Blog

DIE FORMULIERUNG DES ARBEITSZEUGNISSES

Dr. iur. Stephan Fröhlich, Rechtsanwalt, und Matthias Meier, MLaw

Das Arbeitszeugnis geniesst im Bewerbungsprozess einen hohen Stellenwert – vor allem für die Erstausscheidung vor dem ersten Bewerbungsgespräch. Bei der Ausstellung des Zeugnisses sieht sich der Arbeitgeber immer wieder mit der Frage konfrontiert, welche Ausdrücke und Inhalte er verwenden soll und darf. Ein Zeugnis enthält oftmals sehr offene Formulierungen. Teilweise finden sich darin aus Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Arbeitnehmer wohlwollende Beurteilungen und Beschönigungen. Oft wählen Arbeitgeber aber auch positiv klingende Qualifikationen, denen zwischen den Zeilen eine negative Bedeutung zukommt (sogenannte codierte Zeugnisse). In der Folge bildet der Inhalt des Zeugnisses bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses oftmals einen Streitpunkt.

I. GRUNDLEGENDES

Gemäss Art. 330a Abs. 1 OR kann der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber jederzeit ein Zeugnis verlangen, das sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über seine Leistungen und sein Verhalten ausspricht (sogenanntes Vollzeugnis). Gemäss Art. 330a Abs. 2 OR kann der Arbeitnehmer verlangen, dass sich das Zeugnis auf Angaben über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses beschränkt (sogenanntes Teilzeugnis bzw. Arbeitsbestätigung).

Ein solches kann er auch zusätzlich zum Vollzeugnis verlangen, beispielsweise nachträglich, wenn er mit dem Vollzeugnis nicht zufrieden ist.

Das Zeugnis ist auf Wunsch des Arbeitnehmers jederzeitauszustellen, also während (sogenanntes Zwischenzeugnis, z.B. bei einem beabsichtigten Stellenwechsel, bei einem Wechsel innerhalb des Unternehmens oder bei einem Wechsel des Vorgesetzten) oder aber erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wenn ein Arbeitgeber um die Ausstellung eines Zeugnisses ersucht wird, muss es unter normalen Umständen möglich sein, eine Arbeitsbestätigung innert zweier Tage und ein Vollzeugnis innert ein bis zwei Wochen auszustellen (STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, Art. 330a OR N 2). Kommt der Arbeitgeber dem Ersuchen auf Zeugnisausstellung nicht innert angemessener Frist nach, kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch mittels Leistungsklage auf Ausstellung eines Zeugnisses durchsetzen (BGE 129 III 177, E. 3.3). Mit Vorteil ist hier gleich auf die Ausstellung eines konkreten Zeugnisses zu klagen (vgl. STEPHAN FRÖHLICH, Individuelle Arbeitsstreitigkeiten in der neuen Schweizerischen Zivilprozessordnung, S. 228). Die Verjährungsfrist beträgt nach herrschender Lehre und Praxis 10 Jahre und läuft ab dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Legt der Arbeitgeber ein unrichtiges, unvollständiges oder zweideutiges Zeugnis vor, steht dem Arbeitnehmer ein Berichtigungsanspruch zu. Im Gegensatz zur Zeugnisklage muss der Arbeitnehmer einen neuen Text oder konkrete Abänderungsvorschläge in sein Rechtsbegehren aufnehmen. Im Berichtigungsprozess kommt bereits vorhandenen Zwischenzeugnissen und Mitarbeiterbeurteilungen grosses Gewicht zu. So setzen Verschlechterungen im Schlusszeugnis gegenüber einem kurz zuvor ausgestellten Zwischenzeugnis nach der Gerichtspraxis voraus, dass seit dem Zwischenzeugnis erhebliche Änderungen eingetreten sind, die eine unterschiedliche Beurteilung rechtfertigen (vorbehalten bleibt der Fall, dass das Zwischenzeugnis nachweislich falsch war).

II. INHALT DES ZEUGNISSES

Ein Vollzeugnis sollte folgende Angaben enthalten (vgl. STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 330a OR N 3):

– Personalien des Arbeitnehmers und notwendige Angaben zum Arbeitgeber
– Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses
– detaillierte Auflistung der wichtigen Funktionen und der das Arbeitsverhältnis prägenden Tätigkeiten des Arbeitnehmers und deren Zeitdauer
– aussagekräftige Bewertung der Leistung (Arbeitsqualität und -quantität) des Arbeitnehmers und seines Verhaltens
– rechtsgültige Unterschrift des Arbeitgebers samt Ausstellungsdatum (normalerweise wird das Arbeitszeugnis am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses datiert).

Bei der Ausstellung des Zeugnisses muss der Arbeitgeber einige Grundsätze beachten. So ist er zwar grundsätzlich gehalten, das Zeugnis wohlwollend zu formulieren. Andererseits darf er seine Wahrheitspflichtnicht verletzen.

