DER BETREUUNGSUNTERHALT
lic. iur. Judith Rhein, Rechtsanwältin, und Sandra Berner, MLaw
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Mit der Revision des Kindesunterhalts hat sich der Gesetzgeber das Ziel gesetzt, das Recht des Kindes auf Unterhalt zu stärken und zwar unabhängig vom Zivilstand der Eltern. Insbesondere ist dem konkreten Betreuungsaufwand nach der Intention des Gesetzgebers vermehrt Rechnung zu tragen. Neu sollen beim Kindesunterhalt die Kosten für die Betreuung des Kindes berücksichtigt werden. Es geht um die Sicherstellung des Lebensunterhalts des betreuenden Elternteils, soweit dieser zufolge eingeschränkter Eigenerwerbskapazität nicht alleine dafür aufkommen kann. Damit wird der sogenannte Betreuungsunterhalt eingeführt.
I. EINLEITUNG
Am 29. November 2013 verabschiedete der Bundesrat die Botschaft über die Revision des Kindesunterhalts. Die Vorlage bildet den zweiten Teil des Revisionsprojektes zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch, mit der die elterliche Verantwortung neu geregelt und das Kindeswohl ins Zentrum sämtlicher Überlegungen gerückt werden soll.
Ziel der Gesetzesvorlage ist es, jedem Kind die bestmöglichen Betreuungsverhältnisse zu garantieren. Künftig sollen beim Unterhalt des Kindes nicht nur die im Rahmen von Drittbetreuungen anfallenden direkten, sondern auch die mit der Betreuung durch einen Elternteil entstehenden indirekten Kosten berücksichtigt werden. Zudem soll der Kindesunterhalt statusunabhängig gewährt werden und Priorität vor anderen Unterhaltsansprüchen haben.
Am 2. Dezember 2014 hat nach dem Nationalrat nun auch der Ständerat dem sogenannten „Betreuungsunterhalt“ zugestimmt. Zwar hat der Ständerat noch in einigen anderen Punkten Änderungen angebracht, nicht so aber beim eigentlichen Betreuungsunterhalt. Die vom Ständerat vorgenommenen Änderungen machen es aber erforderlich, dass der Nationalrat nochmals über die Vorlage beraten muss. Kritiker des neuen Unterhaltsrechts diskutierten bereits schon in der Presse, womöglich das Referendum zu ergreifen. Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend auf die Gesetzesvorlage des Betreuungsunterhalts und dessen konkrete Ausgestaltung eingegangen werden. Vorerst soll die derzeitige Situation nach geltendem Recht dargelegt werden.
II. DIE DERZEITIGE SITUATION NACH GELTENDEM RECHT
Nach dem geltenden Recht geniesst der Betreuungsunterhalt im Schweizer Recht keine Sonderstellung. Die Betreuung des Kindes wird nicht im Kindesunterhalt berücksichtigt. Bei geschiedenen Eltern wird die Kinderbetreuung vielmehr im Rahmen des Art. 125 Abs. 2 Ziff. 6 ZGB als Bestandteil des nachehelichen Unterhalts berücksichtigt.
Der geschiedene Ehegatte kann den ihm gebührenden Unterhalt einschliesslich des Aufwands für eine angemessene Altersvorsorge verlangen, solange und soweit es ihm nicht zumutbar ist, für den eigenen Unterhalt aufzukommen. Insbesondere sind der Umfang und die Dauer der von den Ehegatten noch zu leistenden Betreuung der Kinder zu berücksichtigen (Art. 125 Abs. 1 und 2 Ziff. 6 ZGB). Das Bundesgericht hat in ständiger Rechtsprechung die Richtlinie aufgestellt, dass dem betreuenden Elternteil die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit im Umfang von 50% zumutbar ist, sobald das jüngste Kind zehnjährig ist und im Umfang von 100%, sobald das jüngste Kind sechzehnjährig ist. Diese „10/16-Regel“ wird allerdings insoweit beträchtlich modifiziert, als bei faktisch bestehender Fremdbetreuungsmöglichkeit zu einem wesentlichen früheren Zeitpunkt eine Erwerbsobliegenheit bejaht wird. War der betreuende Elternteil bereits während der Ehe Teilzeit erwerbstätig, muss diese Erwerbstätigkeit ungeachtet dieser Regel auch nach der Ehescheidung fortgesetzt werden.
