GESETZESÄNDERUNG FÜR DEN BEZUG VON ERGÄNZUNGSLEISTUNGEN – INPFLICHTNAHME DER ERBEN
lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt
Leider viel zu oft kommt es vor, dass ältere Leute nach der Pensionierung auf Ergänzungsleistungen angewiesen sind. Das Parlament hat nun im Bereich der Ergänzungsleistungen eine Gesetzesänderung verabschiedet, welche per 1. Januar 2021 in Kraft treten wird. Neu wird unter Umständen in die Ansprüche der Erben eingegriffen, wenn die Erbschaft von einem Erblasser stammt, welcher zu Lebzeiten Ergänzungsleistungen bezogen hat. Aber auch sonst sieht die Gesetzesänderung eine stärkere Berücksichtigung des Vermögens bei der Berechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen vor.
I. GRUNDSÄTZLICHES ZU DEN ERGÄNZUNGSLEISTUNGEN
Ergänzungsleistungen dienen der Existenzsicherung von Personen, die eine AHV- oder eine IV-Rente beziehen und finanziell nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen werden die anerkannten Ausgaben den entsprechenden anrechenbaren Einnahmen gegenübergestellt; die Ergänzungsleistungen entsprechen der Differenz und dienen der Deckung des Ausgabenüberschusses.
II. STÄRKERE BERÜCKSICHTIGUNG DES VERMÖGENS
A) Vermögensgrenze für den grundsätzlichen Anspruch
Neben den Einnahmen soll neu das Vermögen bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen stärker berücksichtigt werden. Neu haben nur noch Personen mit einem Vermögen von weniger als CHF 100’000.00 überhaupt einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Für Ehepaare liegt diese Schwelle bei CHF 200’000.00 und für Kinder bei CHF 50’000.00. Entscheidend ist, dass bei der Ermittlung des massgebenden Vermögens der Wert einer selbstbewohnten Liegenschaft nicht eingerechnet wird.
B) Freibeträge und Vermögensverzehr
Das Vermögen wurde bei der Berechnung von Ergänzungsleistungen schon immer berücksichtigt, neu sind jedoch die Freibeträge angepasst. Mit anderen Worten: Wer zu wenig Vermögen hat und somit grundsätzlich Ergänzungsleistungen beziehen kann, hat sich unter Umständen aber einen Vermögensverzehr anrechnen zu lassen. Alleinstehende dürfen über einen Freibetrag von CHF 30’000.00, Ehepaare über einen solchen von rund CHF 60’000.00 und Kinder über einen solchen von CHF 15’000.00 verfügen. Erst darüber wird ein Vermögensverzehr verlangt. Entscheidend bei der Bemessung des Vermögensverzehrs ist, dass eine selbstbewohnte Liegenschaft ebenfalls mit eingerechnet wird. Der diesbezügliche Freibetrag ist nach wie vor bei CHF 112’500.00 bzw. CHF 300’000.00, wenn ein Ehepaar eine Liegenschaft besitzt und einer der Ehegatten im Heim oder Spital lebt, festgemacht.
C) Schenkungen/Vermögensverzicht
Bereits bisher wurden Vermögenswerte angerechnet, auf die freiwillig verzichtet worden ist, so beispielsweise durch eine Schenkung (zu Lebzeiten) an die Nachkommen. Die Erfassung solcher Vermögensverzichte wird nun ebenfalls ausgedehnt. Neu werden auch Fälle erfasst, in denen eine Person grössere Teile ihres Vermögens selber verbraucht hat. Wer also bei einem Vermögen von über CHF 100’000.00 innerhalb eines Jahres mehr als 10 % ausgegeben hat, dem wird der diese 10 % übersteigende Anteil als relevanter Vermögensverzicht angerechnet. Bei einem Vermögen unterhalb CHF 100’000.00 gelten Beträge ab CHF 10’000.00 als Vermögensverzicht. Bezieht man eine AHV-Rente, gilt diese Regelung für 10 Jahre vor Beginn des Rentenanspruchs. Der bisherige Grundsatz «verprassen erlaubt, verschenken nicht» wird damit eingeschränkt und ein möglicher Ergänzungsleistungs-berechtigter tut gut daran, in den 10 massgebenden Jahren seine Ausgaben im Rahmen zu halten. Die neue Regel gilt nur für Ergänzungsleistungen, welche ab Inkrafttreten des neuen Gesetzes ausbezahlt worden sind. Gleiches gilt für Schenkungen an Angehörige, welche im Rahmen der Verwandtenunterstützungspflicht im Falle eines solchen Vermögensverzichts des Ergänzungsleistungsberechtigten in Pflicht genommen werden können. Wenn keine solche Vermögenszuwendung erfolgt ist, darf immerhin darauf hingewiesen werden, dass das Recht auf Erhalt von Ergänzungsleistungen der Verwandtenunterstützungspflicht vorgeht – ist aber eine solche Schenkung gemacht worden, wird beim Ergänzungsleistungsbeantragenden dieses verschenkte Vermögen hypothetisch hinzugerechnet, was in aller Regel dazu führen wird, dass kein Anspruch auf Ergänzungsleistungen besteht.
D) Rückerstattung durch Erben
Die wohl grösste und einschneidenste Änderung bringt die Gesetzesänderung für die Erben. Neuerdings müssen die Erben eines Erblassers, der Ergänzungsleistungen bezogen hatte, die von diesem bezogenen Ergänzungsleistungen zurückerstatten, sofern ihnen ein Erbteil zugegangen ist, der den Betrag von CHF 40’000.00, gemessen am gesamten Nachlass, übersteigt. Unter CHF 40’000.00 gibt es keine Rückerstattungspflicht. Sofern ein Ehepartner des Erblassers vorhanden ist, entsteht die vorgenannte Rückerstattungspflicht erst zum Zeitpunkt des Versterbens des Ehegatten. Diese Neuerung widerspricht dem bisher geltenden Grundsatz, dass rechtmässig bezogene Ergänzungsleistungen nicht zurückbezahlt werden müssen und greift damit in das Erbrecht und die Stellung der Erben ein.
III. FAZIT
Die in Art. 16a und 16b ELG (Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung) per 1. Januar 2021 in Kraft tretende Reform ändert wesentliche Elemente der bisherigen Gesetzessituation. Ganz entscheidend ist, dass Ergänzungsleistungen selbst dann rückerstattungspflichtig werden können, wenn sie rechtmässig bezogen worden sind. In der Praxis wird dies insbesondere Erben von Ergänzungsleistungsbezügerinnen und -bezüger, welche in ihrem Eigenheim gelebt hatten, treffen. Denn nur so war es bislang möglich, dass die jeweiligen Eigenheime den Bezügern belassen werden konnten – was nach wie vor der Fall ist – und die Erben danach dieses Eigenheim ohne zusätzliche Belastung erben konnten – was heute nicht mehr der Fall ist, da in der Regel damit die Grenze von CHF 40’000.00 überschritten wird und die Erben damit in Bezug auf die bezogenen Leistungen der Erblasser in Pflicht genommen werden können.
3. Juni 2020 / lic. iur. Stephan Hinz