine Vereinbarung über den nachehelichen Unterhalt und den Vorsorgeausgleich dagegen formfrei abgeschlossen werden kann. Zu dieser Diskrepanz hat sich ein Teil der Lehre bereits kritisch ausgesprochen. Hauptthema der Kritik ist die Rechtssicherheit. Es bleibt somit abzuwarten, ob das Bundesgericht seinen «Pionierentscheid» künftig bestätigen und verdeutlichen wird. 

III. FAZIT

Die neue bundesgerichtliche Rechtsprechung eröffnet Verlobten und Ehegatten einen neuen Weg, sich für den Scheidungsfall vorsorglich (zum Voraus) abzusichern und die Regelung der Scheidungsfolgen vor dem Eintritt des Konfliktfalles für alle Beteiligten klar festzuhalten. Es ist so bspw. möglich, über die Festlegung der nachehelichen, persönlichen Unterhaltsbeiträge zu Gunsten eines Ehegatten einen von den Ehegatten unterschiedlich gelebten Lebensstandard zu fixieren, bevor die Scheidung aktuell wird. Bis Rechtssicherheit über die umfassende Gültigkeit solcher Vorausscheidungskonventionen eintritt, ist im Einzelfall Vorsicht geboten, zumal noch unklar ist, wie streng die Inhaltskontrolle im Rahmen der gerichtlichen Genehmigung ausfallen wird und wie das Bundesgericht solche Fälle in der Zukunft entscheidet. Es ist aktuell zumindest zu empfohlen, Vereinbarungen über die Scheidungsfolgen zusammen mit der Wahl des Güterstandes im Rahmen eines Ehevertrages zu treffen und diesen, entsprechend den gesetzlichen Vorschriften, von einem Notar öffentlich beurkunden zu lassen (Art. 184 ZGB).


3. Februar 2020 / lic. iur. Melanie Schmidt




WENN DIE AIRBNB-NACHBARN NERVEN

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die Meinung unserer Fachexpertin Mietrecht ist auch in der Tagespresse (Tagesanzeiger) gefragt. 

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FIRMENSCHUTZ – VERWECHSLUNGSGEFAHR

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die Firma ist der Namen des Unternehmens. Bei dessen Bildung sind verschiedene Gesetzesbestimmungen zu beachten. So muss der Inhalt der Firma der Wahrheit entsprechend, darf keine Täuschungen verursachen und keinem öffentlichen Interesse widersprechen (Art. 944 Abs. 1 OR). Darüber hinaus bestimmt Art. 951 OR, dass sich die Firma einer Handelsgesellschaft (insb. AG, GmbH, KolG, KomG) oder einer Genossenschaft von allen in der Schweiz bereits eingetragenen Firmen von Handelsgesellschaften und Genossenschaften deutlich unterscheiden muss.

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Ist dies nicht der Fall, kann der Inhaber der älteren Firme wegen Verwechslungsgefahr auf Unterlassung des Gebrauchs der jüngeren Firma klagen (Art. 956 Abs. 2 OR). 

I. KRITERIEN ZUR DEUTLICHEN UNTERSCHEIDBARKEIT

Die Praxis hat unterschiedliche Kriterien entwickelt, nach welchen die deutliche Unterscheidbarkeit zweier sich gegenüberstehender Unternehmen beurteilt werden kann. Ob sich zwei Firmen deutlich unterscheiden, bestimmt sich immer nach dem Gesamteindruck, den sie bei einer normal unterscheidungsfähigen Person hinterlassen. Dabei müssen die Firmen nicht nur bei unmittelbarer Gegenüberstellung deutlich voneinander zu unterscheiden sein, sondern auch in der Erinnerung auseinandergehalten werden können. Dabei bleiben starke, kennzeichnungskräftige Firmenbestandteile, wie reine Fantasiebezeichnungen bzw. Wortneuschöpfungen, eher im Gedächtnis haften als kennzeichnungsschwache Elemente, wozu insbesondere für das Unternehmen beschreibende Inhalte, wie Hinweise auf die Tätigkeit oder die Rechtsform, oder gemeinfreie Sachbezeichnungen gehören. Zur Beurteilung der Ähnlichkeit werden die sich gegenüberstehenden Firmen in Schriftbild, Klang, Stellung und Sinngehalt miteinander verglichen. Grundsätzlich gilt, dass je geringfügiger die gesetzlichen und regulatorischen Auflagen zur Firmenbildung sind, desto höher die Anforderungen an die Unterscheidbarkeit gegenüber älteren Firmen. Handelsgesellschaften und 

Genossenschaften können ihre Firma grundsätzlich frei wählen, weshalb das Bundesgericht bisher an deren Unterscheidbarkeit im Allgemeinen strenge Anforderungen stellt. Weiter bestanden bisher besonders hohe Anforderungen an die Unterscheidbarkeit, wenn zwei Unternehmen ihren Sitz in der gleichen Region haben, in der gleichen Geschäftsbranche / mit dem gleichen Zweck tätig sind, sich an denselben Kundenkreis richten oder die Unternehmen im Allgemeinen in einem Wettbewerbsverhältnis stehen.

Zur fehlenden Unterscheidbarkeit genügt die blosse Verwechslungsgefahr. Verlangt werden nicht tatsächlich eingetretene Verwechslungen, sondern es reicht aus, wenn die Firma eines Unternehmens für die eines anderen gehalten wird (sog. unmittelbare Verwechslungsgefahr) oder bei einem Aussenstehenden fälschlicherweise der Eindruck entsteht, die betreffenden Unternehmen seien wirtschaftlich oder rechtlich miteinander verbunden (sog. mittelbare Verwechslungsgefahr). Dabei sollen die firmenrechtlichen Schutzbestimmungen aber nur jene Verwechslungen verhindern, denen die normal unterscheidungsfähige Person mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit unterliegt.