Bei unverheirateten Eltern stehen dem betreuenden Elternteil gegen den anderen Elternteil – obwohl in der Schweiz heute jedes fünfte Kind ausserhalb einer bestehenden Ehe der Eltern geboren wird – keinerlei Unterhaltsansprüche zu. Die Einschränkung bzw. die Aufgabe der Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils ist somit bislang nicht zu entschädigen.
III. NEUREGELUNG DES BETREUUNGSUNTERHALTS
In der Gesetzesvorlage ist vorgesehen, dass das Kind neu Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag hat, der eine optimale Betreuung ermöglichen soll, sei es durch die Eltern oder Dritte (Tagesmutter, Krippe). Damit soll vor allem die Ungleichbehandlung von Kindern verheirateter bzw. geschiedener und von Kindern unverheirateter Eltern beseitigt werden. Neu sollen die Kosten für die Kinderbetreuung künftig auch dann berücksichtigt werden, wenn es sich nicht um Drittkosten, sondern um Einbussen der Erwerbstätigkeit infolge der geleisteten Betreuung eines Elternteils handelt, also eine Art Ersatz von Opportunitätskosten. Dies führt zwangsläufig zu einer Erhöhung des Kindesunterhalts. Bei geschiedenen Eltern kommt es zu einer Senkung des nachehelichen Unterhalts bzw. zu einer Verschiebung eines Bestandteils des nachehelichen Unterhalts in den Kindesunterhalt.
Bei geschiedenen Eltern wird das Gericht dementsprechend zuerst den Betrag für den gebührenden Unterhalt des minderjährigen Kindes festlegen, bevor es bestimmt, ob und in welchem Umfang der Ehegatte ebenfalls Anspruch auf einen Unterhaltsbeitrag hat. Die Höhe des Unterhalts für den Ehegatten hängt dann vom noch verfügbaren Betrag der beiden Ehegatten ab, das heisst vom Betrag, der nach Abzug ihres jeweiligen Bedarfs und des Kindesunterhaltsbeitrags übrig bleibt. Der Vorrang des Unterhaltsanspruchs minderjähriger Kinder würde somit gesetzlich festgeschrieben werden, wobei in Art. 276a Abs. 2 ZGB-Entwurf eine Art von „Öffnungsklausel“ vorgesehen ist, wonach das Gericht in begründeten Fällen vom Rang abweichen kann. Hinsichtlich der übrigen Rangklassen, etwa in Bezug auf den Rang der Ansprüche des Ehegatten oder volljähriger, in Ausbildung befindlicher Kinder, verbliebe es bei einer vom Gericht entsprechend den Anforderungen des jeweiligen Einzelfalles entwickelten angemessenen Lösung.
Die Dauer des Betreuungsunterhalts ist in der Gesetzesvorlage nicht festgelegt worden. Zu erwarten ist, dass die „10/16-Regel“ stark unter Druck gerät, dies vor allem deshalb, weil Ungleichbehandlungen sich nicht mehr leicht rechtfertigen lassen. Nichtverheiratete Eltern, die Betreuungsleistungen vollbringen, werden wohl nur während einer kürzeren Zeitspanne einen Betreuungsunterhalt für das Kind erhalten. Zudem wird auch in der Sozialhilfe der berufliche (Wieder-)Einstieg als zumutbar erachtet, sobald das jüngste Kind das dritte Lebensjahr vollendet hat.
Es stellt sich somit die Frage, wann sich die persönliche Betreuung als notwendig erweist und ob diesbezüglich ein Wahlrecht des obhutsberechtigten Elternteils besteht. Wie sich die familienrechtliche Praxis zu dieser offenen Frage entwickeln wird, bleibt abzuwarten.
