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IST BAUEN AN STARK BEFAHRENEN STRASSEN ÜBERHAUPT NOCH MÖGLICH?

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt

lic. iur. Christoph Schärli, Rechtsanwalt bei Geissmann Rechtsanwälte AG in Baden und Zürich

Auswirkungen der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Lärmschutz auf die Planung von Bauvorhaben und die Bewilligungspraxis von Baubehörden

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Das Bundesgericht hat bei einem Ende Jahr 2021 gefällten Urteil die strenge Rechtsprechung betreffend Lärmschutz bestätigt- viele Planer und Baubehörden fragen sich nun, was überhaupt an stark befahrenen Strassen noch an Wohnbauten möglich ist.

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SACHVERHALT

Dem Urteil (1C_275/2020   Urteil vom 6. Dezember 2021) lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zu Grunde:

Eine private Bauherrschaft plante eine Wohnüberbauung mit 124 Wohnungen auf dem sogenannten «Bürgli-Areal» in Zürich-Enge. Das betreffende Gebiet ist lärmbelastet. Mit Bauentscheid vom 2. Oktober 2018 erteilten die zuständigen Baubehörden die entsprechende baurechtliche Bewilligung. 

Nachdem das Baurekursgericht die dagegen erhobenen Rekurse noch abgewiesen hatte, gab das Verwaltungsgericht den Beschwerdeführenden recht und hob die Baubewilligung auf, weil die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung nicht erfüllt seien. Das Bundesgericht stützte nun das Verwaltungsgericht und damit auch seine strenge Praxis zum Lärmschutz und den Anforderungen an eine Ausnahmebewilligung.

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RECHTLICHES

Gemäss Art. 22 USG (SR 814.01) werden Baubewilligungen für neue Gebäude, die dem längeren Aufenthalt von Personen dienen, nur erteilt, wenn die Immissionsgrenzwerte nicht überschritten sind (Abs. 1) oder die Räume zweckmässig angeordnet und die allenfalls notwendigen zusätzlichen Schallschutzmassnahmen getroffen werden (Abs. 2). Nach Art. 31 Abs. 1 LSV kann eine Baubewilligung nur erteilt werden, wenn die Immissionsgrenzwerte durch die Anordnung der lärmempfindlichen Räume auf der dem Lärm abgewandten Seite des Gebäudes (lit. a) oder durch bauliche oder gestalterische Massnahmen, die das Gebäude gegen Lärm abschirmen (lit. b), eingehalten werden können. Ist die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte durch derartige Massnahmen nicht möglich, darf eine Bewilligung nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für eine Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV (Lärmschutzverordnung) vorliegen.

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Voraussetzung einer Ausnahmebewilligung

Eine Ausnahmebewilligung gestützt auf Abs. 2 von Art. 31 LSV  nur möglich, wenn

sämtliche verhältnismässigen baulichen und gestalterischen Massnahmen gemäss Abs. 1 ausgeschöpft worden sind sowie

sich die strikte Anwendung von Art. 22 USG unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls als unverhältnismässig erwiese.

Die Ausnahmeermächtigung darf nicht dazu eingesetzt werden, generelle Gründe zu berücksichtigen, die sich praktisch immer anführen liessen; auf diesem Weg würde das Gesetz umgangen.

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Konkrete Rechtsfragen (zusammengefasst):

Streitig war, ob beim besagten Bauprojekt sämtliche verhältnismässige Massnahmen im Sinne von Art. 31 Abs. 1 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (LSV; SR 814.41) ergriffen wurden und ob alternative bauliche und gestalterische Massnahmen genügend geprüft wurden, um gestützt auf Art. 31 Abs. 2 LSV eine Ausnahmebewilligung für die geplante Wohnüberbauung beantragen zu können.

Das Zürcher Verwaltungsgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass der Frage, ob sämtliche verhältnismässigen Massnahmen im Sinn von Art. 31 Abs. 1 LSV ausgeschöpft worden sind, eingehend nachzugehen ist und ihre Beantwortung substantiiert begründet werden muss. Das Baurekursgericht hatte argumentiert, dass ein entsprechender, die Frage abschliessend beantwortender Nachweis von der Bauherrschaft nicht verlangt werden könne, da ein solcher faktisch dazu führen würde, dass zusätzlich zum Lärmschutznachweis zahllose (architektonische) Variantenstudien einzuholen wären; im strikten rechtlichen Sinn sei der geforderte Nachweis faktisch nicht zu erbringen.

Das Bundesgericht bestätigte die Haltung des Verwaltungsgerichts. Es hielt insbesondere fest, dass in einer Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV  aufzuzeigen sei, inwiefern alle in Betracht fallenden Massnahmen nach Art. 31 Abs. 1 LSV geprüft worden wären.

