REVISION DES ERBRECHTS: NEUE FREIHEITEN FÜR ERBLASSER
lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht
Nachdem das Parlament die entsprechende Gesetzesänderung verabschiedet hat und die Referendumsfrist abgelaufen ist, treten (voraussichtlich) am 1. Januar 2023 diverse Gesetzesänderungen im Bereich des Erbrechts in Kraft. Der Erblasser bzw. die Erblasserin haben neu wesentlich grössere Freiheiten bei der Regelung ihres Nachlasses und sollten daher prüfen, ob bestehende letztwillige Verfügungen oder Erbverträge anzupassen oder mittels solcher von den neuen erblasserischen Möglichkeiten Gebrauch zu machen ist.
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I. DIE WESENTLICHEN ÄNDERUNGEN IM ÜBERBLICK
Die Neuerungen betreffen einerseits den Pflichtteilsschutz gewisser gesetzlicher Erben und andererseits den Erbanspruch des überlebenden Ehegatten im Falle eines bereits laufenden Scheidungsverfahrens. Im Einzelnen wird neu Folgendes gelten:
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- Der Pflichtteilsanspruch der Eltern entfällt.
- Der Pflichtteil der Nachkommen wird von bisher ¾ des gesetzlichen Erbanspruchs auf 1/2 reduziert.
- Der Erblasser kann neu dem überlebenden Ehegatten gegenüber den gemeinsamen Nachkommen die Nutzniessung am restlichen Nachlass und eine frei verfügbare Quote von 1/2 (statt 1/4) zuweisen.
- Ehegatten verlieren den gesetzlichen Pflichtteilsanspruch sobald ein gemeinsames Scheidungsbegehren rechtshängig ist, oder beide Ehegatten mit der einseitig eingeleiteten Scheidung einverstanden sind oder sie im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens bereits mindestens 2 Jahre getrennt gelebt haben (und nicht erbvertraglich etwas anderes vereinbart ist).
Im Übrigen schafft die Gesetzesrevision auch Klarheit in verschiedenen, bis anhin in Lehre und Rechtsprechung umstrittenen Punkten, bspw. zur erbrechtlichen Berücksichtigung von Ansprüchen aus Versicherungen und der gebundenen Selbstvorsorge, zur Anfechtung von nachträglichen Zuwendungen, welche Verpflichtungen aus einem Erbvertrag verletzen, oder zur Herabsetzung in Fällen, wo ein Pflichtteilsanspruch durch Verfügungen von Todes wegen oder Zuwendungen unter Lebenden verletzt wird. Mit einer weiteren Gesetzesrevision sind Änderungen auch im Bereich der erbrechtlichen Unternehmensübertragung und -nachfolge geplant, welche aber noch nicht verabschiedet ist.
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II. NEUE ERBLASSERISCHE FREIHEITEN
Die Abschaffung bzw. Reduktion der gesetzlichen Pflichtteilsansprüche erlaubt dem Erblasser bzw. der Erblasserin, zukünftig über zumindest die Hälfte des Nachlasses frei zu verfügen und damit weitergehende Regelungen für den Todesfall zur Durchsetzung seiner eigenen Wünsche bzw. zum weitergehenden Schutz anderer (gesetzlicher oder eingesetzter) Erben zu treffen. Namentlich kann auch bei Vorhandensein gemeinsamer Nachkommen der überlebende Ehegatte weitergehend begünstigt oder ein neuer Partner/Ehegatte trotz nicht gemeinsamen Nachkommen des Erblassers mit einer höheren Nachlassquote bedacht werden. Dies ist angesichts des gesellschaftlichen Wandels, der hohen Scheidungsquote und der zahlreichen «Patchwork-Familien» zu begrüssen, können doch neu nicht gesetzlich berufene Erben (Konkubinatspartner) oder auf Sicherung ihres eigenen Lebensbedarfs angewiesene Erben (überlebender Ehegatte, einzelne Nachkommen) umfangreicher bedacht und damit besser geschützt werden.
