MEINE RECHTE ALS FLUGPASSAGIER – EIN ÜBERBLICK
MLaw Kim Goetzinger, Rechtsanwältin unter Mithilfe von Simone Küng (MLaw)
Die lang ersehnten und wohlverdienten Sommerferien stehen vor der Tür. Nicht selten beginnt der Ärger allerdings bereits am Flughafen. Wird man von der Fluggesellschaft infolge Überbuchung, Annullierung oder Verspätung am Flughafen sitzen gelassen oder geht das Gepäck unterwegs verloren, so haben Flugpassagiere oftmals Anspruch auf Dienstleistungen und Entschädigungszahlungen. Viele Flugreisende sind hierüber im Unwissen, denn die Fluggesellschaften informieren nur sehr zurückhaltend darüber.
I. GELTUNGSBEREICH
Die EU-Verordnung (EG261/2004) über die Passagierrechte gilt seit dem 1.Dezember2006 auch in der Schweiz. Sie hat ihre Gültigkeit in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie – nebst der Schweiz – in Norwegen und Island. Sofern in diesem Kontext von EU gesprochen wird, sind die Schweiz, Norwegen und Island miteingeschlossen. Die Passagierrechte gelten demzufolge für sämtliche Flüge:
- ab einem EU-Flughafen
- ab einem Drittstaat in die EU durchgeführt von EU-Fluggesellschaften
Ist die EU-Verordnung über die Passagierrechte nicht anwendbar, muss man sich grundsätzlich an die nationale Durchsetzungsstelle des jeweiligen Abfluglandes wenden.
II. ÜBERBUCHUNG – DENIED BOARDING
Hat die Fluggesellschaft ihren Flug überbucht, muss sie vorab nach Passagieren suchen, die bereit sind, ihre Plätze freiwillig gegen vereinbarte Bedingungen aufzugeben. Dabei müssen die Passagiere zwischen der Erstattung des Ticketpreises und einer anderweitigen Beförderung zum Zielort wählen können. Stellt keiner der Passagiere seinen Platz freiwillig zur Verfügung, so muss die Fluggesellschaft eine Entschädigungbezahlen. Die Höhe der Entschädigung (sog. Ausgleichsanspruch) hängt von der zu fliegenden Distanz sowie der Verzögerungsdauer ab:
- 250.00 € ab zwei Stunden Verspätung bei Flugstrecken von 1‘500 km oder weniger
- 400.00 € ab drei Stunden Verspätung bei Flugstrecken zwischen 1‘500 km und 3‘500 km
- 600.00 € ab vier Stunden Verspätung bei Flugstrecken von über 3‘500 km
Ist die Verspätung geringer, so kann die Fluggesellschaft die Entschädigung um bis zu 50 % kürzen. Dennoch entsteht aber ein Entschädigungsanspruch. Vorausgesetzt wird aber immer, dass sich der Passagier auch rechtzeitig am Check-In und am Gate einfindet, sowie dass er sämtliche notwendigen Reiseunterlagen dabei hat.
Zusätzlich zum Entschädigungsanspruch hat der Passagier das Recht auf sog. Betreuungsleistungenin Form von Mahlzeiten und Getränken im Verhältnis zur Wartezeit sowie die Möglichkeit zur Telekommunikation. Verzögert sich der Alternativtransport bis zum Folgetag, so muss die Fluggesellschaft wenn nötig eine Hotelunterkunft (inklusive Transport) offerieren.
III. ANNULLIERUNG – CANCELLED
Muss die Fluggesellschaft den Flug annullieren und liegt der Grund hierfür im Verantwortungsbereich der Airline, so hat der Passagier grundsätzlich die Wahl zwischen einer anderweitigen Beförderung zum Reiseziel und der Erstattung des Ticketpreises. Nicht in den Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft fallen ausserordentliche Umstände, welche trotz zumutbarer Massnahmen nicht zu vermeiden gewesen wären (wie beispielsweise Unwetter, Asche spuckende Vulkane oder Bombendrohungen).
Dem Fluggast steht im Annullierungsfall zusätzlich ein Entschädigungsanspruch zu,
- wenn er weder zwei Wochen vor der Abreise über die Flugannullierung informiert wurde,
- noch spätestens sieben Tage vor der planmässigen Abflugzeit über ein angemessenes Alternativangebot informiert wurde,
- noch kurzfristig eine Alternative unterbreitet wurde, mit welcher er nicht mehr als eine Stunde vor der planmässigen Abflugzeit abfliegt und sein Endziel max. zwei Stunden nach der planmässigen Ankunftszeit erreicht,
und der Grund für die Annullierung im Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft liegt. Die Höhe der Entschädigung deckt sich mit dem Ausgleichsanspruch im Falle einer Überbuchung. Sie hängt entsprechend auch von der Flugdistanz und der entstandenen Verspätung ab.