Rein pauschale Aussagen in einer Bewilligung, dass «Im Rahmen der Prüfung durch die Fachstellen Lärmschutz der Stadt und des Kantons Zürich alle infrage kommenden Massnahmen evaluiert und soweit sinnvoll ins Bauvorhaben eingebracht worden wären» würden nicht ausreichen. Auch beim Lärmgutachten reiches es nicht aus, wenn lediglich festgehalten werde, dass «keine weiteren zumutbaren Lärmschutzmassnahmen» möglich seien.

Das Bundesgericht hielt zudem fest, dass dem Lärmschutz im Falle, dass die Immissionsgrenzwerte überschritten sind, schon bei der Definition der Rahmenbedingungen – etwa bei der Ausschreibung und Durchführung eines Projektwettbewerbs -, eine hohe Bedeutung beizumessen gewesen wäre. Es gehe nicht, ein Bauprojekt so zu konzipieren, wie wenn keine übermässige Lärmbelastung bestünde und anschliessend mit Hinweis auf die Unzumutbarkeit ausreichender Lärmschutzmassnahmen am Gebäude gestützt auf Art. 31 Abs. 1 LSV eine Ausnahmebewilligung zu erteilen.

Es sei an der Bauherrschaft aufzuzeigen, dass dem Lärmschutz das vom Gesetz geforderte Gewicht in der Entwicklung und im Resultat des Bauprojekts zugekommen ist bzw. zukommt, d.h. dass sie den Lärmschutz im Rahmen der Projektausarbeitung adäquat berücksichtigt hat. Soweit die Immissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden können, hat die Bauherrschaft daher darzulegen, weshalb welche Massnahmen geprüft, gewählt oder verworfen wurden.

Dabei sei es weder erforderlich und gleichzeitig aber auch nicht genügend «zahllose Variantenstudien» vorzulegen. Gefragt sei vielmehr eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Lärmschutz, bezogen auf die konkrete Parzelle und die vorgesehene Nutzung. Für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung muss nachgewiesen sein, dass alle in Betracht fallenden baulichen und gestalterischen Massnahmen im Sinne von Art. 31 Abs. 1 LSV geprüft wurden (Urteil des Bundesgerichts 1C_106/2018 vom 2. April 2019 E. 4.7). Es sei Sache der Baugesuchsteller rechtzeitig eine hinreichende Massnahmenprüfung beibringen müssen. Es sei nicht Aufgabe der Gerichte, diese Abklärung im gerichtlichen Verfahren von Amtes wegen nachzuholen.

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ALS FAZIT IST FOLGENDES FESTZUSTELLEN

Lärmschutz und entsprechende Bauweise und Massnahmen müssen künftig bereits bei der Planung eines Bauvorhabens von Grund auf einbezogen werden. Dies erfordert von Architekten schon zu Beginn der Projekttätigkeit den Einbezug der entsprechenden Abklärungen und Voraussetzungen an Lärmschutz. Bei Bauten an lärmbelasteten Standorten kann eine Ausnahmebewilligung nach Art. 31 Abs. 2 LSV  nur noch dann beansprucht werden, wenn im Rahmen des Baubewilligungsverfahrens aufgezeigt werden kann, dass dem Lärmschutz bei der Projektierung von Grund auf Rechnung getragen worden ist.

Ist dies nicht der Fall, bestehen erhebliche Risiken, dass eine solche Ausnahmebewilligung nicht erteilt bzw. von einem Gericht aufgehoben wird. Es muss somit bereits im Stadium der Planung entsprechend dokumentiert werden, dass man dem Lärmschutz Beachtung geschenkt hat.

Entgegen verschiedener Voten in den Medien bedeutet der Entscheid des Bundesgerichtes aber nicht, dass künftig an lärmbelasteten Strassen nicht mehr gebaut werden kann. Ebenso ist der Entscheid des Bundesgerichtes keine absolute Absage an Ausnahmebewilligungen. Gefordert wird aber, dass man sich im Vorfeld des Baugesuches mit der Frage des Lärmschutzes intensiv planerisch auseinanderzusetzen hat. Dem Lärmschutz ist neben der Ausnützung, der architektonischen Gestaltung ein entsprechendes Gewicht zu geben. Nicht (mehr) möglich ist es, den Lärmschutz bei der Planung nicht zu berücksichtigen und dann eine Ausnahmebewilligung mit pauschalen Begründungen in der Bewilligungserteilung zu argumentieren.


26. April 2022 / lic. iur. Christoph Schärli

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