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DIE ANFECHTUNG ERBVERTRAGSWIDRIGER SCHENKUNGEN NACH ART. 494 ABS. 3 ZGB

lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und MLaw Kim Hirzel, Rechtspraktikantin

Mit der per 1. Januar 2023 in Kraft getretenen (und auf alle nach diesem Datum eintretenden Todesfälle anwendbaren) Erbrechtsrevision wurde auch Art. 494 Abs. 3 ZGB revidiert. Art. 494 ZGB befasst sich mit dem Erbeinsetzungs- und Vermächtnisvertrag. Art. 494 Abs. 2 ZGB statuiert, dass der Erblasser auch nach dem Abschluss von Erbeinsetzungs- oder Vermächtnisverträgen grundsätzlich frei über sein Vermögen verfügen kann. Im Sinne eines eigentlichen Paradigmenwechsels schränkt der revidierte Art. 494 Abs. 3 ZGB diesen Grundsatz allerdings erheblich ein.

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I. GRUNDLEGENDE ÄNDERUNGEN MIT DEM REVIDIERTEN ART. 494 ABS. 3 ZGB

Nach bisherigem Recht galt vorbehältlich gegenteiliger Vereinbarungen im Erbvertrag grundsätzlich eine Schenkungsfreiheit des Erblassers. Eine erfolgreiche Anfechtung von Schenkungen (oder anderen lebzeitigen Zuwendungen) war sowohl nach herrschender Lehre wie auch nach der Rechtsprechung an strenge Voraussetzungen gebunden. Mit Inkrafttreten des revidierten Art. 494 Abs. 3 ZGB ändert sich dies grundlegend. Art. 494 Abs. 3 ZGB sieht neu vor, dass neben sämtlichen den Erbvertrag verletzenden Verfügungen von Todes wegen auch jegliche Zuwendungen unter Lebenden anfechtbar sind, sofern sie mit Verpflichtungen aus einem früheren Erbvertrag nicht vereinbar sind und kein entsprechender Vorbehalt im Erbvertrag vorgesehen ist. Im Gegensatz zur grundsätzlichen Schenkungsfreiheit nach bisherigem Recht ergibt sich aus dem neuen Gesetzestext ein grundsätzliches Schenkungsverbot.

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II. SACHLICHER ANWENDUNGSBEREICH DER ANFECHTUNG NACH ART. 494 ABS. 3 ZGB

Der Gesetzestext sieht vor, dass erbvertragsverletzende lebzeitige Zuwendungen der Anfechtung unterliegen, sofern kein entsprechender Vorbehalt im massgebenden Erbvertrag angebracht wurde. Unter solche lebzeitige Zuwendungen fallen Schenkungen, das heisst Zuwendungen aus dem Vermögen des Schenkenden, ohne dass dieser dafür eine adäquate Gegenleistung erhält (Art. 239 OR). Anwendbar ist die neue Bestimmung daher auch auf sog. gemischte Schenkungen.

Explizit nicht erfasst von Art. 494 Abs. 3 ZGB sind einzig Gelegenheitsgeschenke. Als Gelegenheitsgeschenke gelten Schenkungen, die anlässlich einer besonderen Gelegenheit getätigt werden (wie beispielsweise Geburtstage, Weihnachten, Hochzeiten, etc.) oder allgemein als Kleinzuwendungen definiert werden können. Ob eine Schenkung als Kleinzuwendung gilt, ist im Einzelfall anhand der Gesamtumstände zu beurteilen. Als Faustregel wird in der Lehre vertreten, dass ein übliches Gelegenheitsgeschenk unter einem Wert von CHF 500.00 liegt oder höchstens 1% des Nachlasses beträgt, wobei die Grenze von CHF 5’000.00 nicht überschritten werden dürfe (vgl. BK-EITEL zu Art. 632 ZGB N 11).

