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DURCHSETZUNG VON VERMÄCHTNISSEN

MLaw Jeanine Bopp, Rechtsanwältin

Wird nach dem Tod des Erblassers strittig, ob dem Vermächtnisnehmer das Vermächtnis ausgerichtet werden soll, stellt sich für den Vermächtnisnehmer die Frage, wie er seinen Vermächtnisanspruch durchsetzen kann und welche Fristen dabei zu beachten sind. Für die Erben hingegen stellt sich die Frage, ob und welche Einwendungen sie gegen den Vermächtnisanspruch geltend machen können.

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I. DEFINITION DES VERMÄCHTNISSES

Wendet der Erblasser einem Bedachten einen Vermögensvorteil zu, ohne diese Person als Erben einzusetzen, liegt ein Vermächtnis vor (Art. 484 Abs. 1 Zivilgesetzbuch [ZGB]). Der zugewendete Vermögensvorteil kann in jedem erdenklichen Vermögenswert bestehen, beispielsweise in einer bestimmten Sache oder – sehr häufig – in einem Geldbetrag (Art. 484 Abs. 2 ZGB). Im Einzelnen kann die Abgrenzung, ob der Erblasser eine Erbeinsetzung oder eine Vermächtniszuwendung verfügt hat, schwierig sein. Da mit dieser Unterscheidung bzw. der entsprechenden Qualifikation jedoch unterschiedliche Rechtswirkungen verbunden sind, empfiehlt es sich, im Zweifelsfall eine Fachperson für die Auslegung der letztwilligen Verfügung beizuziehen.

II. DURCHSETZUNGSMÖGLICHKEITEN

Zur Ausrichtung des Vermächtnisses ist – eine gegenteilige Anordnung des Erblassers vorbehalten – die Erbengemeinschaft, bestehend aus allen bedachten Personen mit Erbenstellung, verpflichtet (Art. 562 Abs. 1 ZGB). Die Vermächtnisforderung wird fällig, sobald die Erben die Erbschaft angenommen haben oder sie nicht mehr ausschlagen können (z.B. infolge Fristablaufs; vgl. Art. 562 Abs. 2 ZGB), und verjährt grundsätzlich nach 10 Jahren (Art. 127 OR). In Bezug auf die Durchsetzung des Vermächtnisanspruchs ist unterscheiden, ob es sich dabei um eine Sach- oder Geldforderung handelt. Ersterenfalls steht nur der Weg über die sogenannte Vermächtnisklage offen, letzterenfalls kann zudem unter Umständen erfolgreich eine Betreibung eingeleitet werden.

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III. BETREIBUNGSVERFAHREN

Unter gewissen Voraussetzungen kann der Vermächtnisnehmer seinen Vermächtnisanspruch auf dem (relativ unkomplizierten und vergleichsweise raschen) Betreibungsweg geltend machen. Vorausgesetzt wird insbesondere, dass der Erblasser letztwillig (1) ein Geldlegat verfügt hat, das ziffernmässig bestimmt oder einfach bestimmbar ist; (2) keine Vorbehalte oder Bedingungen an das Vermächtnis geknüpft wurden; (3) zur Ausrichtung des Vermächtnisses ein oder mehrere bestimmte/r Erbe/n verpflichtet worden ist/sind (Urteil des Bundesgerichts 5A_108/2009 vom 06.04.2009 E. 2.5). Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann gegen die belasteten Erben erfolgreich ein Betreibungsverfahren durchgeführt werden.

IV. VERMÄCHTNISKLAGE

Mit der Vermächtnisklage kann der Vermächtnisnehmer die Aushändigung des ihm vom Erblasser zugewendeten Vermögenswerts durchsetzen (Art. 601 ZGB), indem die Erben gerichtlich zur Vornahme der entsprechenden Vollzugs- bzw. Übertragungshandlung verpflichtet werden. Bei einem Sachlegat ist die Vermächtnisklage zwingend gegen alle Erben zu richten, bei einem Geldlegat kann grundsätzlich ein einzelner Erbe ins Recht gefasst werden (z.B. Urteil des Bundesgerichts 5A_69/2021 vom 07.01.2022 E. 4.3.2.), was insbesondere unter Vollstreckungsgesichtspunkten bei ausländischem Wohnsitz der übrigen Erben von Vorteil sein kann.