IV. BEMESSUNG DES BETREUUNGSUNTERHALTS
Die grösste Herausforderung im Zusammenhang mit dem Betreuungsunterhalts liegt in der Bemessung. In der Gesetzesvorlage sind weder die Höhe noch Kriterien zur Bemessung des Betreuungsunterhalts enthalten. Nach der bundesrätlichen Botschaft bestimmen die Lebenshaltungskosten des betreuenden Elternteils, soweit dieser aufgrund der Betreuung nicht selber dafür aufkommen kann, den Betreuungsunterhalt. Die Betreuung des Kindes führt somit nur dann zu einem Betreuungsunterhalt, wenn sie während einer Zeit erfolgt, während der dem betreuenden Elternteil ansonsten die Ausübung einer Erwerbstätigkeit möglich wäre. Der Betreuungsunterhalt soll sich somit künftig neben den Bedürfnissen des Kindes massgeblich an Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern orientieren. Zur Bemessung dieser zwei Variablen äussert sich die Gesetzesvorlage nicht. Die bundesrätliche Botschaft hält einzig fest, dass die Bewertung der Betreuung durch einen Elternteil sich weder auf den Opportunitätsansatz noch auf den Marktkosten- oder Ersatzkostenansatz stützen könne. Ersteres würde dazu führen, dass sich je nach beruflicher Qualifikation des betreuenden Elternteils sehr unterschiedliche Beträge ergeben würden. Bei Letzterem ist es einerseits problematisch, die eigentlich relevante Betreuungszeit zu ermitteln und andererseits den geeigneten Referenzwert festzulegen. Somit besteht bis heute kein überzeugender Ansatz zur Bewertung der Betreuung.
Einigkeit besteht darüber, dass bei einer alleinigen Obhut gleich wie nach geltendem Recht die Beteiligung des anderen Elternteils nicht unberücksichtigt bleiben soll, wenn sie über die Ausübung eines gewöhnlichen Besuchsrechts (zwei Wochenende im Monat und zwei Ferienwochen) hinausgeht. Wird ein grosszügigeres Besuchsrecht vereinbart, soll dies nicht im Rahmen eines Betreuungsunterhalts, sondern im Rahmen einer Anpassung der Berechnung des Kindesunterhaltsbeitrags in Bezug auf die variablen direkten Kosten (z.B. Nahrung, Auslagen für Freizeitaktivitäten) berücksichtigt werden. In erster Linie haben sich die Gerichte immer nach dem Wohl des Kindes zu richten und es bleibt letztlich immer im Ermessen des Gerichts, eine im Einzelfall angemessene Lösung zu treffen.
IV. FAZIT
Mit der Revision des Kindesunterhalts und der Einführung des Betreuungsunterhalts soll aus dem Blickwinkel des Kindeswohls die beste Betreuung des Kindes ermöglicht werden. Insbesondere soll der Kindesunterhalt unabhängig vom Zivilstand der Eltern gewährt werden und gegenüber allen anderen Unterhaltsansprüchen Vorrang haben. Dieser Ansatz ist zu begrüssen und es ist auch absehbar, dass der Betreuungsunterhalt in Kraft treten wird. Ob im Gesetzgebungsverfahren noch gewisse Präzisierungen vorgenommen werden, ist unsicher und abzuwarten.
Fest steht, dass die Gesetzesvorlage viele neue, offene Fragen aufwirft. Insbesondere bei der Bemessung des Betreuungsunterhalts ist es fraglich, wie die Lebenshaltungskosten des betreuenden Elternteils berechnet werden und ob an bewährte, wenngleich statische Konstanten (die Rede ist von dem „Kreisschreiben Obergericht Kanton Aargau, Richtlinien für die Bemessung des Unterhaltsbedarfs“) festgehalten wird. Es bleibt abzuwarten, wie die familienrechtliche Praxis sich dazu verhalten wird.
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11. März 2015 / lic. iur. Judith Rhein
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