II. KENNZEICHNUNGSKRAFT DER FIRMA

Das Gericht prüft die Verwechslungsgefahr im Einzelfall nach Recht und Billigkeit. Dabei kommen die vorstehend erwähnten Kriterien zur Anwendung. Besonderen Wert ist aber auf die Unterscheidbarkeit der Firmenkerne zu legen. Ist der Kern der älteren Firma schwach, also beispielsweise eine rein beschreibende Sachbezeichnung, so genügen bereits geringfügige Abweichungen bzw. Zusätze bei jüngeren Firmen, um eine Verwechslungsgefahr auszuschliessen. Das Bundesgericht rechtfertigt dies damit, dass allgemeine Sachbegriffe zum Gemeingut gehören würden und deshalb nur eine sehr geringe Kennzeichnungskraft hätten. Ist der Firmenkern hingegen besonders stark und besteht bspw. aus einer Wortneuschöpfung / einer reinen Fantasiebezeichnung, so kann eine fehlende Unterscheidbarkeit in den Firmenkernen nicht allein durch die Hinzufügung schwacher Elemente kompensiert werden. Das Bundesgericht begründet dies damit, dass wenig kennzeichnungskräftige Firmenbestandteile den Gesamteindruck nicht entscheidend zu prägen vermögen, weshalb sie für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr ohnehin nur von untergeordneter Bedeutung seien. Bestehen die Kerne der zu beurteilenden Firmen also aus identischen oder sehr ähnlichen Fantasiebezeichnung und haben als Zusatz zwar unterschiedliche, aber einfache Sachbezeichnungen, wie bspw. «Kanalreinigung» oder «Informatikservice», so ist im Wesentlichen die Unterscheidbarkeit der Fantasiebezeichnungen und nicht die der Sachbezeichnungen zu beurteilen. 

III. ABGRENZUNG: IDENTISCHE FIRMEN

Das Handelsregisteramt prüft nicht, ob eine neu einzutragende Firma einer älteren, bereits länger bestehenden Firma ähnlich ist. Es ist folglich ein Trugschluss, dass keine firmenrechtlichen Bestimmungen verletzt worden sein sollen, wenn die Firma in das Handelsregister eingetragen worden ist. Im Sinne des öffentlichen Interesses und des Schutzes vor einer offensichtlichen Verwechslungsgefahr prüft das Handelsregisteramt in Bezug auf die Unterscheidbarkeit von Firmen nämlich nur, ob bereits identischeFirmen eingetragen worden sind. Bereits geringfügige Abweichungen von einer älteren Firma reichen aber aus, damit die neue Firma dennoch rechtmässig eingetragen werden kann. Weiter geht die Kognition des Handelsregisterführers bezüglich der Beurteilung einer allfälligen Verwechslungsgefahr nicht. 

IV. JÜNGSTE ENTWICKLUNGEN

Im September 2019 musste das Bundesgericht jüngst über die Verwechselbarkeit vierer Firmen von international ausgerichteten Unternehmen urteilen. Konkret klagten Archroma Management GmbH, Archroma IP GmbH und Archroma Consulting Switzerland GmbH gegen das jüngere Unternehmen, die accroma labtec AG. Die Unternehmen konkurrenzierten sich nicht unmittelbar, liegen aber in einem Umkreis von lediglich 10 km. Das Bundesgericht führte bezüglich der Unterscheidbarkeit der sich gegenüberstehenden Handelsgesellschaften aus, dass insbesondere die Firmenkerne, «Archroma» und «accroma», aufgrund deren Fantasiegehalt beim allgemeinen Publikum in Erinnerung bleiben würden. Die englischsprachigen Zusätze «Management», «IP», «Consulting Switzerland» und «labtec» seien weitgehend als beschreibend zu qualifizieren, womit sie nur von geringer Kennzeichnungskraft seien. Sie sind damit lediglich von geringer Bedeutung. 

Die Firmenzusätze würden sodann den Schluss zulassen, dass auch die Firmenbestandteile «Archroma» und «accroma» englisch auszusprechen seien, womit bei deren Aussprache erhebliche Unterschiede bestehen würden. Sie würden sich damit im Klang eindeutig voneinander abheben. Die Abweichungen am Wortanfang (Archroma und accroma) würden auch einen erheblichen Unterschied im Schriftbild machen – dies insbesondere auch unter Berücksichtigung der Gross- und Kleinschreibung. Damit stimme bei den sich gegenüberstehenden Firmen lediglich der Bestandteil «roma» überein, währenddem sich die Zusätze und die Wortanfänge deutlich voneinander unterscheiden würden. Die geographische Nähe der Unternehmen (10 km) führe darüber hinaus nicht zu einer erhöhten Verwechslungsgefahr, zumal sie ihren Sitz nicht am gleichen Ort hätten und nicht in einem konkurrenzierenden Verhältnis stünden. Schlussendlich kam das Bundesgericht zum Schluss, dass sich die Firmen deutlich voneinander unterscheiden würden und damit keine Verwechslungsgefahr bestehe (vgl. BGer 4A_170/2019 vom 24. September 2019). 

V. FAZIT

Die Anforderungen an die Unterscheidbarkeit von Firmen von Handelsgesellschaften und Genossenschaften waren bisher als hoch einzustufen. Mit dem jüngsten Entscheid des Bundesgerichts ist nun fraglich, ob die Tendenz des Bundesgerichts in Richtung Lockerung der Anforderungen an die deutliche Unterscheidbarkeit von Firmen geht – insbesondere wenn es sich nicht um unmittelbare Konkurrenzunternehmen handelt. Dies dürfte wohl auch mit der vermehrten Dichte an schweizerischen Unternehmen und dem zunehmenden internationalen Handel zusammenhängen. Jedenfalls hätte das Bundesgericht im jüngsten Fall einer firmenrechtlichen Auseinandersetzung m.E. auch ohne Weiteres anders entscheiden und damit eine deutliche Unterscheidbarkeit verneinen können. Der Entscheid des Bundesgerichts ist dennoch mit Vorsicht zu geniessen; schlussendlich zählt immer der Einzelfall! Bei der Gründung eines neuen Unternehmens ist man also (zumindest aus rechtlicher Sicht) nach wie vor gut beraten, wenn die Firma keine (oder wenigstens nicht nur) Sachbezeichnungen, sondern einen möglichst hohen Fantasiegehalt aufweist. Abschliessend ist darauf hinzuweisen, dass bei der Bildung einer neuen Firma nicht nur das Handelsregister konsultiert werden sollte, sondern auch nationale und internationale Markenregister auf ähnlich lautende Kennzeichen geprüft werden sollte. Ansonsten droht dem Träger der neuen Firma eine Klage gestützt auf das Markenschutzgesetz (MSchG) oder das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).