Die Leistung des Arbeitnehmers darf also nicht übermässig beschönigt werden. Negative Tatsachen dürfen im Zeugnis erwähnt werden, sofern sie für die Gesamtbeurteilung des Arbeitnehmers erheblich sind, es sich also nicht um völlig isolierte Vorfälle oder um unwichtige Kleinigkeiten handelt. Einzelne Differenzen, wie sie am Ende

eines Arbeitsverhältnisses (insbesondere bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber) nicht selten vorkommen, dürfen nicht überbewertet werden. Sodann hat sich der Inhalt auf Angaben zu beschränken, welche für die Beurteilung von Leistung und Verhalten des Arbeitnehmers notwendig sind. Aussagen über Dinge, die in keinem direkten Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen, sind deshalb unzulässig.

Eine Krankheit bzw. eine dadurch bedingte Arbeitsverhinderung darf im Zeugnis nur erwähnt werden, wenn sie erheblichen Einfluss auf Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers hatte oder die Eignung für die Erfüllung der bisherigen Aufgaben infrage stellte. Das Arbeitsgericht Zürich hat in einem Entscheid den Hinweis „Herr X. verlässt uns zufolge gesundheitlicher Probleme“ für zulässig erachtet, nachdem ein manisch-depressiver Krankenpfleger unvermutet die Arbeit niederlegte und für knapp einen Monat unbekannt abwesend blieb (Entscheide 2005 Nr. 10 = JAR 2006 S. 565 = SAE 2007 S. 69). Wenn ein Mitarbeiter an Migräne leidet und deswegen regelmässig der Arbeit fernbleiben muss, darf diese Diagnose hingegen nicht in seinem Zeugnis zu lesen sein. Auch andere übliche krankheitsbedingte Abwesenheiten, auch wenn diese einige Wochen im Jahr ausmachen, gehören zum unternehmerischen Risiko (Signifikanz).

Ein strafrechtlich relevanter Fall darf bzw. muss sogar erwähnt werden, vor allem dann, wenn ein Mitarbeiter wegen eines schweren Vorfalls fristlos entlassen wurde. Zurückhaltung ist allerdings angebracht, falls der (ehemalige) Arbeitnehmer noch nicht rechtskräftig verurteilt wurde. Straftaten, die ausserdienstlich begangen wurden, dürfen im Arbeitszeugnis nur erwähnt werden, wenn sie für die Beurteilung der Leistungen und des dienstlichen Verhaltens von wesentlicher Bedeutung sind (z.B. erhebliche Vermögensdelikte bei einem Bankangestellten, nicht jedoch „Schwarzfahren“ oder Tätlichkeiten).

Bei der Schöpfung des Wortlauts steht dem Arbeitgeber ein breites Ermessen zu. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf bestimmte Formulierungen (STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 330a OR N 3b). Der Arbeitgeber kann auswählen, ob der Arbeitnehmer „eine gute Leistung“ gezeigt oder die Arbeit „zur vollen Zufriedenheit“ ausgeführt hat. Zu vermeiden ist aus Sicht des Arbeitgebers insbesondere, dass wegen „Mitleids“ nach einer Kündigung ein (zu) gutes Arbeitszeugnis ausgestellt wird. Eine Diskrepanz zwischen einem guten Arbeitszeugnis und der ausgesprochenen Kündigung wird von früheren Arbeitnehmern oft im Rahmen einer Kündigungsanfechtung vorgebracht. Deshalb sind im Zweifel objektive Qualifikationen (z.B. „gute Arbeitsleistung“) subjektiven Einschätzungen („zu unserer Zufriedenheit“) vorzuziehen.

III. CODIERTE ZEUGNISSE

Bei Zeugnissen hat sich teilweise eine eigentliche Geheimsprache eingeschlichen, indem viele positiv klingende Qualifikationen eine wesentlich negativere Bedeutung besitzen (sogenannte codierte Zeugnisse). Die Verwendung solcher Codes verstösst gegen den Grundsatz der Zeugnisklarheit (STREIFF/VON KAENEL/RUDOLPH, a.a.O., Art. 330a OR N 9). Trotz des breiten Ermessenspielraums hat der Arbeitgeber demnach zweideutige Formulierungen, bei welchen in vordergründig neutralen oder positiven Formulierungen für Eingeweihte verdeckte Botschaften gegeben werden, zu vermeiden. Nachfolgend werden einige Formulierungsbeispiele (links) aufgezeigt, welche nicht in ein Arbeitszeugnis gehören, weil sie mittlerweile in breiten Kreisen eine verdeckte Bedeutung (rechts) erlangt haben:

IV. FAZIT

Der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber jederzeit ein Zeugnis verlangen, das sich über die Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie über seine Leistungen und sein Verhalten ausspricht. Die Ausstellung eines Arbeitszeugnisses stellt für einen Arbeitgeber meist eine schwierige Aufgabe dar. Er ist gehalten, das Zeugnis wohlwollend zu formulieren, darf jedoch keine unwahren Behauptungen aufstellen. Bei der Schöpfung des Wortlauts steht dem Arbeitgeber ein breites Ermessen zu; der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf bestimmte Formulierungen.

Zu vermeiden sind codierte Ausdrücke, welche verdeckte (negative) Botschaften enthalten, weil dies dem Grundsatz der Zeugnisklarheit zuwiderläuft.

.

6. November 2015 / Dr. iur. Stephan Fröhlich

Sorry, the comment form is closed at this time.