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III. WEGFALL DES ERBANSPRUCHS DES EHEGATTEN IM SCHEIDUNGSFALL
Bis anhin hat der bis zur rechtskräftigen Scheidung andauernde, pflichtteilsgeschützte Erbanspruch unter Ehegatten nicht selten zur Folge gehabt, dass wider jegliche Wünsche des Erblassers im Falle dessen Todes vor Abschluss des Scheidungsverfahrens der Ehegatte, von dem man sich scheiden lassen wollte, noch erben konnte. Nicht selten hatte dies zur Folge, dass Scheidungsverfahren mit allen Mitteln verzögert wurden, um sich einen solchen Erbanspruch zu sichern.
Dass neu – unter bestimmten Voraussetzungen – der Erbanspruch unter den Ehegatten entfällt, wenn bereits eine Scheidung rechtshängig ist, ist erfreulich und trägt dem Normalfall Rechnung, dass der Erblasser, welcher sich vom Ehegatten mit der Einleitung einer Scheidung definitiv lösen wollte, auch den Wegfall dessen erbrechtlicher Berechtigung wünscht.
Der Wegfall des Pflichtteilsanspruchs ab Rechtshängigkeit der Scheidung gilt allerdings nur dann, wenn ein gemeinsames Scheidungsbegehren eingereicht wurde, wenn der überlebende Ehegatte dem Scheidungsantrag im Verfahren zugestimmt hatte oder wenn der einseitig eingeleiteten Scheidung (Scheidungsklage) eine mindestens 2-jährige Trennungszeit vorausgegangen ist (womit ein auch einseitig durchsetzbarer, unabdingbarer Scheidungsanspruch entstanden ist, vgl. Art. 114 ZGB). Anderslautende Vereinbarungen bleiben selbstverständlich möglich.
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IV. HANDLUNGSBEDARF UND HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN
Wer von den neuen erblasserischen Freiheiten profitieren will, muss selber handeln, d.h. entsprechende letztwillige Anordnungen treffen. Namentlich gibt es für den Konkubinatspartner nach wie vor keinen gesetzlichen Erb- und keinen anderen gesetzlichen Unterstützungsanspruch, d.h. dieser kann nur mittels Erbvertrag oder letztwilliger Verfügung (Testament) gültig und rechtsicher – erbrechtlich – begünstigt werden. Dasselbe gilt im Falle, dass ein überlebender Ehegatte, einzelne Nachkommen oder ein Dritter zukünftig stärker begünstigt werden sollen.
Zu überprüfen und – sofern gewollt – zu optimieren, gilt es auch bestehende Erbverträge oder letztwillige Verfügungen. Bisher durchaus übliche Formulierungen wie bspw. «ich weise meiner Tochter die verfügbare Quote von einem Viertel zu» oder «ich weise die verfügbare Quote meiner Lebenspartnerin zu», die unter dem bisherigen Recht gewählt wurden, sollten präzisiert und gegebenenfalls so geändert werden, dass auch unter dem neuen Recht klar ist, was gewollt ist und gelten soll: Soll der Sohn trotz nunmehr grösserer verfügbarer Quote von derselben tatsächlich nur 1/4 erhalten oder umfasst die dem Konkubinatspartner zugewendete verfügbare Quote die bisherige von 1/4 oder die neu geltende von 1/2? Mit entsprechenden Klärungen, d.h. einem der neuen Rechtslage angepassten Erbvertrag bzw. Testament, können diesbezügliche Unsicherheiten und damit auch Streitigkeiten unter den dereinstigen Erben verhindert werden.
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V. FAZIT
Die Gesetzesrevision im Bereich des Erbrechts schafft neue Möglichkeiten aber auch Handlungsbedarf. Wer seine Wünsche und Interessen als Erblasser optimal regeln und durchsetzen will, kommt nicht umhin, bestehende Erbverträge und letztwillige Verfügungen zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen bzw. entsprechend tätig zu werden und in gültiger Form von den neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Namentlich wird dies auch und insbesondere dann gelten, wenn die geplante weitere Gesetzesänderung im Bereich der Unternehmensvererbung und -nachfolge abgeschlossen und in Kraft gesetzt wird. Unsere Erbrechtsspezialisten und Notare stehen dafür zur Verfügung.
28. April 2021 / lic. iur. Martin Kuhn, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Familienrecht