Bauen unter Beanspruchung des Nachbargrundstücks – was ist erlaubt?

I. EINLEITUNG

Für die Ausführung von Bauarbeiten an bestehenden Bauten ist es oft zweckmässig, teilweise sogar notwendig, das nachbarrechtliche Grundstück zu beanspruchen.

Zu denken ist hier z.B. an den rückseitigen Zugang zu einer Wand, zur Lagerung von Baumaterialien oder für Bauinstallationen bei engen Platzverhältnissen, an Abgrabungen oder wenn eine Baugrube durch Erdanker im Nachbargrundstück gesichert werden soll.

Können sich der Bauherr und sein Nachbar nicht einigen, stellt sich die Frage, ob der Bauherr ein durchsetzbares Recht hat, das Nachbargrundstück zu benützen bzw. umgekehrt wird sich der betroffene Nachbar fragen, was er dulden muss und ob er dafür eine Entschädigung verlangen kann.

II. GESETZLICHE REGELUNG

Gemäss Art. 695 ZGB ist es den Kantonen vorbehalten, Vorschriften aufzustellen, welche dem Grundeigentümer zum Zwecke der Vornahme von Bauten die Befugnis zu erteilen, das nachbarrechtliche Grundstück zu betreten bzw. vorübergehende Immissionen auszusetzen. Man spricht vom sogenannten Hammerschlagsrecht.

Der Kanton Aargau hat mit § 76 EG ZGB eine solche Bestimmung geschaffen. Hiernach ist der Grundeigentümer nach Vorankündigung berechtigt, Nachbargrundstücke zu betreten oder vorübergehend zu benützen, wenn dies erforderlich ist, um auf dem eigenen Grundstück Pflanzungen, Bauten oder Anlagen zu erstellen, zu unterhalten oder zu beseitigen.

Der Grundsatz der schonenden Ausübung des Hammerschlagsrechts spricht dafür, dass die Beanspruchung des Nachbargrundstücks möglichst gering und vorübergehend bleiben soll, auch wenn höhere Baukosten erforderlich werden. Vorübergehende Benützung heisst eine Inanspruchnahme so lange wie nötig, um auf dem eigenen Grundstück Bauten oder Anlagen zu erstellen, zu unterhalten oder zu beseitigen.

Gerade Erdanker, welche zur Baugrubensicherung verwendet werden, stellen eine besondere Problematik dar. Sie werden selten entfernt, da sie sich nicht ziehen lassen oder weil der Neubau die Zugriffsmöglichkeit versperrt. Die dauernde Sicherung durch Erdanker wird vom Hammerschlagsrecht nicht erfasst.

III. ZUSTIMMUNG

Sind die Voraussetzungen für das Hammerschlagsrecht gegeben, so besteht für die Beanspruchung ein gesetzliches Recht. Entsprechend bedarf es keiner Zustimmung durch den Nachbarn.

Fehlt es aber beispielsweise an der vorübergehenden Beanspruchung, wie dies bei Erdankern der Fall ist, so ist die Zustimmung einzuholen. Auch in anderen Fällen ist es nicht verkehrt, mit den Nachbarn das Gespräch zu suchen und sich die Zustimmung geben zu lassen. Gerade in unklaren Fällen wird dadurch Rechtssicherheit geschaffen.

Die Einwilligung des Nachbarn ist ausserhalb des Hammerschlagsrechts in Form eines öffentlich zu beurkundenden Dienstbarkeitsvertrags zu regeln. Der Eigentümer des direkt betroffenen Grundstücks ist berechtigt, insbesondere auch im Hinblick auf eigene künftige Bauvorhaben, die genaue Lage der Nägel zu kennen. Entsprechend empfiehlt es sich, Auskunft und die Vorlage von Plänen zu verlangen, wo die Nägel vorgesehen sind und ob allenfalls technisch nicht auch eine andere Variante in Frage käme.

Eine ausstehende Zustimmung steht der Einreichung des Baugesuchs durch den bauwilligen Grundeigentümer nicht im Wege. Eine Baubewilligung kann auch unter der Auflage des Abschlusses eines Dienstbarkeitsvertrages erteilt werden.

IV. GERICHTLICHE DULDUNGSANORDUNG

Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind und der Nachbar nicht zustimmt, besteht immerhin die Möglichkeit, eine gerichtliche Duldungsanordnung zu erwirken. Das Bundesgericht behandelte in einem Urteil vom 4. Dezember 2017 (BGer 5A_245/2017) genau diese Thematik.

 Das Gericht hatte zu beurteilen, ob der Nachbar ein schutzwürdiges Eigentümerinteresse an dem unterirdischen Raum hatte, der durch die geplante Baugrubensicherung tangiert wurde.

Das Gericht stellte fest, dass der Nachbar kein schutzwürdiges Interesse an dem betroffenen unterirdischen Raum nachweisen konnte (Art. 641 und Art. 667 Abs. 1 ZGB). Ein solches hätte bspw. bestehen können, wenn er in naher Zukunft eine Unterkellerung oder eine Erdsonden Heizung geplant hätte und in seinem Vorhaben behindert worden wäre.

Das Bundesgericht stellte klar, dass ein Grundstückeigentümer nicht jede unterirdische Einwirkung abwehren kann, wenn kein schutzwürdiges Interesse besteht. Auch die Entschädigungsfrage wurde im Gerichtsverfahren thematisiert.

V. ENTSCHÄDIGUNG

Gestützt auf Art. 695 ZGB haben viele Kantone eine Entschädigungspflicht für die Inanspruchnahme von Nachbargrundstücken in ihren kantonalen Gesetzen festgesetzt, so z.B. auch der Kanton Zürich (§ 229 Abs. 2 PBG). Damit sollen Inkonvenienzen ausgeglichen werden. Für das Festlegen einer Entschädigung besteht ein erheblicher Ermessensspielraum. Zu berücksichtigen ist z.B. die Dauer und der Umfang der Beanspruchung oder der Verkehrswert des beanspruchten Landes. 

Im Kanton Aargau steht dem Nachbarn für die Beanspruchung des Grundstücks nach Gesetz (§ 76 EG ZGB) keine Entschädigung zu. Trotzdem kann es sich lohnen, dem Nachbarn eine anständige Entschädigung anzubieten. Dies erhöht die (rasche) Realisierungsmöglichkeit.

Manche Kantone sehen darüber hinaus eine Sicherheitsleistung durch die Bauwilligen vor, ohne die das Hammerschlagsrecht nicht in Anspruch genommen werden darf.

Sollte durch die Beanspruchung des nachbarlichen Grundstücks ein Schaden entstehen, so ist dieser nach den üblichen Haftungsnormen zu ersetzen.


4. März 2025 / MLaw Kim Attenhofer