8. Januar 2020 / MLaw Simone Küng,




HOLDINGGESELLSCHAFT – IN WELCHEN FÄLLEN MACHT DAS HOLDINGKONSTRUKT SINN?

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin

lic. iur. Patricia Geissmann, Rechtsanwältin mit CAS M&A and Corporate Law bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Die Gründung einer Holdinggesellschaft mit dem Zweck, mehrere Beteiligungen unter einer Hand zu halten, kann in vielen Fällen sinnvoll. Es ist allerdings ein verbreiteter Irrglaube, dass sich die Gründung einer Holding in jedem Fall lohnt, sobald eine Einzelperson oder eine Personengruppe mehrere Beteiligungen hält oder erwirbt. Nachfolgend sollen einzelne Fälle aufgezeigt werden, in welchen die Gründung einer Holdinggesellschaft vorteilhaft bzw. eben gerade nachteilig sein kann, wobei die Auflistung dieser Fälle nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt und die Vor- und Nachteile in jedem Fall im Einzelnen näher geprüft werden müssen.

I. EINLEITUNG

Eine Holdinggesellschaft ist eine juristische Person mit eigener Rechtspersönlichkeit, die meistens in Form der Aktiengesellschaft (AG) oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) existiert und als hauptsächlichen Zweck das Halten und Verwalten von Beteiligungen an anderen Gesellschaften aufweist. Aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive ist die Holdinggesellschaft damit denselben gesetzlichen Regelungen unterworfen wie jede andere (operativ tätige) AG oder GmbH mit Sitz in der Schweiz. Steuerlich profitieren Holdinggesellschaften in gewissem Mass von Vorteilen, was durchaus ein Argument für deren Gründung bilden kann. Indes sollte man sich nicht einzig von diesem Aspekt leiten lassen, zumal Steuervorteile die Nachteile, welche sich aufgrund der Existenz einer Holding ergeben können – und die sich auch finanziell niederschlagen können –, nicht in jedem Fall überwiegen.

II. VOR- UND NACHTEILE EINER HOLDINGGESELLSCHAFT

Wie bereits einleitend festgehalten, wird – wohl dadurch begründet, dass das sog. steuerliche «Holdingprivileg» ein weitaus bekannter Begriff ist – oftmals die irrtümliche Meinung vertreten, die Gründung einer Holdinggesellschaft mache in jedem Fall Sinn, sobald mehrere Beteiligungen in einem Gefäss gehalten werden sollen. Nebst der Tatsache, dass das sog. «Holdingprivileg» (gemeint ist die privilegierte Besteuerung bei Gewinn- und Kapitalsteuer) ab Januar 2020 abgeschafft wird (wobei der Beteiligungsabzug jedoch bestehen bleibt), gibt es eine Vielzahl weiterer Aspekte, welche im Einzelfall bei der Abwägung für oder gegen die Gründung einer Holdinggesellschaft in Betracht gezogen und genauer untersucht werden sollten.

Fälle, in welchen eine Holdingstruktur sinnvoll sein kann (Auswahl):

a) Holding als Dividendengefäss oder «Renten-Portmonee»

Für die Begründung einer Holdingstruktur kann die Absicht der Aktionäre sprechen, einerseits die operativ tätige(n) Tochtergesellschaft(en) schlank zu halten (aus welchen Gründen auch immer) und somit die jährlichen Gewinne regelmässig auszuschütten, und andererseits aber auch, zu verhindern, dass diese Gewinnerträge ins Privatvermögen der Aktionäre fliessen und bisweilen hohe Steuern (ggf. aufgrund einer Progressionsbesteuerung) bewirkt. Wird zwischen Aktionär(en) und Gesellschaft eine Holdinggesellschaft zwischengeschaltet, können die Gewinne der Tochtergesellschaften vollumfänglich ausgeschüttet werden und fliessen dennoch nicht in das Vermögen der Aktionäre als natürliche Personen. Eine allfällige Steuerprogression kann damit in Schach gehalten werden. Gleichzeitig stehen die in der Holdinggesellschaft sozusagen zwischengelagerten Erträge zu einem späteren Zeitpunkt, bspw. wenn eine Tochtergesellschaft auf finanzielle Unterstützung angewiesen sein sollte oder wenn der Erwerb einer weiteren Beteiligung zur Debatte steht, wieder vollumfänglich zur Verfügung. Die Tatsache, dass die Dividendenausschüttung an die Holding im Rahmen des Beteiligungsabzuges privilegiert (resp. praktisch nicht) besteuert wird, was bei der Ausschüttung an eine natürliche Person nicht der Fall wäre, hat den zusätzlichen Vorteil, dass für eine solche Investition nicht Geld aufgewendet werden muss, das schon einmal der Einkommensbesteuerung unterlegen war.

Im gleichen Rahmen kann die Holdinggesellschaft auch als sog. «Renten-Portmonee» dienen, von welchem die Aktionäre dann Gebrauch machen können, wenn mit zunehmendem Alter die Erträge aus Arbeitserwerb kleiner werden oder ganz wegfallen. Mittels Dividendenausschüttungen kann dann zu einem späteren Zeitpunkt die Altersrente aus dem «Renten-Portmonee» aufgebessert werden. Diese Ausschüttungen unterliegen dann selbstver- ständlich der ordentlichen Dividendenbesteuerung.

