UNTERHALTSANSPRUCH: BEHANDLUNG DES ÜBERSCHUSSANTEILS BEI KINDERN

lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV

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I. GRUNDSÄTZE DES KINDESUNTERHALTS

Der Anspruch des Kindes auf Unterhalt wird in Art. 276 ff. ZGB geregelt. Dieser Anspruch steht dem Kind unabhängig davon zu, ob die Eltern verheiratet, geschieden oder (getrennte) Konkubinatspartner sind. Der Kindesunterhalt in Form von Geldzahlung (nachfolgend: Kindesunterhalt) setzt sich aus dem Barbedarf des Kindes und dem Betreuungsunterhalt zusammen.

Der Barbedarf deckt die laufenden Lebenskosten des Kindes, wie bspw. Kleider, Essen, Wohnkosten, etc. Der Betreuungsunterhalt findet seinen Grund im Anspruch des Kindes auf Betreuung. Der hauptbetreuende Elternteil kann aufgrund dieser Aufgabe nicht oder nur einer reduzierten Arbeitstätigkeit nachgehen. Dadurch erleidet der hauptbetreuende Elternteil eine Einkommenseinbusse. Ist diese Einbusse so gross, dass der hauptbetreuende Elternteil nicht in der Lage ist, seinen eigenen finanziellen Bedarf zu bestreiten, so ist im Umfang dieses Mankos Betreuungsunterhalt geschuldet. Auf diese Weise wird die Betreuung des Kindes sichergestellt. In der heutigen Zeit liegen sehr viele unterschiedliche Familienmodelle vor. Der Einfachheit halber wird jedoch nachfolgend davon ausgegangen, dass der Vater keine Betreuungsaufgaben übernimmt und deshalb der unterhaltspflichtige Elternteil und die Mutter der hauptbetreuende und damit unterhaltsberechtigte Elternteil ist.

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II. ÜBERSCHUSSVERTEILUNG

Verbleiben beim Unterhaltspflichtigen nach der Deckung des Barbedarfs sowie des Betreuungsunterhalts und seines eigenen Bedarfs weitere finanzielle Mittel (sog. Überschuss), kann der Kindesunterhalt durch Zuweisung eines Überschussanteils erhöht werden. Die Überschussanteile werden nach grossen (Eltern) und kleinen (Kinder) Köpfen verteilt. In einer Familie mit einem Kind bedeutet dies, dass der grosse Kopf jeweils zwei Anteile erhält, der kleine Kopf nur einen. So werden dem Vater 2/5, der Mutter 2/5 und dem Kind 1/5 des Überschusses zugesprochen.

Bei verheirateten Paaren wird der Überschuss der gesamten Familie nach grossen und kleinen Köpfen zwischen den beiden Elternteilen und den Kindern verteilt. Bei unverheirateten Paaren hat die Mutter keinen Anspruch auf eine Überschussbeteiligung, weil keine gesetzliche Grundlage dazu vorliegt. Deshalb wird der Überschuss nur zwischen dem Vater und den Kindern aufgeteilt. Bei den zu definierenden Anteilen am Überschuss gibt es zwei unterschiedliche Verteilungsmethoden, mit welchen sich das Bundesgericht kürzlich im Urteil BGer 5A_597/2022 vom 7. März 2023 auseinanderzusetzen hatte.

Nach der ersten Verteilungsmethode wird bei einer Familie mit einem Kind der «grosse Kopf» der Mutter wie bei verheirateten Paaren in der Verteilung miteingerechnet. Der Überschussanteil der Mutter fällt dabei dem Vater zu, weil die Mutter mangels Heirat keinen Anspruch auf einen Überschussanteil hat. Damit werden dem Vater 4/5 (grosser Kopf der Mutter von 2/5 + grosser Kopf des Vaters von 2/5) und dem Kind 1/5 des Überschusses zugesprochen. Bei einem Überschuss von CHF 1’500 würde der Vater also einen Anteil von CHF 1’200 (= 4 x CHF 300) und das Kind einen Anteil von CHF 300 erhalten. Diese Methode wird von der Mehrheit der Lehre vertreten. In der Lehre wird die Anwendung dieser Methode mit der Gleichbehandlung der Kinder von verheirateten Paaren und nicht verheirateten Paaren begründet, weil damit alle Kinder unabhängig vom Zivilstand ihrer Eltern rechnerisch denselben Anteil erhalten.

Nach der alternativen Verteilungsmethode wird der Anteil der Mutter am Überschuss zu Beginn nicht eingerechnet. Der Vater erhält als grosser Kopf 2/3 und das Kind als kleiner Kopf 1/3 des Überschusses. Bei einem Überschuss von CHF 1’500 würde der Vater also einen Anteil von CHF 1000 (= 2 x 500) und das Kind einen Anteil von CHF 500 erhalten. Diese Methode wird von der Minderheit der Lehre vertreten. Die Minderheitsmeinung weist darauf hin, dass der durch die Mutter generierte Überschuss gemäss Bundesgericht in der Berechnung nicht berücksichtigt werden darf (BGer 5A_1032/2019 vom 9. Juni 2020 E. 5.6). Entsprechend sei es widersprüchlich, bei der Verteilung den Kopf der Mutter zu berücksichtigen.

Im vom Bundesgericht behandelten Fall hatte die Vorinstanz sich für die Anwendung der zweiten Berechnungsmethode entschieden. Der Vater hat dagegen Beschwerde beim Bundesgericht geführt und argumentiert, dass die erste Methode anzuwenden sei, weil diese von der Mehrheit der Lehre vertreten werde. Das Bundesgericht konnte im zu beurteilenden Fall das Urteil der Vorinstanz nur dahingehend überprüfen, ob der Entscheid willkürlich ergangen ist (sog. Willkürprüfung). Das bedeutet, dass das Bundesgericht den Entscheid nicht bereits abändern darf, nur weil sich eine potentiell bessere Lösung anbietet. Vielmehr muss der Entscheid für eine Abänderung durch das Bundesgericht offensichtlich unhaltbar sein. Das Bundesgericht legte sich in seinem Entscheid nicht auf eine der beiden Methoden fest. Es entschied, dass, weil sich die Vorinstanz auf eine Lehrmeinung – wenn auch nur eine Minderheitsmeinung – stützen konnte, die Anwendung dieser ersten Methode denkbar und nicht willkürlich sei.

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III. FAZIT

Nach dem Gesagten bleibt abzuwarten, wie das Bundesgericht die Frage entscheiden wird, wenn es in einem anderen Fall nicht auf eine Willkürprüfung beschränkt sein wird. Bis die Frage höchstrichterlich entschieden wird, können beide Verteilungsmethoden angewendet werden und es obliegt den unteren Instanzen, sich für eine dieser Methoden zu entscheiden. Werden also die Interessen des unverheirateten Vaters vertreten, sollte die erste Verteilungsmethode geltend gemacht werden. Sind die Interessen des Kindes oder der unverheirateten Mutter zu wahren, sollte in der Unterhaltsberechnung die zweite Verteilungsmethode gewählt werden.

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8. Mai 2023 / lic. iur. Stephan Hinz, Rechtsanwalt und Mediator SAV