Im Weiteren hat der Passagier bei kurzfristigen Annullierungen auch hier das Recht auf Betreuungsleistungenin Form von Mahlzeiten und Getränken im Verhältnis zur Wartezeit, Telekommunikationsmöglichkeiten und wenn nötig auf eine Hotelunterkunft (inklusive Transfer).
Der Fluggast hat überdies das Recht auf Schadenersatz bis zu 4‘150 SZR*, sofern er einen zusätzlichen belegbaren finanziellen Schaden erlitten hat. Dies ebenfalls nur, wenn die Annullierung im Verantwortungsbereich der Fluggesellschaft liegt.
IV. GROSSE VERSPÄTUNG – DELAYED
Eine Verspätung ist im Sinne der Verordnung erst von Relevanz, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllt:
- 2 Stunden Verspätung bei Flügen mit einer Distanz bis zu 1‘500 km
- 3 Stunden Verspätung bei Flügen mit einer Distanz zwischen 1‘500 km und 3‘500 km
- 4 Stunden Verspätung bei Flügen mit einer Distanz über 3‘500 km
Sind die Voraussetzungen erfüllt, so stehen dem Flugpassagier Betreuungsleistungen in Form von Mahlzeiten und Getränken im Verhältnis zur Wartezeit sowie Telekommunikationsmöglichkeiten zu. Kann die Flugreise erst am Folgetag angetreten werden, so muss die Fluggesellschaft eine Hotelunterkunft (inkl. Transport) anbieten. Hat der Flug 5 Stunden oder noch länger Verspätung, so hat der Fluggast das Recht auf Rückerstattung des Ticketpreises. Befindet sich der Fluggast bereits auf einem Umsteigeflughafen, so darf er einen kostenlosen Rückflug beanspruchen.
Eine Ausgleichszahlung bei verspäteten Abflugzeiten ist in der EU-Verordnung nicht vorgesehen. Hingegen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass bei einer Ankunftsverspätung von mindestens 3 Stunden ein Anspruch auf eine Ausgleichzahlung bestehen kann. Die Entschädigungshöhe ist dieselbe wie bei der Überbuchung (vgl. Ziff. 2). Zu beachten ist insbesondere, dass wenn die Flugnummer gewechselt hat, es sich nicht mehr um eine Verspätung sondern um eine Annullierung handelt. In diesem Fall stehen dem Fluggast die entsprechenden Entschädigungsansprüche zu.
Hat der Fluggast einen zusätzlichen belegbaren finanziellen Schaden erlitten, so kann er von der Fluggesellschaft zudem Schadenersatz bis zu 4‘150 SZR* fordern. Dies allerdings nur, wenn die Fluggesellschaft für die Verspätung verantwortlich ist.
V. BESCHWERDESTELLE
In erster Linie sollte immer zuerst die betreffende Fluggesellschaft informiert werden. Erhält man keine oder eine negative Antwort, so kann man sich mit dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) in Verbindung setzen. Das Bazl ist für Beschwerden zuständig, sofern der Abflug von einem Schweizer Flughafen erfolgt oder wenn eine Schweizer oder EU-Airline von einem Nicht-EU-Staat in die Schweiz geflogen ist. Das Verfahren ist kostenlos.
VI. EXKURS: GEPÄCK
Wird ihr Flug von einer Fluggesellschaft aus der Schweiz oder der EU durchgeführt, so haftet das Transportunternehmen für Schäden, die durch Zerstörung, Verlust oder Beschädigung von Reisegepäck entstehen.
Wird das aufgegebene Gepäck beschädigt, so kann je nach entstandenem Schaden, eine Entschädigung von bis zu 1‘131 SZR* pro Passagier verlangt werden. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der festgestellte Schaden innert sieben Tagen nach Empfang schriftlich gemeldet wird.
Kommt das Gepäck verspätet an, so kann der Passagier bis zu 1‘131 SZR* Schadenersatz verlangen. Die Verspätung ist innert 21 Tagen seit der Gepäckaufgabe schriftlich dem Transportunternehmen zu melden.
Ist das Gepäck 21 Tage, nachdem es hätte eintreffen sollen, noch nicht am Ziel angekommen oder hat das Transportunternehmen den Verlust des aufgegebenen Gepäcks anerkannt, so kann je nach entstandenem Schaden bis zu 1‘131 SZR* Entschädigung pro Passagier verlangt werden, sofern der Verlust binnen 7 Tagen, nachdem er festgestellt wurde, gemeldet wurde.
Wurde der Schaden grobfahrlässig oder absichtlich verursacht, so ist die Ersatzpflicht der Fluggesellschaft nicht auf 1‘131 SZR* begrenzt.
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* SZR: SZR steht für Sonderziehungsrecht und wurden 1969 vom Internationalen Währungsfonds als internationale Rechnungs- und Zahlungseinheit geschaffen. Ein SZR entspricht aktuell ca. CHF 1.34 (Stand Juni 2017).
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23. Juni 2017 / MLaw Kim Goetzinger unter Mithilfe von Simone Küng (MLaw)
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