b) Tochtergesellschaft schlank halten

Wie bereits angesprochen kann aber auch einzig die Absicht, die Tochtergesellschaft(en) schlank zu halten, für die Begründung eines Holdingkonstrukts sprechen. Motivation für die Verschlankung einer Gesellschaft kann beispielsweise die Absicht sein, die Gesellschaft in naher Zukunft zu verkaufen. Wenn der Kaufpreis dann aufgrund von finanzträchtigen Vermögenswerten (bspw. einer nicht betrieblichen Liegenschaft) sehr hoch ausfallen würde, dürfte dies die Suche nach einem Käufer erschweren. Ebenfalls kann die Absicht bestehen, gewisse Vermögenswerte (bspw. wiederum eine Liegenschaft) vor dem Risiko, welches mit dem operativen Geschäftsalltag der Gesellschaft inhärent verbunden ist, zu schützen. In diesen Fällen macht es durchaus Sinn, die Vermögenswerte in separaten Schwestergesellschaften voneinander zu trennen (bspw. durch Überführung des Betriebsteils in eine separate Ge- sellschaft) und diese beiden Beteiligungen neu in einer Holding zu bündeln. Gerade im Fall einer beabsichtigten Veräusserung einer Gesellschaft muss indes davor gewarnt werden, dass dann der steuerfreie Kapitalgewinn gefährdet sein kann (vgl. dazu die nachfolgenden Ausführungen).

c) Erwerb einer Beteiligung mittels Akquisitionsholding

Beabsichtigt eine natürliche Person (oder eine Personengruppe gemeinsam) den Erwerb einer Gesellschaft, deren Kaufpreis mittels Drittdarlehen finanziert werden soll, steht die Gründung einer Akquisitionsholding, welche als Käufergesellschaft auftritt, im Fokus. Die Akquisitionsholding ist für den Darlehensgeber (oftmals eine Bank) in der Regel attraktiver, da die Amortisierung des Darlehens häufig durch zukünftig resultierende Gewinne und zudem innert einer Frist von 5-7 Jahren erfolgen soll. Aufgrund des bereits erwähnten Beteiligungsabzugs werden die Dividendenausschüttungen zugunsten der Akquisitionsholding praktisch nicht besteuert, was bei Ausschüttung an eine natürliche Person nicht der Fall wäre. Dies bringt den Vorteil der schnelleren Amortisation des Drittdarlehens.


Nachteile des Holdingkonstrukts (Auswahl):

a) Erhöhter Administrativaufwand

Bei der Holdinggesellschaft handelt es sich wie erwähnt um eine Gesellschaft schweizerischen Rechts, die denselben gesellschaftsrechtlichen Anforderungen unterliegt, wie eine operativ tätige Gesellschaft mit Sitz in der Schweiz. Auch die Holdinggesellschaft gilt es vorab zu gründen, was mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Weiter bedarf sie einer Buchführung, hat jährliche Abschlüsse und Steuererklärungen zu erstellen, zur Generalversammlung einzuladen etc. Der damit verknüpfte Administrativaufwand wird häufig ausser Acht gelassen, mit der Folge, dass auch den Aufgaben, die solchen Aufwand auslösen, zu wenig Beachtung geschenkt wird.

b) Verlust des steuerfreien Kapitalgewinns

Wesentlicher Faktor bei der Entscheidung, ob eine Beteiligung durch eine (ggf. sogar eigens dafür gegründete) Holdinggesellschaft erworben werden soll oder nicht, sollte auch die Entscheidung bilden, ob die Beteiligung zu einem späteren Zeitpunkt verkauft werden soll oder nicht. Sobald die Möglichkeit des Verkaufs besteht, sollte unbedingt in Betracht gezogen werden, dass der Kaufpreis, der bei einem Verkauf realisiert werden kann, nur dann steuerfrei ist, wenn er an eine natürliche Person bezahlt wird, sprich wenn eine natürliche Person als Verkäuferin auftritt. Verkauft eine Holdinggesellschaft eine Tochtergesellschaft, fliesst der Kaufpreis in die Holdinggesellschaft, wo er nur via steuerpflichtige Dividendenausschüttung an die Aktionäre als natürliche Personen fliessen kann. Aufgrund des zukünftigen Wegfalls des Holdingprivilegs wird bei der Holdinggesellschaft zudem Gewinn- und Kapitalsteuer anfallen. Gehört die Beteiligung einer Tochtergesellschaft einmal einer Holding, kann der steuerfreie Kapitalgewinn aus dem Verkauf der Gesellschaft nur noch dann realisiert werden, wenn die Holding selbst verkauft wird. Dies wird aber nur dann realistisch sein, wenn es sich bei der Tochtergesellschaft um die einzige Beteiligung handelt oder aber gleich mehrere Tochtergesellschaften gemeinsam veräussert werden sollen und vom Käufer auch gemeinsam erworben werden wollen. Zudem sollte auch in Betracht gezogen werden, dass ein Käufer nicht unbedingt den Kauf eines Holdingkonstrukts anstrebt. Dies insbesondere dann nicht, wenn der Käufer seinerseits auf die Gründung einer Akquisitionsholding angewiesen ist und die eigentlich interessierende Beteiligung sodann letztlich über zwei Zwischengesellschaften gehalten werden müsste. Einen Doppelstock (bestehend aus Tochter und Holding) zu verkaufen, ist in der Praxis daher häufig weniger attraktiv und kann sich auch auf den Kaufpreis niederschlagen. Aufgrund von steuerlichen Sonderbestimmungen ist es dem Käufer zumal oftmals nicht anhin gestellt, den Doppelstock kurzerhand zu fusionieren.

III. FAZIT

Es gibt diverse Gründe, die für oder gegen die Gründung einer Holdinggesellschaft sprechen. Klar ist, dass sich die Aktionäre einer oder mehrerer Beteiligungen nicht nur das allseits bekannte Holdingprivileg (im Sinne der privilegierten Gewinn-/Kapitalbesteuerung) im Fokus haben sollten – zumal dieses Privileg per 01.01.2020 abgeschafft wird. Je nachdem, welche Absichten hinter der Gründung einer Holding stehen, kann das durchwegs Sinn machen oder eben nicht. Ein Aktionär wird damit nicht umhinkommen, den Einzelfall professionell und in Abwägung aller Vor- und Nachteile und Besonderheiten beurteilen zu lassen und in Anbetracht dieses Ergebnisses zu entscheiden, ob die Gründung einer Holdinggesellschaft sinnvoll ist oder nicht.