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V. EINWENDUNGEN GEGENDEN VERMÄCHTNISANSPRUCH

Die Erben können unterschiedliche Einwendungen gegen die Vermächtnisforderung vorbringen. Beispielsweise könnte die das Vermächtnis enthaltende letztwillige Verfügung des Erblassers an sich ungültig oder nichtig sein, womit auch der Vermächtnisanspruch dahinfallen würde. Solche Ungültigkeitsgründe sind beispielsweise die Urteilsunfähigkeit des Erblassers (Art. 519 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. Art. 467 f. ZGB), ein Willensmangel des Erblassers (Art. 519 Abs. 1 Ziff. 2 i.V.m. Art. 469 ZGB), die Sittenwidrigkeit der letztwilligen Verfügung bzw. der entsprechenden Vermächtnisklausel (Art. 519 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB) oder Formfehler der letztwilligen Verfügung (Art. 520 f. i.V.m. Art. 498 ff. ZGB). Bei extremen Fällen der Ungültigkeit kann sogar Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung vorliegen, welche jederzeit von Amtes wegen zu berücksichtigen ist.

Ein pflichtteilsgeschützter Erbe kann zudem die Herabsetzungseinrede geltend machen, wenn ihm infolge der Ausrichtung des Vermächtnisses an den Vermächtnisnehmer weniger als die Höhe seines Pflichtteils verbleiben würde (Art. 522 Abs. 1 ZGB). Diese Einrede hat zur Folge, dass das Vermächtnis auf das rechtlich zulässige Mass herabgesetzt bzw. gekürzt wird.

Die vorgenannten Einwendungen müssen grundsätzlich innert Jahresfrist klageweise geltend gemacht werden (vgl. Art. 521 Abs. 1, Art. 533 Abs. 1 ZGB). Die Erben können diese Einwendungen allerdings auch zeitlich unbefristet einredeweise – beispielsweise im Rahmen einer Vermächtnisklage des Vermächtnisnehmers – zur Abwehr des Vermächtnisanspruchs geltend machen (vgl. Art. 521 Abs. 3, Art. 533 Abs. 1 und 3 ZGB).

Weiter können die Erben gegen die Person des Vermächtnisnehmers die Einwendung vorbringen, dass dieser infolge Erbunwürdigkeit keinen Anspruch aus der letztwilligen Verfügung des Erblassers ableiten könne. Ein solcher Erbunwürdigkeitsgrund liegt insbesondere dann vor, wenn der Vermächtnisnehmer den Erblasser unter Täuschung oder Drohung zur Errichtung bzw. zum Widerruf der letztwilligen Verfügung veranlasst (vgl. Art. 540 Abs. 1 ZGB).

Schliesslich können die Erben einwenden, dass sich die vom Erblasser an den Vermächtnisnehmer vermachte Sache zum Zeitpunkt des Erbgangs nicht (mehr) im Nachlass befand (z.B. weil sie der Erblasser bereits vor seinem Tod veräussert hatte), wodurch das Vermächtnis als widerrufen gilt und die Erben grundsätzlich nicht verpflichtet sind, die vermachte Sache zu besorgen und dem Vermächtnisnehmer auszurichten (vgl. Art. 484 Abs. 3 ZGB).

VI. FAZIT

Der Vermächtnisnehmer kann sich grundsätzlich während 10 Jahren seit Kenntnis des Vermächtnisses (oder ab dessen Fälligkeit, falls diese zu einem späteren Zeitpunkt eintritt) der sogenannten Vermächtnisklage bedienen, um die Ausrichtung des Vermächtnisses gerichtlich einzufordern. Bei einem Geldlegat kann unter gewissen Voraussetzung zudem der Betreibungsweg beschritten werden. Der Vermächtnisnehmer ist darüber hinaus gut beraten, daran zu denken, ob der umstrittene Vermächtnisanspruch allenfalls autoritativ sichern zu lassen ist (z.B. Grundbuchsperre bei Grundstücken oder Kontosperre von Erblasserkonten), falls die begründete Besorgnis besteht, dass das Nachlassvermögen durch die Erben beiseitegeschafft werden könnte.

Andererseits haben die Erben die Möglichkeit, Einwendungen gegen den Vermächtnisanspruch zu erheben. Sie können insbesondere die Ungültigkeit/Nichtigkeit der letztwilligen Verfügung oder die Erbunwürdigkeit des Vermächtnisnehmers geltend machen sowie vorbringen, ihre Pflichtteile seien aufgrund der Höhe des Vermächtnisses verletzt, um dieses auf das erlaubte Mass herabsetzen zu lassen. Die Erben können die Einwendungen aktiv, d.h. klageweise, geltend machen (meist innert Jahresfrist) – müssen dies grundsätzlich aber nicht, sondern können sie auch jederzeit einredeweise in einem vom Vermächtnisnehmer eingeleiteten Vermächtnisklageverfahren und/oder Betreibungsverfahren vorbringen.


16. Oktober 2024 / MLaw Jeanine Bopp, Rechtsanwältin

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