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III. SCHENKUNGSVORBEHALT

Der bzw. die Erblasser (bspw. sich begünstigende Ehegatten) haben allerdings die Möglichkeit, im Erbvertrag einen Schenkungsvorbehalt zu vereinbaren, der es erlaubt, lebzeitige Zuwendungen (unbeschränkt oder in einer vereinbarten Höhe) vorzunehmen, ohne dass diese von den erbvertraglich Begünstigten im Nachhinein nach Art. 494 Abs. 3 ZGB angefochten werden können (vgl. Art. 494 Abs. 3 Ziff. 2 ZGB). Solche Schenkungsvorbehalte sollten klar und unmissverständlich sein.

IV. ANFECHTUNG UND RÜCKLEISTUNGSPFLICHT

Der erbvertragswidrig Begünstigte ist (analog zu Art. 528 Abs. 1 ZGB) bei Gutgläubigkeit nur in dem Umfang zur Rückerstattung der vertragswidrigen lebzeitigen Zuwendung verpflichtet, als er ihm Zeitpunkt des Erbganges noch bereichert ist (vgl. PraxKomm Erbrecht-Grundmann zu Art. 494 ZGB N 29c; BGE 101 II 305 ff.). Gutgläubig ist der Begünstigte, wenn er nicht wusste und auch nicht damit rechnen musste, dass die Schenkung erbvertragliche Bestimmungen verletzt (PraxKomm Erbrecht-Hrubesch-Millauer zu Art. 528 ZGB N 3 f.).

V. ZEITLICHER ANWENDUNGSBEREICH DER ANFECHTUNG NACH ART. 494 ABS. 3 ZGB

Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine Schenkung unter Art. 494 Abs. 3 ZGB fällt, ist das Ableben des Erblassers (sog. Todestagsprinzip; Art. 15/16 SchIT). Verstarb bzw. verstirbt der Erblasser nach Inkrafttreten der Gesetzesrevision, d.h. nach dem 31. Dezember 2022, so sind das revidierte Recht und damit auch Art. 494 Abs. 3 ZGB anwendbar. Im umgekehrten Fall, d.h. falls der Erblasser vor dem 1. Januar 2023 verstorben ist, gilt das bisherige Recht.

Da an den Zeitpunkt des Ablebens des Erblassers angeknüpft wird, ist es möglich, dass erbvertragswidrige Schenkungen der Anfechtung nach Art. 494 Abs. 3 ZGB unterliegen, obwohl diese vor der Gesetzesrevision erfolgt und vom Erblasser (und dem Begünstigten) als zulässig erachtet wurden. Diese faktische Rückwirkung kann ungewollte (und ungerechte) Folgen haben. Es wird sich zeigen, ob und wie Lehre und Rechtsprechung insoweit ein Korrektiv finden: Zu denken ist beispielweise an eine grosszügige Auslegung der (nicht gewollten) Bindungswirkung unter altem Recht abgeschlossener Erbverträge.

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VI. FAZIT

Zusammenfassend hat der revidierte Art. 494 Abs. 3 ZGB bedeutenden Änderungen und Auswirkungen in der Nachlassplanung zur Folge. Im Gegensatz zur bisherigen Schenkungsfreiheit sind nun auch erbvertragswidrige Zuwendungen zu Lebzeiten grundsätzlich anfechtbar, sofern es sich nicht um blosse Gelegenheitsgeschenke handelt oder ein (ausreichend klarer) Vorbehalt im Erbvertrag angebracht wurde.

Bestehende Erbverträge sollten dringlich überprüft und gegebenenfalls – sofern noch möglich – abgeändert (oder wenigstens letztwillig ergänzt) werden, um eine nicht dem Willen der Erbvertragsparteien entsprechende Rechtslage und ungewollte Anfechtungs-klagen zu verhindern.

Wer seinen Nachlass neu erbvertraglich regelt, hat der neuen Rechtslage unbedingt Rechnung zu tragen und sollte sich diesbezüglich fachmännisch beraten zu lassen.

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4. Dezember 2024 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht, und MLaw Kim Hirzel, Rechtspraktikantin

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