6. November 2019 / lic. iur. Patricia Geissmann




ZUSTÄNDIGKEIT UND FRIST ZUR EINTRAGUNG DES BAUHANDWERKER- PFANDRECHTS

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin

MLaw Kim Attenhofer, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Das Bauhandwerkerpfandrecht ist den meisten Unternehmern in der Baubranche ein Begriff. Dennoch – so zeigt die Praxis – stellt die korrekte und rechtzeitige Eintragung für viele KMUs eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.

Nachfolgend werden die zentralen Punkte, die bei der Stellung des Gesuches um Eintragung unbedingt beachtet werden müssen, kurz erläutert.

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I. GRUNDSÄTZLICHES ZUM BAUHANDWERKERPFANDRECHT

Das Bauhandwerkerpfandrecht gibt Bauhandwerkern ein gesetzliches Pfandrecht an demjenigen Grundstück, an dem er gearbeitet hat. Es dient der Sicherung der Werklohnforderung. Die beklagte Partei ist immer die Grundeigentümerin, wobei es keine Rolle spielt, wer dem Handwerker den Auftrag erteilt hat.

Damit ein Bauhandwerkerpfandrecht eingetragen werden kann, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Zum einen sind nur Handwerker und Unternehmer zur Eintragung berechtigt, die Material und Arbeit oder Arbeit allein geliefert haben. Zum anderen darf keine andere hinreichende Sicherheit, wie zum Beispiel eine Bankgarantie, zur Sicherung der Forderung vorliegen. Sodann muss die Eintragung ins Grundbuch innert vier Monaten erfolgt sein. Auf den letzten und vermutlich heikelsten Punkt wird hiernach eingegangen.

II. FRIST ZUR EINTRAGUNG

Wie oben erwähnt, beträgt die Frist zur Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts vier Monate seit Vollendung der Arbeiten. Die Arbeiten sind vollendet, wenn alle Verrichtungen, die Gegenstand des Vertrags sind, ausgeführt sind. Geringfügige Arbeiten und Ausbesserungen sind zur Beurteilung des Zeitpunktes des Abschlusses der Arbeiten nicht relevant. Innerhalb der vier Monate muss die Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts im Grundbuch erfolgt sein. Die Gesuchstellung beim Gericht innerhalb der Frist allein reicht nicht aus. Es empfiehlt sich daher, das Gesuch frühzeitig und spätestens einige Tage vor Ablauf der Frist zu stellen, damit das Gericht ausreichend Zeit hat und die Eintragung rechtzeitig erfolgen kann. Ist die viermonatige Frist verstrichen, ist das Recht auf Eintragung ein für alle Mal verwirkt.

III. ZUSTÄNDIGKEIT ZUR EINTRAGUNG

Für die Eintragung zuständig ist das Gericht am Ort, an dem das betroffene Grundstück im Grundbuch aufgenommen ist (Art. 29 Abs. 1 lit. c ZPO).

Ein vorgängiges Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsbehörde entfällt beim Gesuch um Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts. Somit ist das Gesuch beim erstinstanzlichen Bezirksgericht oder aber – bei erfüllten Voraussetzungen (vgl. hiernach) – beim Handelsgericht einzureichen.

Handelt es sich um eine handelsrechtliche Streitigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 2 ZPO und verfügt der betroffene Kanton über ein Handelsgericht (Aargau, Bern, St. Gallen und Zürich), muss das Gesuch an das Handelsgericht gerichtet werden. Eine handelsrechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die geschäftliche Tätigkeit mindestens einer Partei betroffen ist, gegen den Entscheid die Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht zulässig ist, d.h. der Streitwert und somit die offene Werklohnforderung mindestens CHF 30’000.00 beträgt, und beide Parteien im Han- delsregister eingetragen sind. Ist nur die beklagte Partei im Handelsregister eingetragen, hat die klagende Partei die Wahl zwischen dem Bezirks- und dem Handelsgericht.

Es ist wichtig, dass das Gesuch innert Frist beim zuständigen Gericht eingereicht wird. Man darf sich nicht darauf verlassen, dass ein unzuständiges Gericht das Gesuch an das zuständige Gericht weiterleitet. Zudem geht durch die Einreichung beim unzuständigen Gericht – auch wenn das Gesuch an das zuständige Gericht weitergeleitet wird – wertvolle Zeit verloren, was bei der kurzen Frist zur Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts dazu führen kann, dass das Recht auf Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts verwirkt und das Pfandrecht nicht mehr eingetragen werden kann.


29. Oktober 2019 / Kim Attenhofer




VERKAUF VON AXPO – EIN FALL FÜR DIE LEX KOLLER?

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt

Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden
Dr. iur. Hanspeter Geissmann, Rechtsanwalt

I. AUSGANGSLAGE

Aktuell wird in der Presse über eine mögliche neue Axpo-Strategie berichtet. Der über 100 Jahre alte Gründungsvertrag soll per Anfang 2021 durch einen neuen Aktionärbindungsvertrag und eine neue Eignerstrategie ersetzt werden, welche den Eigentümern (Kantone und kantonale Werke) als Aktionären mehr Freiheit bringen würde. Zudem sollen auch die Statuten abgeändert werden. Gemäss heute geltendem Gründungsvertrag dürfen die Beteiligten ihre Anteile nicht an Dritte verkaufen. Es besteht offenbar der weit verbreitete Wunsch verschiedener Aktionäre, dass längerfristig die Möglichkeit geschaffen wird, ihre Anteile verkaufen zu können. Dies soll im neuen Vertragswerk, jedoch teils mit längeren Übergangsfristen, verwirklicht werden. Offenbar ist vorgesehen, dass während einer Frist von 5 Jahren für die Aktionäre noch ein Veräusserungsverbot der Aktien gilt, und dass nach Ablauf dieser Frist noch mindestens 51 % der Aktien in den Händen der bisherigen Aktionäre verbleiben müssen. Offenbar ist diese vorgesehene Regelung aber nur für eine Laufzeit von 8 Jahren angelegt und würde nach Ablauf dieser 8 Jahre dahinfallen (ausser es würde eine neue Regelung vereinbart). Somit könnte die Möglichkeit bestehen, dass die Aktien nach Ablauf von 8 Jahren frei an Dritte veräussert werden könnten – entsprechende Dritte könnten durchaus auch Ausländer sein.

In verschiedenen Kantonen gibt es dazu Opposition, wobei die beiden Parteien SVP und SP an vorderster Front tätig sind. Diese richtet sich vor allem gegen eine freie Verkäuflichkeit von Anteilen an Axpo – vor allem deshalb, weil damit auch die Möglichkeit (oder die Gefahr?) verbunden ist, dass eher unbeliebte ausländische Käufer Axpo übernehmen könnten. Was ist von diesen Befürchtungen zu halten?

II. HINTERGRUND

Es stellt sich tatsächlich die Frage, ob es richtig bzw. sinnvoll oder im Gegenteil sogar gefährlich ist, wenn zentrale Infrastrukturen unseres Landes wie z.B. Stromerzeugungsanlagen, Stromverteilungsnetze, Infrastrukturen bezüglich Wasser wie etwa Quellen, Wasserverteilungsnetze etc. an ausländische Eigentümer übergehen können. Damit ist der Kreis der «heiklen» bzw. für unser Land zentralen Infrastrukturanlagen nicht abschliessend definiert. Der Gedanke, dass die schweizerische Wasserversorgung, die schweizerische Stromversorgung etc. in ausländischen Händen sein könnten, macht Unbehagen bzw. löst sogar in gewissen (allenfalls grossen?) Kreisen so etwas wie Angst aus, die nicht einfach negiert werden kann, sondern bei den weiteren Entscheidungen in diesem Zusammenhang mitberücksichtigt werden muss. Das Gegenargument, das man etwa hört, geht in etwa in die Richtung, dass auch ein ausländischer Eigentümer bzw. ein ausländischer Investor sich nach den gängigen ökonomischen Regeln verhalten würde und es ihm deshalb sicher nicht in den Sinn käme, sein Eigentum (bzw. die entsprechende Infrastruktur) nicht möglichst gut und nachhaltig zu unterhalten oder entsprechende Infrastrukturen sogar gegen unser Land einzusetzen. Wir leben heute in einem relativen Frieden – ob dieser Friede so sicher ist, bleibe einstweilen dahingestellt. Die Vorstellung allerdings, dass sich in einer unfriedlichen Zeit die schweizerischen Behörden mit ausländischen Eigentümern zentraler schweizerischer Infrastrukturwerke auseinandersetzen müssten, die einem Land angehören, das im Moment mit der Schweiz nicht im friedlichsten Einvernehmen steht, trägt nicht gerade zur Beruhigung bei – im Gegenteil. Solche zentralen Infrastrukturen könnten auch als Druck- bzw. Erpressungsmittel eingesetzt werden, und diese Aussicht ist nicht sehr erfreulich.

III. ANWENDUNGSFALL DER LEX KOLLER

Was hat dies alles mit der Lex Koller zu tun? – Vielleicht gar nicht so wenig. Tatsache ist, dass gemäss heutiger Fassung der Lex Koller der Verkauf solcher Infrastrukturen an ausländische Eigentümer ohne weiteres und bewilligungsfrei zulässig ist. Dass diese ausländischen Käufer auch Staaten sein können, ist selbstverständlich. Solche Anlagen fallen unter den Begriff der Betriebsstätte, und der Erwerb von Betriebsstätten ist gemäss Artikel 2 Abs. 2 lit.a BewG für jedermann, also auch für jeden Ausländer, bewilligungsfrei zulässig. Vor gut zwei Jahren gab es ernstgemeinte Bestrebungen, die Lex Koller massgeblich zu revidieren (verschärfen). Ein Vorentwurf des Bundesrates wurde in die Vernehmlassung gegeben, blieb dann allerdings in der Schublade liegen und wurde nicht weiterbearbeitet. Auch in diesem Vorentwurf sowie in den Erläuterungen dazu fanden sich diverse Aussagen, dass auch der freie Erwerb von Betriebsstätten eingeschränkt werden könnte. Auch bei anderer Gelegenheit in den letzten Jahren fanden sich Stimmen in der Politik, dass der bewilligungsfreie Verkauf von Betriebsstätten-Grundstücken an Ausländer aufgehoben werden solle und stärker reglementiert werden müsse. Erinnert sei auch an die parlamentarische Initiative von Nationalrätin Jacqueline Badran aus dem Jahr 2016, welche zum Inhalt hat, dass der Erwerb strategischer Infrastrukturen der Energiewirtschaft (namentlich die Wasserkraftwerke, die Stromnetze und die Gasnetze) der Lex Koller unterstellt werden sollen. Diese Initiative hat bereits in einigen Kommissionen eine sehr grosse Zustimmung erfahren. Und immer bei diesen Bestrebungen fand sich auch das Argument, dass die Gefahr bestehe, dass gerade für die Versorgung unseres Landes zentrale Infrastrukturanlagen in dem Sinne gesichert werden müssen, dass sie nicht in ausländische Hand übergehen können.

IV. FAZIT

Von daher liegt es auf der Hand, dass eine Lockerung des «Axpo-Statuts» dahingehend, dass entsprechende Anteile frei an Ausländer verkauft werden könnten, mit absoluter Garantie zur Forderung führen würde, dass man dann eben die Lex Koller verschärfen müsse.

Ich meine, dass es durchaus legitim ist, sich die Frage zu stellen, ob es in unserem Land derart zentrale Infrastrukturanlagen gibt, bei denen dafür gesorgt sein müsste, dass sie nicht in ausländische Hand übergehen können. Wenn das Ergebnis dieser Diskussion ist, dass entsprechende Infrastrukturanlagen nicht in ausländische Hand kommen sollen, dann ist die Lex Koller allerdings das falsche Mittel, um dies umzusetzen. Die Beschränkung des Erwerbs von Grundstücken durch Personen im Ausland hat den Zweck, die Überfremdung des einheimischen Bodens zu verhindern (vergleiche Art. 1 BewG). Bei der vorliegend thematisierten Frage geht es um andere Zwecke, die etwa so umschrieben werden könnten, dass für unser Land zentrale Infrastrukturanlagen nicht in ausländische Hand fallen sollen, weil damit eine Gefahr für die Sicherheit unseres Landes und deren Bevölkerung verbunden sein könnte, weil entsprechende Anlagen zur politischen Einflussnahme oder gar als Erpressungsmittel eingesetzt werden könnten, was die Souveränität unseres Staates beeinträchtigen könnte. Dies hat mit Überfremdung des einheimischen Bodens nichts zu tun. Aus diesem Grund wäre die Lex Koller genau das falsche Mittel, um hier einzugreifen – im Gegenteil müsste die Politik darauf auf anderem (allenfalls gesetzlichem?) Weg eine Antwort finden, welche spezifisch auf diese Problematik reagieren würden. Es müsste ganz klar und eindeutig definiert werden, welche Infrastrukturen davon betroffen wären, und wie ein entsprechender Schutz auszusehen hätte.


29. Oktober 2019 / Hanspeter Geissmann




VERTIKALE PREISABREDEN (ART. 5 ABS. 4 KG)

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin unter Mithilfe von MLaw Sarah Stirnemann

MLaw Simone Küng, Rechtsanwältin bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden

Zu den unzulässigen Wettbewerbsabreden gehören u.a. vertikale und horizontale Preisabreden. Sie gelten als besonders wettbewerbsschädlich und werden von der Wettbewerbskommission der Schweiz (Weko) geahndet. Stein des Anstosses ist in der Regel eine vertragliche Vereinbarung zwischen Marktteilnehmern, in welcher sie sich zur Einhaltung von Mindestpreisen bzw. festen Wiederverkaufspreisen verpflichten. In solchen Fällen drohen den Unternehmen hohe Bussen, die bis zu 10 % des in den letzten drei (!) Geschäftsjahren in der Schweiz erzielten Umsatzes erreichen können (Art. 49a Abs. 1 des Kartellgesetzes [kurz: KG]).

I. VERTIKALE UND HORIZONTALE WETTBEWERBSABREDEN

Art. 5 Abs. 3 und 4 KG sieht als unzulässige Wettbewerbsbeschränkungen sowohl die vertikale als auch die horizontale Wettbewerbsabrede vor. Unter einer horizontalen Abrede versteht man eine Abrede zwischen Unternehmern gleicher Marktstufe und damit zwischen aktuellen oder potenziellen Konkurrenten. Eine vertikale Abrede kann hingegen nur zwischen Unternehmern unterschiedlicher Markstufen vorliegen, d.h. die Unternehmer stehen in einer Nachfrager-Anbieter-Beziehung. Beide Arten von Wettbewerbsabreden sind widerrechtlich und gehören zu den sog. «harten Kartellen». Sie werden aufgrund ihrer (erfahrungsgemäss) stark negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb als besonders schädlich erachtet und von der Weko entsprechend streng beurteilt.

II. FESTLEGUNG VON MINDEST- ODER FESTPREISEN

Die vertikale Preisabrede (oder auch Preisfestsetzung zweiter Hand genannt) setzt eine Absprache der Marktteilnehmer über die Wiederverkaufspreise voraus. Hierbei kann es sich um Mindest- oder Festpreise handeln. D.h., dem Marktteilnehmer muss die Möglichkeit genommen werden, seinen Verkaufspreis selbst festzulegen. Dies kann auch nur ein einzelnes Preiselement des Wiederverkaufspreises betreffen, sofern es schlussendlich zu einer preisharmonisierenden Wirkung auf dem Markt führt.

Was vielen Marktteilnehmern nicht bewusst sein dürfte, ist der Umstand, dass nicht nur direkte Preisabreden (wie bspw. eine Liste mit einzuhaltenden Mindest- oder Fixpreisen) als unzulässig erachtet werden, sondern auch indirekte Preisabreden, die u.a. Rabattgewährungen bei Einhaltung eines bestimmten Preisniveaus oder Abreden über Höchstrabatte, die die Wiederverkäufer zu beachten haben, beinhalten können. Auch einfache Preisempfehlungen, die sich durch Gewährung von Anreizen schlussendlich wie eine Abrede von Verkaufspreisen auswirken, können den Wettbewerb verzerren und sind verboten. Grundsätzlich unbedenklich sind unverbindliche Preisempfehlungen, die explizit als solche bezeichnet werden und nicht durch Druckausübung oder mit Gewährung von (finanziellen) Anreizen seitens des Herstellers durchgesetzt werden sollen.

Die Abredebeteiligten müssen zudem aus freien Stücken bewusst und gewollt zusammenwirken, wobei die Abrede eine Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken soll. Die Wettbewerbsabrede muss nicht zwingend in einem Vertriebsvertrag festgehalten werden. In Frage kommt jede Art von Vertrag oder auch eine Kommunikation per Email / Fax oder nur eine mündliche Mitteilung über einen Aussendienstmitarbeiter.

III. VERMUTUNG DER WETTBEWERBSBESEITIGUNG BEI VERTIKALEN PREISABREDEN

Im Kartellrecht wird i.d.R. einzelfallbezogen geprüft, ob die spezifischen Handlungen der Parteien einen relevanten Einfluss auf den Wettbewerb haben und diesen dadurch in unzulässiger Art und Weise beeinflussen (geprüft wird der relevante Markt sowie das Ausmass bzw. die Erheblichkeit der durch die Marktteilnehmer begangenen Wettbewerbsbeschränkung). Anders ist dies bei «harten Kartellen»: In diesen Fällen wird – vereinfacht gesagt – nur geprüft, ob ein hartes Kartell vorliegt oder nicht. Ist der Tatbestand eines harten Kartells erfüllt, so wird von Gesetzes wegen davon ausgegangen, dass der freie Wettbewerb durch die Beteiligten wirksam beseitigt werde. Die vertikale Preisabrede stellt ein solch hartes Kartell dar. Wurde zwischen den Unternehmern unterschiedlicher Marktstufen also eine Absprache über Mindest- oder Fixpreise getroffen, so geht das Gesetz davon aus, dass eine wirksame Wettbewerbsbeseitigung vorliegt. Diese Vermutung kann widerlegt werden, indem nachgewiesen wird, dass trotz der Wettbewerbsabrede noch genügend Wettbewerb besteht (vgl. nachstehend).

IV. RESTWETTBEWERB – WIDERLEGUNG DER GESETZESVERMUTUNG

Liegt eine vertikale Preisabrede vor, so kann die Vermutungsfolge, wonach der Wettbewerb wirksam beseitigt worden ist, widerlegt werden. Nun ist es Sache der Abredebeteiligten nachzuweisen, dass trotz der vertikalen Preisabrede noch ausreichend Innen- oder Aussenwettbewerb besteht (genügend Restwettbewerb). Bei ausreichendem Innenwettbewerb halten sich bspw. genügend Abredebeteiligte nicht an die getroffene Vereinbarung oder die Abrede betrifft nur einen unwichtigen Wettbewerbsparameter. Aussenwettbewerb liegt vor, wenn genügend andere Unternehmen nicht an der Abrede beteiligt sind.

Nach der Praxis der Weko kann die in Art. 5 Abs. 4 KG enthaltene Vermutung auch beseitigt werden, wenn genügend Interbrand- und Intrabrand-Wettbewerb besteht. Intrabrand-Wettbewerb betrifft den Wettbewerb zwischen den Anbietern derselben Marke. Er muss sowohl qualitativen als auch quantitativen Erfordernissen genügen, um die Unzulässigkeitsvermutung zu widerlegen. Kumulativ wird vorausgesetzt, dass auch Interbrand-Wettbewerb be- steht. Darunter versteht man das Wettbewerbsverhältnis zu Konkurrenten mit substituierbaren Produkten (also unterschiedlicher Marken). Hierbei geht es insbesondere um die Anzahl und Bedeutung markenfremder Wiederverkäufer.

Ist die Widerlegung der Vermutung erfolgreich, so ist dennoch zu prüfen, ob die Wettbewerbsabrede allenfalls eine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung i.S.v. Art. 5 Abs. 1 KG darstellt.

V. ERHEBLICHE WETTBEWERBSBESCHRÄNKUNG (ART. 5 ABS. 1 KG)

Auch wenn die gesetzliche Vermutung der Beseitigung des wirksamen Wettbewerbs durch eine vertikale Preisabrede mittels auseichendem Restwettbewerb widerlegt werden kann, ist es dennoch möglich, dass die Abrede gegen das Kartellgesetz verstösst, wenn sie von erheblichem Ausmass ist und damit Art. 5 Abs. 1 KG erfüllt. Die Frage, ob eine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, wie dies von Art. 5 Abs. 1 KG vorausgesetzt wird, ist an sich obsolet, zumal das Bundesgericht davon ausgeht, dass Preisabreden i.S.v. Art. 5 Abs. 4 KG per se als erheblich gelten, womit der Tatbestand von Art. 5 Abs. 1 KG als erfüllt erachtet wird. Aber auch hier besteht die Möglichkeit, die Preisabrede zu rechtfertigen: Art. 5 Abs. 2 KG hält fest, dass erhebliche Wettbewerbsabreden aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt sein können.

Die Wettbewerbsabreden sind gerechtfertigt, wenn sie notwendig sind, um die Herstellungs- oder Vertriebskosten zu senken, Produkte oder Produktionsverfahren zu verbessern, die Forschung oder die Verbreitung von technischen oder beruflichem Wissen zu fördern oder um Ressourcen rationeller zu nutzen und hierdurch den beteiligten Unternehmen in keinem Fall Möglichkeiten eröffnen, wirksamen Wettbewerb zu beseitigen (Art. 5 Abs. 2 KG). In diesem Fall wird aus wirtschaftspolitischen Gründen ein ergebnisorientierter Ansatz verfolgt, und der Gesetzgeber verzichtet auf die konsequente Durchsetzung des Wettbewerbs.

VI. FAZIT

Einigen sich Händler und Abnehmer auf Wiederverkaufspreise, kann ein Verstoss gegen das Kartellgesetz vorliegen. Dies muss nicht immer in Form einer Liste mit Mindest- oder Fixpreisen geschehen, sondern kann auch indirekt, über vermeintlich unverbindliche Preisempfehlungen, erfolgen, deren Einhaltung aber mit (finanziellen) Anreizen gefördert wird. Weitere Angaben darüber, in welchen Fällen eine unrechtmässige vertikale Preisabrede vorliegt und welche Umstände die Weko dazu veranlassen kann, auch Preisempfehlungen aufzugreifen und zu überprüfen, finden sich in der von der Weko eigens herausgegebenen «Vertikalbekanntmachung» sowie deren Erläuterung. So genügt bereits die Tatsache, dass Preisempfehlungen nicht explizit als «unverbindlich» bezeichnet werden oder der Umstand, dass die Preisempfehlung von einem bedeutenden Teil der Wiederverkäufer befolgt werden. Selbst wenn anschliessend der Nachweis gelingt, dass genügend Restwettbewerb vorhanden ist und damit die Vermutung der Beseitigung von wirksamem Wettbewerb widerlegt werden kann, ist es dennoch möglich, dass in der Preisabrede eine erhebliche Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. Die Herausgabe von Preislisten sollte entsprechend überdacht und vorsichtig formuliert werden, um nicht in das Visier der Wettbewerbskommission zu geraten.


9. Oktober 2019 / MLaw Simone Küng

1 Die Weko kann, wenn ein Bedürfnis nach mehr Rechtssicherheit besteht, Grundsätze der Rechtsanwendung in allgemeinen Bekanntmachungen veröffentlichen (analog zu Art. 6 KG). Nebst der Vertikalbekanntmachung (VertBek) hat die Weko auch weitere Bekanntmachungen, insbesondere für KMUs und die KFZ-Branche, für welche besondere Bestimmungen gelten, erlassen. Sie geben Leitlinien vor und dienen der allgemeinen Transparenz.